Verzugszinsen trotz Zahlungsangebot unter Rückforderungsvorbehalt

Ein Gläubiger, der ein nicht rechtskräftiges Berufungsurteil erwirkt hat, aus dem er nicht vollstreckt, hat weiterhin Anspruch auf Verzugszinsen, wenn er die ihm zur Abwendung der Zwangsvollstreckung angebotene Zahlung des Schuldners zurückweist.

Verzugszinsen trotz Zahlungsangebot unter Rückforderungsvorbehalt

Die (vom Schuldner angebotene) Zahlung hat schon deshalb nicht zu einer Erfüllung der titulierten Forderung geführt, weil der Gläubiger sie nicht angenommen hat.

Durch die Ablehnung der angebotenen Zahlung ist der Gläubiger nicht in Annahmeverzug geraten, der jegliche Verzinsung ausgeschlossen hätte (§ 301 BGB). Der Gläubiger kommt dann in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt (§ 293 BGB). Die Leistung muss dem Gläubiger so, wie sie zu bewirken ist, tatsächlich angeboten werden (§ 294 BGB). Das ist hier nicht geschehen. Zahlungen aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils sind in der Regel dahin zu verstehen, dass sie nur eine vorläufige Leistung darstellen sollen und unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Bestätigung der zugrunde liegenden Verbindlichkeit erfolgen1. Im hier entschiedenen Streitfall hat die Schuldnerin einen entsprechenden Vorbehalt sogar ausdrücklich erklärt. Die unter einer solchen Bedingung stehende Zahlung stellte nicht die von der Schuldnerin geschuldete Leistung dar. Eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückforderung hat keine Erfüllungswirkung (§ 362 BGB). Der Gläubiger muss also damit rechnen, dass er das Geleistete zurückgewähren muss; er kann nicht nach seinem Belieben mit dem Gegenstand der Leistung verfahren.

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Die Ablehnung der angebotenen Zahlung verstieß nicht gegen das Schikaneverbot (§ 226 BGB) oder gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Die Ausübung eines Rechts ist nach § 226 BGB unzulässig, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen; jeder andere Zweck muss ausgeschlossen sein2. Ein berechtigtes Interesse an der Zurückweisung der so nicht geschuldeten Leistung folgt hier bereits daraus, dass der Gläubiger den gezahlten Betrag, hätte er ihn angenommen, im Falle der Aufhebung des Urteils hätte zurückgewähren müssen. Gemäß § 717 Abs. 3 Satz 4 ZPO, § 818 Abs. 4 BGB hätte er sich nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen können. Die Annahme der Leistung hätte ihm damit ein Risiko auferlegt, das er bei Ablehnung der Leistung nicht zu tragen hatte. Schon damit steht fest, dass die Ablehnung der Leistung nicht ausschließlich der Schädigung der Schuldnerin diente.

Eine Rechtsausübung ist unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 226 BGB missbräuchlich, wenn sie beachtliche Interessen eines anderen verletzt, ihr aber kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt3. Diese Voraussetzungen sind gleichfalls nicht erfüllt.

Die Gläubiger wollte mit der Vorbehaltsleistung erreichen, dass sie keine Verzugszinsen mehr zu zahlen hatte. Obwohl die Leistung unter Vorbehalt keine Erfüllung der titulierten Forderung bewirkt und nicht die geschuldete Leistung darstellt, hat der Bundesgerichtshof dieses Interesse in früheren Entscheidungen nicht von vornherein für unbeachtlich gehalten. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung4, die in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung5 und in der Literatur6 überwiegend Zustimmung gefunden hat, vermag eine Leistung des Schuldners, die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil erfolgt, den Verzug des Schuldners zu beenden, obwohl sie keine Erfüllung bewirkt. Grund dafür ist, dass auch eine im Wege der Zwangsvollstreckung aus einem für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteil beigetriebene Leistung die Beendigung des Schuldnerverzuges zur Folge hat. Die Zahlung zur Abwendung der Zwangsvollstreckung soll die nämlichen Folgen nach sich ziehen.

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Diesem Interesse stehen jedoch schutzwürdige eigene Interessen des Gläubigers entgegen. Der Gläubiger hat Anspruch auf die geschuldete Leistung, nicht nur auf eine Leistung unter dem Vorbehalt der Rückzahlung. Mit der Annahme der Vorbehaltsleistung verliert der Gläubiger seinen Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen, obgleich nicht sicher ist, dass er die Leistung letztlich behalten darf. Bei einer Abänderung oder Aufhebung des Titels kann er nach Maßgabe des § 717 Abs. 3 ZPO zur Erstattung des Geleisteten nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe ab dem Empfang der Leistung verpflichtet sein, ohne sich auf einen Wegfall der Bereicherung berufen zu können. Ob die Voraussetzungen dieser Norm im konkreten Fall tatsächlich erfüllt gewesen wären, was die Schuldnerin bezweifelt, ist nicht entscheidend. Bestand auch nur das Risiko einer Inanspruchnahme, diente die Zurückweisung der Vorbehaltszahlung eigenen berechtigten Interessen des Gläubigern. Im Übrigen setzt der Erstattungsanspruch aus § 717 Abs. 3 ZPO nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht voraus, dass vor der Zahlung oder Leistung des Titelschuldners die Zwangsvollstreckung angedroht worden war7. Unabhängig hiervon will der Titelschuldner mit der Vorbehaltszahlung regelmäßig so gestellt werden, wie er stünde, wenn die Zahlung durch Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erzwungen worden wäre8. Um diese Rechtsfolge abzuwenden, muss dem Titelgläubiger das Recht zugestanden werden, die Annahme der Vorbehaltsleistung abzulehnen. Der Gläubiger kann aus dem vorläufig vollstreckbaren Berufungsurteil vollstrecken, muss es aber nicht. Er kann es ohne Angabe von Gründen bei dem bestehenden Zustand belassen und den Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils abwarten. Das Recht, die titulierte Leistung erst dann entgegenzunehmen, wenn er diese bedingungslos behalten darf, kann man dem Gläubiger nicht nehmen.

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Schließlich hat der Gläubiger auch nicht gegen das aus § 242 BGB folgende Verbot widersprüchlichen Verhaltens verstoßen, indem er die Vorbehaltsleistung nicht annahm. Der Gläubiger hat die Schuldnerin nicht durch die Zahlungsaufforderung in die für sie missliche Situation der fortdauernden Zinspflicht trotz Angebots einer Vorbehaltsleistung gebracht. Er hat die Schuldnerin zur Erfüllung ihrer Schuld aufgefordert, nicht zu einer Vorbehaltsleistung. Hätte er dies nicht getan und hätte die Schuldnerin die Vorbehaltsleistung nicht angeboten, hätte sie überdies ebenfalls Verzugszinsen bis zum Zeitpunkt der Erfüllung der Hauptforderung, zahlen müssen. Widersprüchlich wäre die Zurückweisung der Vorbehaltszahlung sicherlich dann gewesen, wenn der Gläubiger die Schuldnerin nicht nur zur Zahlung aufgefordert, sondern zugleich die Zwangsvollstreckung aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten Berufungsurteil angedroht hätte. Dies hat er jedoch nicht getan; er hat ausdrücklich erklärt, nicht vollstrecken zu wollen.

Ein Widerspruch zwischen den prozessualen Befugnissen und den materiellrechtlichen Pflichten der Schuldnerin als Titelschuldnerin besteht nicht. Die Schuldnerin hätte zwar den dem Gläubigern angebotenen und von diesem zurückgewiesenen Betrag als prozessuale Sicherheit nach §§ 711, 108 ZPO hinterlegen können. Unter den Voraussetzungen des § 372 BGB wirkt eine Hinterlegung schuldbefreiend, wenn die Rücknahme der hinterlegten Sache ausgeschlossen wird (§§ 378, 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB); ist die Rücknahme der hinterlegten Sache nicht ausgeschlossen worden, kann der Schuldner den Gläubiger auf die hinterlegte Sache verweisen und ist der Schuldner nicht verpflichtet, Zinsen zu zahlen oder Ersatz für nicht gezogene Nutzungen zu leisten (§ 379 Abs. 1 und 2 BGB). Die Hinterlegung von Geld als prozessuale Sicherheit (§ 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ist jedoch von der Hinterlegung als Erfüllungssurrogat (§§ 372 ff BGB) zu unterscheiden. Die Vorschriften der §§ 372 BGB sind nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar. Vielmehr galten bis zum 30.11.2010 die Vorschriften der Hinterlegungsordnung und gelten nunmehr die Vorschriften der Hinterlegungsgesetze der Länder9. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist die Umwandlung der Hinterlegung einer prozessualen Sicherheit in ein Hinterlegungsverhältnis nach §§ 372 ff BGB für möglich gehalten worden10. Eine Rückwirkung kommt dieser Umwandlung jedoch nicht zu. Auch dann, wenn die Schuldnerin einen Betrag in Höhe der Hauptforderung und der bis dahin angefallenen Zinsen als Sicherheit hinterlegt und nach Rechtskraft des Urteils zugunsten des Gläubigern auf die Rückgabe dieses Betrages verzichtet hätte, hätte sie bis zum Wirksamwerden dieser Erklärung Verzugszinsen zu zahlen gehabt.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. März 2012 – IX ZR 35/11

  1. BGH, Beschluss vom 25.05.1976 – III ZB 4/76, WM 1976, 1069; Urteil vom 19.01.1983 – VIII ZR 315/81, BGHZ 86, 267, 269[]
  2. RGZ 68, 424, 425; 98, 15, 17[]
  3. BGH, Urteil vom 24.02.1994 – IX ZR 120/93, WM 1994, 623, 625 mwN[]
  4. BGH, Urteil vom 24.06.1981 – IVa ZR 104/80, NJW 1981, 2244; vom 07.10.1982 – VII ZR 163/81, WM 1983, 21; vom 26.06.1984 – VI ZR 232/82, VersR 1984, 868; vom 21.09.1989 – III ZR 15/88, BGHR GG vor Art. 1/enteignungsgleicher Eingriff Verzögerungsschaden 1; BAGE 126, 198 Rn. 16; offen gelassen allerdings von BGH, Urteil vom 30.01.1987 – V ZR 220/85, ZZP 102, 366, 367 f[]
  5. OLG Karlsruhe VersR 1992, 370[]
  6. MünchKomm-BGB/Ernst, 5. Aufl., § 286 Rn. 94, § 288 Rn. 17; Staudinger/Löwisch/Feldmann, BGB, 2009, § 286 Rn. 120; Erman/Hager, BGB, 13. Aufl., § 286 Rn. 73; kritsch etwa Braun, AcP 184 [1984], 152, 161 ff; Krüger, NJW 1990, 1208, 1211; Kerwer, Die Erfüllung in der Zwangsvollstreckung [1996], S. 163 ff; Gaul/Schilken/BeckerEberhard, Zwangsvollstreckungsrecht, 12. Aufl., § 14 Rn. 71[]
  7. BGH, Urteil vom 05.05.2011 – IX ZR 176/10, NJW 2011, 2518 Rn. 17 ff, zVb in BGHZ 189, 320[]
  8. BGH, Urteil vom 24.06.1981 – IVa ZR 104/80, NJW 1981, 2244[]
  9. vgl. Zöller/Herget, ZPO, 29. Aufl., § 108 Rn. 15; Prütting/Gehrlein/K. Schmidt, ZPO, 3. Aufl., § 108 Rn. 7[]
  10. RG JW 1914, 466 Nr. 6; BGH, Urteil vom 19.10.1983 – VIII ZR 169/82, WM 1983, 1337, 1338[]
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