Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung – und die Prüfpflicht des Insolvenzgerichts

Das Insolvenzgericht hat im Rahmen der Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung sowohl im Amts- als auch im Antragsverfahren zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters vorliegen.

Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung – und die Prüfpflicht des Insolvenzgerichts

Aus den §§ 27, 56 ff InsO ergibt sich, dass die Bestellung eines Insolvenzverwalters – und damit auch des Sonderinsolvenzverwalters – allein durch das Insolvenzgericht erfolgt1. Zwar können die Gläubiger nach § 57 Abs. 1 InsO in der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters folgt, an dessen Stelle eine andere Person wählen. Seine Bestellung erfolgt auch in diesem Fall durch das Gericht. Die Entlassung eines Insolvenzverwalters aus wichtigem Grund erfolgt nach § 59 InsO ebenfalls durch das Insolvenzgericht. Nichts anderes gilt für die Entscheidung, überhaupt einen Sonderinsolvenzverwalter einzusetzen2.

In der Gläubigerversammlung kann allerdings die Frage, ob eine Sonderinsolvenzverwaltung eingesetzt werden soll, zu einem zulässigen Beratungsgegenstand gemacht werden. Die Gläubigerversammlung kann beschließen, dass ein Schadensersatzanspruch der Masse gegen den Verwalter geltend gemacht werden soll; sie kann zu der Frage Stellung nehmen, ob ein vom Sonderinsolvenzverwalter ermittelter Schadensersatzanspruch gegen den Verwalter durchgesetzt werden und ob die Entlassung des Verwalters oder des Sonderverwalters oder – etwa aus Kostengründen – die Aufhebung der Sonderinsolvenzverwaltung beantragt oder jedenfalls angeregt werden soll. Wenn das Insolvenzgericht den Antrag auf Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung oder auf ihre Aufhebung ablehnt, kommt für jeden einzelnen Gläubiger zur Durchsetzung des Beschlusses der Gläubigerversammlung entsprechend § 57 Satz 4, § 59 Abs. 2 Satz 2 InsO ein (abgeleitetes) Beschwerderecht in Betracht.

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Darüber, in welchem Umfang das Gericht an Beschlussfassungen der Gläubigerversammlung zur Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters gebunden ist, hat der Bundesgerichtshof noch nicht entschieden3. Die Frage ist für den vorliegenden Fall dahin zu beantworten, dass das Insolvenzgericht im Rahmen der Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung im Amts- wie im Antragsverfahren in gleichem Maße prüfen muss, ob die Voraussetzungen für die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters vorliegen. Es ist kein Grund ersichtlich, dass die Anforderungen an die Prüfungsintensität sich unterscheiden, je nachdem ob die Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung von Amts wegen oder auf Antrag der Gläubigerversammlung erfolgt. Der Grundsatz der Gläubigerautonomie rechtfertigt eine Unterscheidung nicht, weil sich diese nur im gesetzlichen Rahmen durchsetzen kann. Das Insolvenzgericht hat deshalb stets zu prüfen, ob die Anordnung der Sonderinsolvenzverwaltung (ausnahmsweise) masseschädlich oder gar gesetzeswidrig ist4.

Haben allerdings die Gläubiger auf die Geltendmachung ihres Gesamtschadensersatzanspruchs verzichtet oder wollen sie Ansprüche gegen den Insolvenzverwalter nicht geltend machen, weil etwa die Forderungsverfolgung zweifelhaft erscheint, die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters zu erheblichen Kosten und zu massiven sonstigen Belastungen des Verfahrens führt und damit der Erfolg des Gesamtverfahrens beeinträchtigt wird, kann ein entsprechender Beschluss der Gläubigerversammlung Einfluss auf die Entscheidung des Insolvenzgerichts haben5.

Das Insolvenzgericht darf die Entscheidung der Gläubigerversammlung, einen Sonderinsolvenzverwalter zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter zu bestellen, nicht einfach umsetzen, sondern muss prüfen, ob die Voraussetzungen einer Sonderinsolvenzverwaltung gegeben sind.

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Ein Sonderinsolvenzverwalter ist zu bestellen, wenn und soweit der Insolvenzverwalter aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen seine Aufgaben nicht wahrnehmen kann6. Eine solche Verhinderung des Verwalters ist wegen der in seiner Person bestehenden Interessenkollision gegeben, sofern Schadensersatzansprüche der Masse gegen ihn selbst geltend gemacht werden sollen. Zur Durchsetzung derartiger Ansprüche ist ein Sonderinsolvenzverwalter einzusetzen7, wenn der Insolvenzverwalter nicht entlassen und ein neuer Insolvenzverwalter bestellt wird. Dem Insolvenzgericht obliegt hierbei insbesondere die Prüfung, ob gegen den Insolvenzverwalter Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden sollen und ob solche Schadensersatzansprüche bestehen können.

Der Bundesgerichtshof hat noch nicht entschieden, ob das Insolvenzgericht sich davon überzeugen muss, dass solche Ansprüche tatsächlich bestehen8, ob sie glaubhaft gemacht sein müssen, ob sie sich schlüssig aus der Akte ergeben müssen oder ob es ausreicht, dass solche Schadensersatzansprüche möglich9, naheliegend10, nicht fernliegend11, nicht völlig fernliegend12 oder sie nicht von vornherein ausgeschlossen13 sind.

Richtigerweise muss sich das Insolvenzgericht hiervon nicht vorab überzeugen, will es die Sonderinsolvenzverwaltung zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen gegen den Insolvenzverwalter anordnen. Dies nähme die Aufgabe des Sonderinsolvenzverwalters vorweg. Im Übrigen hat allein das Prozessgericht, wenn es denn angerufen wird, über die Haftung des Insolvenzverwalters zu entscheiden14.

Es kann als Voraussetzung allerdings auch nicht genügen, dass ein Gesamtschadensersatzanspruch nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Dies wird sich in vielen Insolvenzverfahren nicht feststellen lassen, so dass hierin ein sinnvolles Abgrenzungskriterium nicht liegen kann und einer missbräuchlichen Verwendung des Instituts der Sonderinsolvenzverwaltung Tür und Tor geöffnet wäre. Vielmehr muss das Insolvenzgericht aufgrund des Akteninhalts oder nach dem Vortrag eines Verfahrensbeteiligten oder dem Beschluss der Gläubigerversammlung hinreichende rechtliche und tatsächliche Anhaltspunkte haben, dass ein Gesamtschadensersatzanspruch der Masse gegen den Insolvenzverwalter möglich erscheint15. Es muss, ähnlich wie im Prozesskostenhilfeverfahren, summarisch prüfen, ob das Bestehen eines Gesamtschadensersatzanspruchs gegen den Insolvenzverwalter hinreichend wahrscheinlich ist16.

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Weiter hat das Insolvenzgericht abzuwägen, welche Folgen die Bestellung eines Sonderinsolvenzverwalters für den Verwalter und den weiteren Verfahrensverlauf haben kann. Denn die Einsetzung eines Sonderinsolvenzverwalters kann neben erheblichen Kosten zu deutlichen Verfahrensverzögerungen führen und damit den Erfolg des Gesamtverfahrens beinträchtigen. Bei geringfügigen und zweifelhaften Ansprüchen kann es eher gerechtfertigt sein, auf die Bestellung eines Sonderverwalters zu verzichten, als bei hohen oder als gesichert zu beurteilenden Ansprüchen17. Hierbei wird es die Interessen der Insolvenzgläubiger zu beachten haben, weil das Verfahren primär in ihrem Interesse durchgeführt wird. Deswegen wird sich das Gericht nachvollziehbar begründete, dem gemeinsamen Interesse aller Gläubiger (§ 78 Abs. 1 InsO) nicht widersprechende Entscheidungen der Gläubigerversammlung zu Eigen machen und im Einzelfall von der Anordnung einer Sonderverwaltung absehen, wenn dies mit den sonstigen Regeln des Verfahrens vereinbar ist16.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21. Juli 2016 – IX ZB 58/15

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 20.02.2014 – IX ZB 16/13, NZI 2014, 307 Rn. 11[]
  2. vgl. BGH, Beschluss vom 23.04.2015 – IX ZB 29/13, NZI 2015, 651 Rn. 10; Urteil vom 16.07.2015 – IX ZR 127/14, NJW 2015, 3299 Rn. 16; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 14. Aufl., § 56 Rn. 59; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 56 Rn. 80[]
  3. vgl. BGH, Beschluss vom 23.04.2015, aaO[]
  4. BGH, Beschluss vom 20.02.2014 – IX ZB 16/13, NZI 2014, 307 Rn. 11[]
  5. vgl. HmbKomm-InsO/Pohlmann, 5. Aufl., § 92 Rn. 56[]
  6. BGH, Beschluss vom 02.03.2006 – IX ZB 225/04, NZI 2006, 474 Rn. 11[]
  7. BGH, Urteil vom 08.05.2008 – IX ZR 54/07, NZI 2008, 491 Rn. 16[]
  8. vgl. für den Fall, dass der Insolvenzverwalter solche Ansprüche bestreitet und plausibel einen anderen Tatsachenverlauf darstellt als die Gläubigerversammlung: Frege, Der Sonderinsolvenzverwalter, 2008, Rn. 218[]
  9. HK-InsO/Schmidt, InsO, 8. Aufl. § 92 Rn. 52; Jaeger/Müller, InsO, § 92 Rn. 44; Schmidt, InsO, 19. Aufl., § 92 Rn. 23[]
  10. Schmidt/Ries, aaO, § 56 Rn. 67: naheliegende Befürchtung[]
  11. AG Göttingen, ZIP 2006, 629, 630; Wittkowski/Kruth in Nerlich/Römermann, InsO, 2012, § 92 Rn. 18; HmbKomm-InsO/Frind, 5. Aufl., § 56 Rn. 42[]
  12. OLG München, ZIP 1987, 656, 657; AG Homburg, ZInsO 2008, 1146; AG Charlottenburg, ZIP 2015, 1497, 1498; HmbKomm-InsO/Pohlmann, aaO, § 92 Rn. 56; MünchKomm-InsO/Graeber, 3. Aufl., § 56 Rn. 156[]
  13. OLG München, ZIP 1987, 656, 657; Lüke in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2009, § 56 Rn. 77b[]
  14. vgl. Graeber/Pape, ZIP 2007, 991, 993 f[]
  15. vgl. Uhlenbruck/Zipperer, InsO, 14. Aufl., § 56 Rn. 57; vgl. auch HK-InsO/Riedel, 8. Aufl. § 56 Rn. 34[]
  16. vgl. Graeber/Pape, aaO[][]
  17. vgl. Graeber/Pape, aaO; HmbKomm-InsO/Pohlmann, aaO, § 92 Rn. 56[]
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