Aussonderungsgut – und seine Nutzung im Insolvenzeröffnungsverfahren

Der durch die Nutzung im Insolvenzeröffnungsverfahren eingetretene Wertverlust an Aussonderungsgut (hier: Lastkraftwagen) kann anhand der Kauf- und Rückkaufpreise und der nach der durchschnittlichen Laufleistung ermittelten Gesamtlebensdauer geschätzt werden.

Aussonderungsgut – und seine Nutzung im Insolvenzeröffnungsverfahren

Nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO kann das Insolvenzgericht anordnen, dass Gegenstände, die im Falle der Eröffnung des Verfahrens dem Verwertungsrecht des Insolvenzverwalters unterlägen oder deren Aussonderung verlangt werden könnte; vom Gläubiger nicht verwertet oder eingezogen werden dürfen und dass solche Gegenstände zur Fortführung des Unternehmens des Schuldners eingesetzt werden können, soweit sie hierfür von erheblicher Bedeutung sind. Eine entsprechende Regelung hat das Insolvenzgericht hier getroffen. Der aussonderungsberechtigte Gläubiger kann hierfür eine Entschädigung verlangen. Die Entschädigungsregelung des § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 Halbsätze 2 und 3 InsO in Verbindung mit § 169 Satz 2 und 3 InsO hat der Bundesgerichtshof dahingehend ausgelegt, dass eine Nutzungsausfallentschädigung in Form von Zinsen nach § 169 Satz 2 InsO erst für einen Zeitraum in Betracht kommt, der drei Monate nach der Anordnung des Insolvenzgerichts liegt1. Ausgleich des durch die Nutzung eingetretenen Wertverlustes kann der Gläubiger dagegen für den gesamten Nutzungszeitraum verlangen2.

Bei der Berechnung des Wertersatzanspruchs ist danach zu unterscheiden, ob dieser neben einer Nutzungsausfallentschädigung zu zahlen ist oder nicht. Die Nutzungsausfallentschädigung schließt die vertragsmäßige Abnutzung des Sicherungs- oder Aussonderungsgutes ein, so dass daneben nur der Ausgleich übermäßiger Nutzungen und Beschädigungen verlangt werden kann. In den ersten drei Monaten nach der Anordnung des Insolvenzgerichts, in denen noch kein Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung besteht, ist dagegen auch die übliche Abnutzung auszugleichen; denn die Anordnung nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 InsO gestattet nur die Nutzung, nicht aber den Verbrauch der betroffenen Gegenstände3. So liegt der Fall hier.

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Die Höhe des Wertersatzanspruchs bemisst sich nach der Differenz des Wertes der betroffenen Gegenstände bei Beginn und Ende der Nutzung4. Wie diese Werte zu ermitteln sind, ist in der Insolvenzordnung nicht näher geregelt. In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung5 und in der Kommentarliteratur6 wird teilweise eine Heranziehung der vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenen Abschreibungstabellen (AfA-Tabellen) befürwortet. Andere Autoren gehen eher davon aus, dass der Wertverlust konkret festzustellen sei7.

Darlegung und Beweis des Wertersatzanspruchs richten sich nach den allgemeinen Regeln des Zivilprozesses, insbesondere nach § 287 ZPO. Die Anknüpfung an Erfahrungssätze wie die vom Bundesministerium der Finanzen herausgegebenen Abschreibungslisten oder eine Berechnung auf der Grundlage des Verhältnisses der tatsächlichen Nutzung zur durchschnittlichen Gesamtnutzung, bei Fahrzeugen anhand der tatsächlichen Laufleistung zur durchschnittlichen Gesamtlaufleistung, kann danach ebenso zulässig sein wie die konkrete Berechnung des Wertverlustes anhand von Gutachten, welche den Wert der betroffenen Gegenstände zu Beginn und Ende des Nutzungszeitraums dokumentieren.

Gemäß § 287 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO entscheidet das Gericht dann, wenn Entstehung und Höhe eines Schadens streitig ist, unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Die Vorschriften des § 287 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO sind gemäß § 287 Abs. 2 ZPO in anderen vermögensrechtlichen Streitigkeiten entsprechend anzuwenden, wenn und soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

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Die grundsätzlich dem Tatrichter obliegende Beweiswürdigung kann vom Revisionsgericht lediglich daraufhin überprüft werden, ob sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 ZPO mit dem Streitstoff und den Beweisergebnissen auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt. Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für eine Beweiswürdigung, die nach § 287 ZPO zu erfolgen hat. Die Vorschrift des § 287 ZPO stellt geringere Anforderungen an das Maß für eine Überzeugungsbildung des Tatrichters, ist aber hinsichtlich der revisionsrechtlichen Überprüfung keinen anderen Maßstäben unterworfen als die Überzeugungsbildung im Rahmen des § 286 ZPO8.

Danach war im vorliegenden Fall die Beweiswürdigung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg9 für den Bundesgerichtshof nicht zu beanstanden: Das OLG Hamburg ist zutreffend von § 287 ZPO ausgegangen. Es hat sodann die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berechnung eines durch Nutzung eingetretenen Wertverlustes dargestellt. Maßgeblich ist die zeitanteilige lineare Wertminderung, die nach dem Verhältnis der tatsächlichen Nutzung zur voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer des betroffenen Gegenstandes zu ermitteln ist10. Da es hier um Fahrzeuge geht, hat das OLG Hamburg sich an den gefahrenen Kilometern orientiert. Den von der Gläubigerin mitgeteilten durchschnittlichen Wertverlust pro Kilometer hat es danach überprüft, welche Gesamtlaufleistung der einzelnen Fahrzeuge sich nach den mitgeteilten Kaufpreisen ergeben, und diese für plausibel gehalten.

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Darlegungs- und beweispflichtig für die nachteilige Veränderung des Sicherungs- oder Aussonderungsgutes ist der Gläubiger, welcher den Wertersatzanspruch geltend macht11. In einem Fall, welcher die Beschädigung des Aussonderungsguts betraf, hat der Bundesgerichtshof jedoch eine Beweiserleichterung in Form einer Feststellungslast des durch die insolvenzgerichtliche Anordnung begünstigten vorläufigen Insolvenzverwalters angenommen, welcher den Zustand der betroffenen Gegenstände bei Beginn des durch die Anordnung begründeten Nutzungsverhältnisses festzuhalten hat12. Nichts anderes gilt hinsichtlich des Wertverlustes, der durch die übliche Abnutzung eingetreten ist. Auch insoweit ist es dem Aussonderungsberechtigten in der Regel rechtlich und tatsächlich nicht möglich, den Wert der Fahrzeuge bei Wirksamwerden der Sicherungsanordnung konkret zu bestimmen. Der Insolvenzverwalter hat den Zustand der Fahrzeuge zu Beginn des Nutzungszeitraums nicht dokumentiert. Wäre stets eine konkrete Schadensberechnung nötig und hätte sich im Rahmen einer Begutachtung der Anfangszustand der Fahrzeuge nicht feststellen lassen, hätten sich die hieraus folgenden Schwierigkeiten nach den dann anzuwendenden Grundsätzen über die Beweisvereitelung nicht notwendig zum Nachteil der Gläubigerin ausgewirkt.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. September 2016 – IX ZR 52/15

  1. BGH, Urteil vom 03.12 2009 – IX ZR 7/09, BGHZ 183, 269 Rn. 28 ff; vom 08.03.2012 – IX ZR 78/11, NZI 2012, 369 Rn. 11[]
  2. BGH, Urteil vom 08.03.2012, aaO Rn. 14[]
  3. BT-Drs. 16/3227, S. 16; BGH, Urteil vom 08.03.2012, aaO Rn. 21 ff; vom 28.06.2012 – IX ZR 219/10, BGHZ 194, 1 Rn. 22[]
  4. BGH, Urteil vom 08.03.2012, aaO Rn. 23[]
  5. LG Erfurt, ZIP 2013, 281, 284[]
  6. MünchKomm-InsO/Tetzlaff, 3. Aufl., § 172 Rn. 16; HK-InsO/Landfermann, 8. Aufl., § 172 Rn. 9[]
  7. Uhlenbruck/Brinkmann, InsO, 14. Aufl., § 172 Rn. 10; HmbKomm-InsO/Büchler, 5. Aufl., § 172 Rn. 13c; Huber, LMK 2012, 333462 unter 3.; Streit, BB 2012, 2144[]
  8. BGH, Urteil vom 24.06.2008 – VI ZR 234/07, NJW 2008, 2910 Rn. 18 f; vom 21.01.2016 – III ZR 171/15, nv, Rn. 17[]
  9. OLG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2015 – 15 U 16/14[]
  10. BGH, Urteil vom 25.10.1995 – VIII ZR 42/94, NJW 1996, 250, 252[]
  11. BGH, Urteil vom 28.06.2012 – IX ZR 219/10, BGHZ 194, 1 Rn. 24[]
  12. BGH, Urteil vom 28.06.2012, aaO Rn. 28[]
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