Verjährungshemmung mittels Güteantrag

Die Reichweite der Hemmungswirkung von Rechtsverfolgungsmaßnahmen gemäß § 204 Abs. 1 BGB beurteilt sich jedoch – ebenso wie die materielle Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO – nicht nach dem einzelnen materiellrechtlichen Anspruch, sondern nach dem den Streitgegenstand bildenden prozessualen Anspruch.

Verjährungshemmung mittels Güteantrag

Dieser erfasst alle materiellrechtlichen Ansprüche, die sich im Rahmen des Rechtsschutzbegehrens aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen, in Anlageberatungsfällen folglich sämtliche Pflichtverletzungen eines zu einer Anlageentscheidung führenden Beratungsvorgangs, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob diese Pflichtverletzungen vorgetragen worden sind oder vorgetragen hätten werden können1.

Dementsprechend wird die Verjährung der Ansprüche für jeden einer Anlageentscheidung zugrunde liegenden Beratungsfehler gehemmt, wenn in unverjährter Zeit wegen eines oder mehrerer Beratungsfehler Klage erhoben oder ein Mahn- oder Güteverfahren eingeleitet wird2.

Allerdings kann ein ein Güteantrag bei mangelnder ausreichender Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs keine Hemmung der Verjährungsfrist nach § 204 Abs. 1 Nr. 4, § 209 BGB herbeigeführen.

Ohne die nötige Individualisierung des geltend gemachten prozessualen Anspruchs tritt eine Hemmung der Verjährung nicht ein; sie kann nach Ablauf der Verjährungsfrist auch nicht mehr verjährungshemmend nachgeholt werden3.

Der Regelung des § 204 BGB liegt das Prinzip zugrunde, dass die Verjährung durch eine aktive Rechtsverfolgung des Gläubigers gehemmt wird, die einen auf die Durchsetzung seines Anspruchs gerichteten Willen für den Schuldner erkennbar macht; der Gläubiger muss dem Schuldner seinen Rechtsverfolgungswillen so klar machen, dass dieser sich darauf einrichten muss, auch nach Ablauf der (ursprünglichen) Verjährungszeit in Anspruch genommen zu werden4. Entscheidend ist mithin, ob die konkrete Maßnahme der Rechtsverfolgung die geforderte Warnfunktion erfüllt5. Der Anspruchsgegner muss erkennen können, „worum es geht“.

Für die hinreichende Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs im Mahnantrag (Mahnbescheid; § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB) ist maßgeblich, dass der Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden kann, dass er Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Vollstreckungsbescheids sein kann und dem Schuldner die Beurteilung ermöglicht, ob er sich gegen den Anspruch zur Wehr setzen will. Wann diesen Anforderungen Genüge getan ist, kann nicht allgemein und abstrakt festgelegt werden; vielmehr hängen Art und Umfang der erforderlichen Angaben im Einzelfall von dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnis und der Art des Anspruchs ab6.

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Diese den Mahnantrag (Mahnbescheid) betreffenden Erwägungen gelten unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Güteverfahrens auch für die Verjährungshemmung durch Bekanntgabe des Güteantrags (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB)7.

Der Güteantrag muss zum einen die formalen Anforderungen erfüllen, die von den für die Tätigkeit der jeweiligen Gütestelle maßgeblichen Verfahrensvorschriften gefordert werden8.

Zum anderen muss der Güteantrag für den Schuldner erkennen lassen, welcher Anspruch gegen ihn geltend gemacht werden soll, damit er prüfen kann, ob eine Verteidigung erfolgversprechend ist und ob er in das Güteverfahren eintreten möchte9.

Dementsprechend muss der Güteantrag einen bestimmten Rechtsdurchsetzungswillen des Gläubigers unmissverständlich kundgeben und hierzu die Streitsache darstellen sowie das konkrete Begehren erkennen lassen10. Der verfolgte Anspruch ist hinreichend genau zu bezeichnen11.

Freilich sind insoweit keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Denn das Güteverfahren zielt – anders als die Klageerhebung oder das Mahnverfahren – auf eine außergerichtliche gütliche Beilegung des Rechtsstreits ab und führt erst im Falle einer Einigung der Parteien zur Schaffung eines dieser Einigung entsprechenden vollstreckbaren Titels (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO); auch besteht keine strikte Antragsbindung wie im Mahn- oder Klageverfahren12. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Güteantrag an die Gütestelle als neutralen Schlichter und Vermittler gerichtet wird und diese zur Wahrnehmung ihrer Funktion ausreichend über den Gegenstand des Verfahrens informiert werden muss13.

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Zufolge dieser Grundsätze hat der Güteantrag in Anlageberatungsfällen regelmäßig die konkrete Kapitalanlage zu bezeichnen, die Zeichnungssumme sowie den (ungefähren) Beratungszeitraum anzugeben und den Hergang der Beratung mindestens im Groben zu umreißen; ferner ist das angestrebte Verfahrensziel zumindest soweit zu umschreiben, dass dem Gegner (und der Gütestelle) ein Rückschluss auf Art und Umfang der verfolgten Forderung möglich ist14. Eine genaue Bezifferung der Forderung muss der Güteantrag seiner Funktion gemäß demgegenüber grundsätzlich nicht enthalten15.

Hiernach genügte in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall der Güteantrag der Kläger nicht den Anforderungen an die für die Bewirkung der Verjährungshemmung nötige Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Vorgaben in § 5 Satz 3 des Schlichtungsgesetzes Baden-Württemberg und in § 3 Abs. 1 Satz 4 der Verfahrensordnung der Gütestelle, wonach der Güteantrag „eine kurze Darstellung der Streitsache, den Gegenstand des Streits und des Begehrens“ enthalten muss; insoweit bestehen keine Abweichungen von den allgemein geltenden Grundsätzen16.

Bei dem hier vom Bundesgerichtshof beurteilten Güteantrag der Kläger handelt es sich um einen von den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Kläger im Internet zur Verfügung gestellten „Musterantrag“, der senatsbekannt in sehr großer Zahl verwendet wurde17 und keinen Bezug zum konkreten Beratungshergang in dem der Gütestelle vorgelegten Einzelfall aufweist. Er enthält als individuelle Angaben lediglich die Namen der Kläger (als Anleger, Gläubiger und Antragsteller) sowie die Bezeichnung des Anlagefonds (hier: F. -Fonds 68) und nennt weder die Zeichnungssumme noch den (ungefähren) Beratungszeitraum noch andere die getätigte Anlage individualisierende Tatsachen. Damit war es der Beklagten, die im Strukturvertrieb eine große Zahl von Kapitalanlagen unter Mithilfe einer Vielzahl von für sie tätigen Beratern und Vermittlern vertrieben hat, allenfalls unter größeren Mühen möglich festzustellen, um welche Anlageberatung es im vorliegenden Fall geht. Um den Jahreswechsel 2011/2012 sah sich die Beklagte angesichts des Ablaufs der für die vor dem Jahr 2002 stattgefundenen Anlageberatungsfälle geltenden kenntnisunabhängigen Verjährungsfrist des § 199 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB am 2.01.2012 (Art. 229 § 6 Abs. 1 und 4 EGBGB) zudem einer Vielzahl von Güteanträgen gegenüber, während die handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen (§ 257 HGB) für diese Beratungsfälle in den allermeisten Fällen bereits abgelaufen waren18. Vor diesem Hintergrund genügten die Angaben des Güteantrags nicht für die nötige Individualisierung des dem Anspruchsbegehren zugrundeliegenden Sachverhalts.

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Auch das angestrebte Verfahrensziel wird in dem Güteantrag nicht ausreichend beschrieben. Zwar ist von „Schadensersatz aus fehlerhafter Anlageberatung“ sowie davon die Rede, dass ein Anspruch geltend gemacht werde, „so gestellt zu werden, als hätte/n ich/wir die Beteiligung nie getätigt“. Damit bleibt jedoch offen, ob der vollständige Zeichnungsschaden (und zwar: mit oder ohne Darlehenskosten?) oder nur ein Differenzschaden (z.B. nach zwischenzeitlicher Veräußerung der Beteiligung oder unter Geltendmachung einer günstigeren Alternativbeteiligung) begehrt wird. Die Größenordnung des geltend gemachten Anspruchs ist für die Beklagte (als Antragsgegnerin und Schuldnerin) nicht im Ansatz zu erkennen gewesen. Ein vorgängiges Anspruchsschreiben der Kläger, auf dessen Inhalt hätte Bezug genommen und das als Anlage dem Güteantrag hätte beigefügt werden können, hat es nicht gegeben. Unter diesen Umständen war es auch für die Gütestelle nicht möglich, im Wege eines Schlichtungsversuchs einen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten19.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Juni 2015 – III ZR 189/14

  1. vgl. BGH, Urteile vom 22.10.2013 – XI ZR 42/12 aaO S. 298 ff Rn. 15 ff und – XI ZR 57/12 aaO Rn. 15 ff sowie Beschluss vom 21.10.2014 aaO S. 59 ff Rn. 142 ff; s. auch BGH, Urteil vom 26.06.1996 – XII ZR 38/95, NJW-RR 1996, 1409 f [zu § 209 Abs. 1 BGB aF] und BGH, Beschluss vom 26.02.2015 – III ZR 53/14, BeckRS 2015, 04823 Rn. 1[]
  2. s. BGH, Beschluss vom 21.10.2014 aaO S. 60 f Rn. 145 f; s. auch Bundesgerichtshof aaO; OLG Frankfurt am Main, WM 2014, 2361 f; OLG Stuttgart, Urteil vom 04.02.2015 – 3 U 126/13, BeckRS 2015, 06046 Rn. 29; Grüneberg, WM 2014, 1109, 1111 f; a.A. OLG Düsseldorf, Urteil vom 02.05.2013 – I6 U 84/12, BeckRS 2013, 09015; OLG Bamberg, BKR 2014, 334, 335 f Rn. 33 ff, 43, 47; OLG Karlsruhe, WM 2015, 474, 476; s. auch Duchstein, NJW 2014, 342, 345[]
  3. vgl. etwa BGH, Urteile vom 21.10.2008 – XI ZR 466/07, NJW 2009, 56, 57 Rn. 17, 19; und vom 10.10.2013 – VII ZR 155/11, NJW 2013, 3509, 3510 Rn. 17 mwN sowie BGH, Beschluss vom 26.02.2015 aaO Rn. 2 [jeweils für Mahnbescheid][]
  4. BGH, Urteil vom 06.07.1993 – VI ZR 306/92, BGHZ 123, 337, 343 mwN [zu § 209 BGB aF][]
  5. MünchKomm-BGB/Grothe, 6. Aufl., § 204 Rn. 36; s. auch OLG Hamm, Urteil vom 04.12 2014 – 34 U 30/14, BeckRS 2015, 03463 Rn. 53[]
  6. st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteile vom 23.01.2008 – VIII ZR 46/07, NJW 2008, 1220 f Rn. 13 mwN; vom 21.10.2008 aaO Rn 18; vom 23.09.2008 – XI ZR 253/07, NJW-RR 2009, 544 Rn. 18; vom 17.11.2010 – VIII ZR 211/09, NJW 2011, 613 Rn. 9; und vom 10.10.2013 aaO Rn. 14[]
  7. s. OLG Hamm, WM 2015, 611, 613; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 – 17 U 172/13, BeckRS 2014, 15969 Rn. 25 f und WM 2014, 2361, 2362; OLG Karlsruhe, WM 2015, 474, 475; KG, Urteil vom 08.01.2015 – 8 U 141/13, BeckRS 2015, 03316 Rn. 46 f; Grüneberg, WM 2014, 1109, 1111 f[]
  8. s. etwa BGH, Urteile vom 09.11.2007 – V ZR 25/07, NJW 2008, 506 Rn. 12 sowie vom 22.02.2008 – V ZR 86/07, BeckRS 2008, 04680 Rn. 10 und – V ZR 87/07, BeckRS 2008, 04681 Rn. 10; s. ferner OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 aaO Rn. 26 und WM 2014 aaO; OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.12 2014 – 9a U 12/14, BeckRS 2015, 08433 Rn. 56; KG aaO Rn. 47[]
  9. s. OLG Dresden, Beschluss vom 06.02.2014 – 5 U 1320/13, BeckRS 2014, 15965 Rn. 12; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 aaO und WM 2014 aaO; OLG Karlsruhe, WM 2015 aaO und Urteil vom 30.12 2014 aaO Rn. 55; KG aaO Rn. 47, 50; Duchstein, NJW 2014, 342, 343, 344[]
  10. OLG Hamm, Urteil vom 04.12 2014 aaO Rn. 53; MünchKomm-BGB/Grothe aaO[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2009 – XI ZR 230/08, BGHZ 182, 284, 287 Rn. 13; OLG München, Urteil vom 06.11.2013 – 20 U 2064/13, BeckRS 2013, 19644 unter – II 5; OLG Hamm, Urteil vom 04.12 2014 aaO und WM 2015 aaO; OLG Dresden aaO Rn. 13; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 aaO und WM 2014 aaO; OLG Karlsruhe, WM 2015 aaO; KG aaO Rn. 47; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB [2014], § 204 Rn. 61[]
  12. s. dazu OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 aaO Rn. 28; OLG Karlsruhe, WM 2015, 474, 475 f; Duchstein aaO S. 344[]
  13. vgl. OLG Karlsruhe, WM 2015, 474, 476; Duchstein aaO S. 343[]
  14. vgl. hierzu OLG Hamm, Urteil vom 04.12 2014 aaO Rn. 55 f und WM 2015 aaO; OLG Dresden aaO Rn. 15 f; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 aaO Rn. 29 und WM 2014 aaO; OLG Karlsruhe, WM 2015, 474, 476; KG aaO Rn. 50 f; Duchstein aaO S. 344; abweichend wohl OLG Stuttgart, Urteil vom 04.02.2015 aaO Rn. 27[]
  15. so auch: OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 aaO Rn. 28; OLG Karlsruhe, WM 2015, 474, 475 f und Urteil vom 30.12 2014 aaO Rn. 58; OLG Stuttgart aaO; OLG Brandenburg, Urteil vom 04.03.2015 – 4 U 46/14 39; Duchstein aaO S. 344; a.A. wohl OLG München aaO; OLG Hamm, Urteil vom 04.12 2014 aaO Rn. 53 mwN; offen: KG aaO Rn. 51[]
  16. vgl. auch OLG Hamm, WM 2015 aaO; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 09.07.2014 aaO aaO Rn. 28 f[]
  17. unter anderem auch in den vom Bundesgerichtshof zeitgleich verhandelten Parallelverfahren – III ZR 227/14, – III ZR 191/14 und – III ZR 198/14[]
  18. s. auch OLG Hamm, WM 2015, 611, 613[]
  19. so auch für ähnlich gelagerte Fälle: OLG Frankfurt am Main, WM 2014, 2361, 2362; KG aaO Rn. 53[]
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