Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – und das Einbeziehungsinteresse des Dritten

Mit den Voraussetzungen der Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Vertrags hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte – und das Einbeziehungsinteresse des Dritten

Bei einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte steht die geschuldete (Haupt)Leistung zwar allein dem Gläubiger zu, der Dritte ist jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Die Herausbildung des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs beruht auf ergänzender Vertragsauslegung1 und knüpft damit an den hypothetischen Willen der Parteien an, der gemäß § 157 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu erforschen ist. Sie ist dem Umstand geschuldet, dass die Erfüllung vertraglicher Leistungspflichten zu einem gesteigerten sozialen Kontakt der Vertragsparteien und dementsprechend zu einer größeren Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter des Vertragspartners und gegebenenfalls mit diesem verbundener Dritter führt und das Deliktsrecht – insbesondere wegen der Exkulpationsregelung bei der Gehilfenhaftung nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB und des Fehlens eines umfassenden Vermögensschutzes – den geschädigten Dritten nicht immer zureichend absichert2. Im Hinblick darauf kann es geboten sein, dem Dritten auch eine vertragliche Anspruchsgrundlage zuzubilligen, die ihm die Kompensation des in Ausführung des Vertragsverhältnisses bei ihm eingetretenen Schadens ermöglicht. Damit ist zwangsläufig eine Ausweitung des Haftungsrisikos des Schuldners verbunden, der außer für Schäden seines Vertragspartners auch für Schäden des in den Schutzbereich des Vertrages einbezogenen Dritten haftet. Um diese Haftung für den Schuldner nicht unkalkulierbar auszudehnen, sind an die Einbeziehung von Dritten in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen3.

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Der hypothetische Wille der Vertragsparteien, einen Dritten in den Schutzbereich der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung einzubeziehen, ist aufgrund einer sorgfältigen Abwägung ihrer schutzwürdigen Interessen und derer des Dritten zu ermitteln4. Die dabei im Einzelnen zu beachtenden Abwägungskriterien ergeben sich aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte5. Deren Ausgangspunkt sind Fallgestaltungen, in denen das „Wohl und Wehe“ eines Dritten einem der beiden Vertragspartner anvertraut ist – wie beispielsweise dem Mieter das seines Familienangehörigen oder Hausangestellten – und dieser Dritte durch ein Verschulden des Vermieters oder eines von ihm mit einer Reparatur am Haus beauftragten Handwerkers Schaden erleidet6. Diese zunächst überwiegend Personenschäden betreffende Rechtsprechung bezieht Dritte in den Schutzbereich eines Vertrages dann ein, wenn sich die vertraglichen Schutzpflichten des Schuldners nach Inhalt und Zweck des Vertrages nicht nur auf seinen Vertragspartner beschränken, sondern – für den Schuldner erkennbar – auch solche Dritte einschließen, denen der Gläubiger aufgrund einer Rechtsbeziehung mit personenrechtlichem Einschlag, wie etwa ein familienrechtliches oder ein miet, dienst- oder arbeitsvertragliches Verhältnis, seinerseits Schutz und Fürsorge schuldet7. In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung ist im Wege ergänzender Vertragsauslegung der Schutzbereich vertraglicher Beziehungen zwischen Gläubiger und Schuldner auch auf einen an seinem Vermögen geschädigten Dritten ausgedehnt worden, wenn der Gläubiger an dessen Schutz ein besonderes Interesse hat, Inhalt und Zweck des Vertrages erkennen lassen, dass diesem Schutzinteresse Rechnung getragen werden soll, und die Parteien zugunsten des Dritten eine Schutzpflicht begründen wollen8. Allerdings beschränkt sich in diesen Fällen der Kreis der Einbezogenen auf solche Dritte, in deren Interesse die Leistung des Schuldners nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Parteien zumindest auch erbracht werden soll – wie etwa in Fällen sogenannten Expertenhaftung für fehlerhafte Gutachten, die zur Vorlage an den Dritten bestimmt sind. Tragender Gesichtspunkt für diese Beschränkung des Kreises der einbezogenen Dritten ist das Anliegen, das Haftungsrisiko für den Schuldner berechenbar zu halten. Er soll für Schäden Dritter nicht einstehen müssen, wenn ihm nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung des Vertragszwecks nicht zugemutet werden kann, sich ohne zusätzliche Vergütung auf das Risiko einer erweiterten Haftung einzulassen9. Deshalb kann ohne besondere Umstände auch die Einbeziehung eines Unternehmers und seiner Mitarbeiter in den Schutzbereich eines Werkvertrags des Bestellers mit einem anderen Unternehmer nicht angenommen werden10.

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Ausgehend von diesen Grundsätzen unterliegt die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages folgenden Voraussetzungen:

  1. Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger (Leistungsnähe).
  2. Der Gläubiger muss ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages haben (Einbeziehungsinteresse).
  3. Für den Schuldner muss die Leistungsnähe des Dritten und dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrages erkennbar und zumutbar sein (Erkennbarkeit und Zumutbarkeit).
  4. Für die Ausdehnung des Vertragsschutzes muss nach Treu und Glauben ein Bedürfnis bestehen, weil der der Dritte anderenfalls nicht ausreichend geschützt wäre (Schutzbedürfnis)11.

Dabei sind an die Bestimmung des Kreises der drittbegünstigten Personen strenge Maßstäbe anzulegen.

Ein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an der Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages ist nach der dargestellten Rechtsprechung nur dann anzunehmen, wenn

  • entweder wie in den „Wohl- und-Wehe-Fällen“ – zwischen ihm und dem Dritten eine rechtliche Beziehung mit persönlicher Fürsorge- und Obhutspflicht oder sozialer Abhängigkeit besteht
  • oder ihm – ohne eine derartig enge Bindung – Schutzpflichten gegenüber dem Dritten aufgrund einer Sonderverbindung in Gestalt eines sonstigen Vertrages oder zumindest eines Gefälligkeitsverhältnisses oder eines besonderen sozialen Kontaktes obliegen12.

Ein Einbeziehungsinteresse der Gläubigerin kann insbesondere nicht auf ihr möglicherweise obliegende deliktische Verkehrssicherungspflichten gegründet werden, die gegenüber jeder befugt am eröffneten Verkehr teilnehmenden Person zu beachten sind, sich aber nicht auf eine rechtsgeschäftliche oder auch nur soziale Sonderbeziehung des Gläubigers zum Geschädigten gründen. Eine solche aus deliktischen Vorschriften folgende allgemeine gesetzliche Verpflichtung, Rechtsgüter beliebiger Dritter nicht zu schädigen, kann aber die Annahme eines Gläubigerinteresses an einer stillschweigenden Einbeziehung eines bestimmten Dritten in den Schutzbereich eines Vertrages nicht rechtfertigen13.

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Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass eine private Haftpflichtversicherung besteht. Denn das Bestehen einer Haftpflichtversicherung kann zwar unter Umständen gegen einen konkludenten Haftungsausschluss sprechen, nicht aber das Fehlen anspruchsbegründender Tatsachen kompensieren14.

Scheiden sonach Ansprüche des Klägers aufgrund eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter aus, kommt es für eine etwaige Haftung darauf an, ob die Voraussetzungen des § 823 Abs. 1 oder des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB erfüllt sind.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. November 2016 – III ZR 139/14

  1. z.B. RGZ 127, 218, 221 f; BGH, Urteil vom 15.06.1971 – VI ZR 262/69, BGHZ 56, 269, 273[]
  2. Staudinger/Jagmann, BGB, Bearb.2001, § 328 Rn. 83 f; Soergel/Hadding, BGB, Bearb.2009, Anh § 328 Rn. 1; Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 328 Rn. 13[]
  3. BGH, Urteile vom 03.11.1961 – VI ZR 254/60, VersR 1962, 86, 88; und vom 18.06.1968 – VI ZR 120/67, NJW 1968, 1929, 1931[]
  4. Staudinger/Jagmann, aaO Rn. 96[]
  5. zusammenfassend und mit einem Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung: BGH, Urteil vom 07.05.2009 – III ZR 277/08, BGHZ 181, 12 Rn. 16 f; BGH, Urteil vom 02.07.1996 – X ZR 104/94, BGHZ 133, 168, 170 ff[]
  6. RGZ 91, 21, 24; 102, 231, 232[]
  7. st. Rspr., z.B. BGH aaO Rn. 16; RGZ 91, 21, 24; 102, 231, 232; 127, 218, 223 f; BGH, Urteile vom 15.05.1959 – VI ZR 109/58, NJW 1959, 1676, 1677; vom 18.06.1968, aaO Rn. 24; vom 12.07.1977 – VI ZR 136/76, NJW 1977, 2208, 2209; und vom 20.04.2004 – X ZR 250/02, BGHZ 159, 1, 8[]
  8. z.B. BGH aaO Rn. 17[]
  9. st. Rspr., vgl. BGH aaO; BGH, Urteil vom 20.04.2004 aaO S. 9 mwN[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 18.06.1985 – X ZR 71/84, WM 1985, 1245, 1246[]
  11. z.B. BGH, Urteil vom 24.10.2013 – III ZR 82/11 12 mwN; BGH, Urteile vom 02.07.1996 aaO S. 173; und vom 18.02.2014 – VI ZR 383/12, BGHZ 200, 188 Rn. 9; Staudinger/Jagmann, aaO Rn. 100, 106[]
  12. z.B. BGH, Urteil vom 24.10.2013, aaO Rn. 14; Staudinger/Jagmann, aaO Rn. 100; MünchKomm-BGB/Gottwald, 7. Aufl., § 328 Rn. 183[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 24.10.2013 aaO Rn. 14; MünchKomm-BGB/Gottwald, aaO[]
  14. BGH, Urteil vom 27.10.2009 – VI 296/08, NJW 2010, 537 Rn. 14[]
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