Verteilungsabwehrklage

Der Treuhänder ist während der Laufzeit der Abtretungserklärung des Schuldners kraft Amtes befugt, das nachträgliche Erlöschen von Forderungen, die in das Schlussverzeichnis des Insolvenzverfahrens aufgenommen worden sind, gegen den jeweiligen Insolvenzgläubiger im Klagewege geltend zu machen (Verteilungsabwehrklage). Führt die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers gegen Forderungen des Schuldners, die von seiner Abtretungserklärung nicht erfasst sind, während ihrer Laufzeit zu einer teilweisen Befriedigung, so darf der Insolvenzgläubiger an den weiteren Verteilungen nur nach dem Berücksichtigungswert seiner Restforderung teilnehmen.

Verteilungsabwehrklage

Zulässigkeit der Verteilungsabwehrklage[↑]

Die Klage des Treuhänders ist zulässig.

Der Treuhänder ist als Partei kraft Amtes befugt, gegen die zur Tabelle festgestellten, in das Schlussverzeichnis des aufgehobenen Insolvenzverfahrens aufgenommenen Forderungen eine Verteilungsabwehrklage entsprechend § 767 ZPO zu erheben. Diese Rechtsschutzform ist wegen der Rechtskraftwirkung der Tabelleneintragung und der Bindungswirkung des Verzeichnisses hier genauso statthaft wie für den Insolvenzverwalter, der mit der Begründung, die festgestellte Forderung sei ganz oder teilweise erloschen, ihre Aufnahme in ein Verteilungsverzeichnis ablehnt1. Die unmittelbare Anwendung der Vorschrift kommt in beiden Fällen wegen der Vollstreckungsverbote des § 89 Abs. 1 InsO und des § 294 Abs. 1 InsO nicht in Betracht.

Auch der Treuhänder während des Restschuldbefreiungsverfahrens ist zur Erhebung dieser Abwehrklage befugt. Denn für seine Verteilung an die Insolvenzgläubiger nach § 292 Abs. 1 Satz 2 InsO bleibt sonst das Schlussverzeichnis maßgebend. Kraft eigener Rechtsmacht kann der Treuhänder die Berücksichtigungswerte des Schlussverzeichnisses nicht ändern. Durch die unveränderte Fortsetzung der Ausschüttungen trotz nachträglichen Erlöschens einer festgestellten Insolvenzforderung würde deren Gläubiger auf Kosten der anderen Insolvenzgläubiger und ihrer Verteilungsquote ungerechtfertigt bereichert. Es entstünde ein mit allen Durchsetzungsrisiken behafteter Rückforderungsanspruch2.

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Könnte der Treuhänder den Eintritt dieser Lage nicht als Partei kraft Amtes durch eine eigene Abwehrklage verhindern, bliebe nur eine Klage des Schuldners und der benachteiligten Insolvenzgläubiger, die von den Letztgenannten in notwendiger Streitgenossenschaft gemäß § 62 ZPO zu erheben wäre. Denn der Streit über das nachträgliche Erlöschen des Verteilungsanrechts eines Insolvenzgläubigers könnte den anderen Gläubigern gegenüber entsprechend § 183 Abs. 1 InsO nur einheitlich entschieden werden. Einzelklagen mit der Möglichkeit widersprechender Entscheidungen wären unzulässig. Die Wahrung dieses Gesamtinteresses an der richtigen Verteilung des schuldnerischen Sondervermögens während der Laufzeit der Abtretungserklärung des § 287 Abs. 2 InsO gehört folglich nach Sinn und Zweck des Amtes zu den Aufgaben des Treuhänders, der dementsprechend prozessführungsbefugt ist. Er untersteht dabei nach § 292 Abs. 3 Satz 2, § 58 InsO der Aufsicht des Insolvenzgerichts, wie die Revision mit Recht gegen das Berufungsurteil rügt. Die Frage der Treuhänderhaftung entsprechend § 60 Abs. 1 InsO3 für einen etwaigen Verteilungsschaden kann hier wie in der bisherigen Bundesgerichtshofsrechtsprechung4 offenbleiben.

Die Unterschiede zwischen dem Amt des Insolvenzverwalters und des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren sind im hier gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung.

Der Klage fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis. Ihr Ziel ist nicht die unstreitige Feststellung, dass die in das Schlussverzeichnis aufgenommene Forderung des beklagten Landes jedenfalls in Höhe von 105,25 € erloschen ist oder die Abwehr einer nach § 294 Abs. 1 InsO unzulässigen und nicht beabsichtigten Zwangsvollstreckung. Es geht um die offene Streitfrage, welches Verteilungsanrecht dem beklagten Land nach den erklärten Aufrechnungen noch zusteht und die danach womöglich notwendige Umgestaltung in der Bindungswirkung des Schlussverzeichnisses.

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Begründetheit der Verteilungsabwehrklage[↑]

Im hier entschiedenen Fall war die zur Schlusstabelle festgestellte Steuerforderung durch Aufrechnung mit einem späteren Einkommmensteuerguthaben teilweise erloschen. Die Aufrechnung des beklagten Landes war, wie der Bundesgerichtshof ausdrücklcih feststellt, wirksam. Das Aufrechnungsverbot des § 294 Abs. 3 InsO stand nicht entgegen, weil die Abtretung nach § 287 Abs. 2 InsO den Gegenanspruch auf Einkommensteuerrückerstattung nicht umfasst5.

Der Verteilungsanspruch des Gläubigers besteht auch nicht nach § 292 Abs. 1 InsO trotz der Teilaufrechnung bis zum gänzlichen Erlöschen seiner in das Schlussverzeichnis nach § 197 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO aufgenommenen Forderung unverändert fort. Der Bundesgerichtshof hat diesen Grundsatz der Doppelberücksichtigung für den Fall der nachträglichen Zahlung eines Bürgen auf die festgestellte Insolvenzforderung aus § 68 KO (jetzt § 43 InsO) abgeleitet6 und auch auf andere Fälle persönlicher Mithaftung angewendet7.

Um eine solche Sachlage geht es im Streitfall nicht. Das beklagte Land hat nur einen Schuldner. Diesem standen aus den Einkommensteuerveranlagungen der Jahre 2007 und 2008 Ansprüche zu, gegen die der Beklagte aufrechnen konnte, solange ihre Insolvenzbeschlagnahme im Wege einer Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 InsO unterblieb8.

In der allgemeinen insolvenzrechtlichen Interessenwertung wird der Gläubiger durch eine Aufrechnungsmöglichkeit in ähnlicher Weise geschützt wie durch ein Absonderungsrecht9. Auch das beklagte Land kann deshalb im Verteilungsverfahren während der Laufzeit der Abtretungserklärung nicht besser stehen, als wenn es durch nachträgliche Verwertung einer im Insolvenzverfahren freigegebenen Schuldnersicherheit, die es zur abgesonderten Befriedigung berechtigte, teilweise Deckung seiner in das Schlussverzeichnis aufgenommenen Forderung erlangt hätte. Die Rechtsfolge dieses Tatbestandes findet sich in dem Ausfallprinzip des § 52 Satz 2 InsO. Das beklagte Land war mithin zur anteilsmäßigen Befriedigung aus dem vom Treuhänder verwalteten Sondervermögen des Schuldners nur noch berechtigt, soweit seine Aufrechnung zu einer Befriedigung nicht geführt hatte, ein Ausfall daher eingetreten war. In dieser Höhe hatte das beklagte Land auch auf seine weitergehende Aufrechnungsmöglichkeit verzichtet und den Erstattungsbetrag ausgekehrt. Entsprechend § 52 Satz 2 InsO ist die Klage auf Änderung des Berücksichtigungswertes gerechtfertigt.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 29. März 2012 – IX ZR 116/11

  1. vgl. dazu BGH, Urteil vom 04.10.1984 – IX ZR 159/83, NJW 1985, 271, 272 unter II.02.; vom 11.12.2008 – IX ZR 156/07, WM 2009, 275 Rn. 12[]
  2. vgl. für den Fall der Verwertung eines Absonderungsrechts MünchKomm-InsO/Ganter, 2. Aufl., § 52 Rn. 27[]
  3. vgl. HK-InsO/Landfermann, 6. Aufl. § 292 Rn. 23 mwN[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2008 – IX ZR 118/07, ZInsO 2008, 971 Rn.20[]
  5. BGH, Urteil vom 21.07.2005 – IX ZR 115/04, BGHZ 163, 391, 392 ff; Beschluss vom 12.01.2006 – IX ZB 239/04, NZI 2006, 246 Rn. 9 f; BFHE 216, 1, 3[]
  6. BGH, Urteil vom 04.10.1984, aaO[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 11.12.2008, aaO Rn. 14[]
  8. vgl. dazu BGH, Beschluss vom 12.01.2006, aaO Rn. 11 f[]
  9. BGH, Urteil vom 09.05.1960 – II ZR 95/58, WM 1960, 720, 721 unter 3. b; vom 24.03.1994 – IX ZR 149/93, WM 1994, 1045, 1046 unter 1. c; Beschluss vom 29.05.2008 – IX ZB 51/07, BGHZ 177, 1 Rn. 29 f; Urteil vom 08.01.2009 – IX ZR 217/07, WM 2009, 416 Rn. 32 unter Hinweis auf die gleiche Schutzwürdigkeit der Gläubiger; differenzierend Urteil vom 15.07.2004 – IX ZR 224/03, BGHZ 160, 107, 111 unter II.03. zur Konzernverrechnungsklausel[]
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