Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB liegt nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt.

Der Vertrag ist in diesem Fall vor Ort nicht, wie für einen Widerruf nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB erforderlich, bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien geschlossen worden. Hierfür ist erforderlich, dass sowohl das Angebot als auch die Annahme bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragspartner erklärt werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Besteller hat nach dem für das Revisionsverfahren zu unterstellenden Vorbringen des Handwerkers für beide Besteller in dem Termin vor Ort in Anwesenheit des Handwerkers lediglich dessen am Tag zuvor abgegebenes Angebot für die Reparatur des beschädigten Wandanschlusses angenommen.
Eine gegenüber dem Angebot des Unternehmers derart zeitlich versetzte Auftragserteilung wird von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB nicht erfasst. Diese Vorschrift, mit der die Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 (Verbraucherrechterichtlinie) ins deutsche Recht umgesetzt wird und die mit der Bestimmung in Art. 2 Nr. 8 a)) der Verbraucherrechterichtlinie inhaltlich übereinstimmt, ist richtlinienkonform im Lichte dieser Richtlinie auszulegen, wobei bei der Auslegung zu beachten ist, dass nach Art. 4 der Richtlinie eine Vollharmonisierung der zu ihrer Umsetzung erlassenen nationalen Vorschriften angestrebt wird. Ein Vertragsschluss bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen liegt danach nicht vor, wenn der Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot am Folgetag außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt1.
Für diese – schon nach dem Wortlaut naheliegende – Auslegung von § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB spricht auch der mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgte Zweck. Aus dem Erwägungsgrund Nr. 21 der Richtlinie ergibt sich, dass von der Begriffsbestimmung für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge Situationen nicht erfasst werden sollen, in denen der Unternehmer zunächst in die Wohnung des Verbrauchers kommt, um ohne jede Verpflichtung des Verbrauchers lediglich Maße aufzunehmen oder eine Schätzung vorzunehmen, und der Vertrag danach erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Geschäftsräumen des Unternehmers auf der Grundlage der Schätzung des Unternehmers abgeschlossen wird. Dies wird damit begründet, dass der Verbraucher in einem solchen Fall Gelegenheit hatte, vor Vertragsschluss über die Schätzung des Unternehmers nachzudenken.
Die dieser Situation zugrundeliegende rechtliche Wertung erfasst auch den Fall, dass der Unternehmer dem Verbraucher aufgrund eines Aufmaßes oder einer Schätzung ein Angebot unterbreitet, das der Verbraucher nach einer Überlegungszeit bei gleichzeitiger Anwesenheit mit dem Unternehmer außerhalb von Geschäftsräumen lediglich annimmt. Auch in diesem Fall entstehen dem Verbraucher durch das vom Unternehmer erstellte Angebot unmittelbar noch keine Verpflichtungen. Findet eine Vertragsverhandlung nicht sofort im Anschluss an das Angebot statt, sondern hat der Verbraucher Gelegenheit, das Angebot des Unternehmers zu prüfen und zu überdenken, ist nach dem mit der Verbraucherrechterichtlinie verfolgten Schutzzweck der Tatbestand des bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragsparteien außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags nicht erfüllt2. Eine typische Druck- oder Überraschungssituation im Sinne von Erwägungsgrund Nr. 21 der Verbraucherrechterichtlinie, vor der § 312b BGB schützen soll, liegt dann nicht vor.
Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung der Verbraucherrechterichtlinie ist nicht geboten, weil die Auslegung des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB unter Berücksichtigung der Vorschriften der Verbraucherrechterichtlinie keinem vernünftigen Zweifel unterliegt3.
Danach stand den Bestellern hinsichtlich des Zusatzauftrags kein Widerrufsrecht gemäß § 355 Abs. 1, § 312g Abs. 1, § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB zu. Die Besteller sind dadurch, dass der Handwerker ihnen die Modalitäten für die Ausführung des Zusatzauftrags und die hierfür entstehenden Kosten in Form eines Angebots am 22.08.2018 mitgeteilt hatte, in die Lage versetzt worden, das Angebot bis zu dessen Annahme am 23.08.2018 zu überdenken.
Es liegt auch kein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB vor. Nach dieser Vorschrift sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge solche, für die der Verbraucher unter den in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB genannten Umständen ein Angebot abgegeben hat.
Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Besteller haben nicht lediglich gemäß § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB ein Angebot abgegeben, das der Handwerker zu einem späteren Zeitpunkt angenommen hat. Die Vorschrift kann über ihren Wortlaut hinaus auch nicht dahin ausgelegt werden, dass jedwede Vertragserklärung des Verbrauchers – also auch, wie hier, eine Annahmeerklärung – erfasst werden soll, die dieser bei gleichzeitiger Anwesenheit mit dem Unternehmer an einem nicht zum Geschäftsraum des Unternehmers gehörenden Ort abgibt4. Im Hinblick auf die mit der Verbraucherrechterichtlinie angestrebte Vollharmonisierung (Art. 4 der Verbraucherrechterichtlinie) kommt eine erweiternde Auslegung über den Wortlaut des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB hinaus nicht in Betracht. Der Begriff „Angebot“ in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB, der dem Wortlaut des Art. 2 Nr. 8 b)) der Verbraucherrechterichtlinie entspricht, findet sich entsprechend auch in anderen Sprachfassungen der Verbraucherrechterichtlinie (vgl. z.B. „offer“, „offre“, „offerta“, „oferta“, „aanbod“). Er bezieht sich auf das für den Verbraucher bindende Angebot auf Abschluss eines Vertrags. Der Begriff des Angebots kann mit dem Begriff der Vertragserklärung dagegen nicht gleichgesetzt werden. Dieser wird vielmehr als Oberbegriff sowohl für ein auf den Abschluss eines Vertrags gerichtetes Angebot als auch für eine Annahme eines solchen verwendet.
Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Sinn und Zweck der Verbraucherrechterichtlinie auch die Annahme eines vom Unternehmer nicht am selben Tag, sondern bereits zuvor, unterbreiteten Angebots von der Vorschrift erfasst werden soll, bestehen nach den vorstehenden Ausführungen nicht. Insbesondere besteht in einem solchen Fall nicht die Gefahr, dass der Verbraucher durch die Umstände des Vertragsschlusses zum Abschluss des Vertrags veranlasst wird, ohne zuvor seine Entscheidung hinreichend überdenken zu können. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 2 Nr. 8 b)) der Verbraucherrechterichtlinie ist nicht geboten, weil die Auslegung des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB unter Berücksichtigung der Vorschriften der Verbraucherrechterichtlinie keinem vernünftigen Zweifel unterliegt5.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. Juli 2023 – VII ZR 151/22
- vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 16.12.2021 – 7 U 12/20, BauR 2022, 1358 = NZBau 2022, 222 40; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 312b Rn. 6; Staudinger/Thüsing (2019) BGB, § 312b Rn.19; Maume in: BeckOK BGB Hau/Poseck, Stand: 1.05.2023, § 312b Rn. 17[↩]
- vgl. Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 312b Rn. 6[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.2021 – C561/19, NZBau 2022, 44 33 m.w.N.; Urteil vom 06.10.1982 – C283/81, Slg. 1982, 3415[↩]
- vgl. in diesem Sinn aber Ring in: Dauner-Lieb/Langen, BGB Schuldrecht, 4. Aufl., § 312b Rn.19; HK-BGB/Schulte-Nölke, 11. Aufl., BGB § 312b, 6; unklar insoweit: MünchKomm-BGB/Wendehorst, 9. Aufl., § 312b Rn. 38 und Schinkels in Gebauer/Wiedmann, Europäisches Zivilrecht, 3. Aufl., Kap. 8 Rn. 8[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.2021 – C-561/19, NZBau 2022, 44 33 m.w.N.; Urteil vom 06.10.1982 – C-2-83/81, Slg. 1982, 3415[↩]