Auf eine negative Feststellungsklage, mit der ein deutscher Besteller gegen belgische Konkursverwalter die Feststellung begehrt, dass er auf ein vor Konkurseröffnung über das Vermögen einer belgischen Gesellschaft geschlossenes Geschäft kein Entgelt mehr zu leisten habe, ist gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO diese Verordnung anzuwenden, nicht gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a) EuGVVO die EuInsVO. Solche Einzelverfahren gehen nicht unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervor und halten sich nicht eng innerhalb des Rahmens eines solchen Verfahrens im Sinne der Rechtsprechung des EuGH1. Hieran ändert nichts, dass die Entscheidung über die Durchführung des Vertrags den Konkursverwaltern überlassen ist. Die internationale Zuständigkeit richtet sich daher nach der EuGVVO, nicht nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.

Die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichts ergibt sich mithin aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12 2000 (EuGVVO).
Auf die vorliegende Klage ist gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVVO diese Verordnung anzuwenden, da es sich um eine Zivil- und Handelssache handelt und beide Parteien ihren Sitz in Mitgliedsstaaten der EU haben. Der Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. a) EuGVVO ist demgegenüber nicht gegeben, da es sich bei dem vorliegenden Verfahren nicht um einen Konkurs, einen Vergleich oder ein ähnliches Verfahren handelt.
Die Frage, ob und inwieweit sog. Annex-Verfahren oder Einzelverfahren, also Verfahren, die einen Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren aufweisen, ohne die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder andere Kernverfahrensteile des Insolvenzverfahrens selbst zu betreffen, in grenzüberschreitenden Sachverhalten in die Zuständigkeit der Gerichte des Staates der Insolvenzverfahrenseröffnung fallen (sog. „vis attractiva concursus“) oder nach allgemeinen, insolvenzunabhängigen Regeln zu beurteilen sind, war lange hochstreitig und ist auch heute noch nicht abschließend geklärt. Seit dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.05.2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO) ist die Lösung der Frage im Spannungsfeld des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO einerseits und Art. 1 Abs. 2 lit. a) EuGVVO andererseits verortet.Nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO sind für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaates zuständig, in dessen Gebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat. Eine ausdrückliche Regelung der internationalen Zuständigkeit für Einzelverfahren, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, enthält die EuInsVO nicht. Es besteht Einigkeit, dass Art. 1 Abs. 2 lit. a) EuGVVO im Lichte des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO auszulegen ist und dass der Europäische Verordnungsgeber zwischen beiden Verordnungen keine Lücke offen lassen wollte2.
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 12.02.20093 entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 EuInsVO dahin auszulegen ist, dass die Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen einen Anfechtungsgegner, der seinen satzungsmäßigen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, zuständig sind. Dabei hat es klargestellt, dass es unter Berücksichtigung insbesondere des sechsten Erwägungsgrundes der EuInsVO sowie dessen Art. 25 Abs. 1 Unterabsatz 2 entgegen verbreiteter Erwartung an seiner Rechtsprechung vor Inkrafttreten der EuInsVO festhält4, wonach Einzelverfahren, die sich auf ein Insolvenzverfahren beziehen, nicht in den Regelungsbereich des EuGVVO fallen, wenn sie unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und sich eng innerhalb des Rahmens dieses Verfahrens halten. Entscheidende Abgrenzungskriterien für die Zuordnung von Einzelverfahren zum Insolvenzverfahren und damit auch zur Zuständigkeit des Mitgliedstaates der Insolvenzeröffnung ist danach auch nach Inkrafttreten der EuInsVO,
- dass es unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgeht und
- dass es sich eng innerhalb des Rahmens dieses Verfahrens hält.
Für eine Insolvenzanfechtungsklage hat der EuGH dies in der genannten Entscheidung bejaht, für eine Klage auf der Grundlage eines abgetretenen Insolvenzanfechtungsrechts hingegen später verneint5. Die auf einen deutschen Eigentumsvorbehalt gestützte Klage gegen einen niederländischen Insolvenzverwalter hat der EuGH in einer weiteren Entscheidung ebenfalls nicht als insolvenzrechtlich angesehen; insbesondere sei die bloße Beteiligung eines Insolvenzverwalters für eine solche Einordnung nicht ausreichend6. Dabei hat er auch festgestellt, dass der Anwendungsbereich der EuGVVO weit, der der EuInsVO hingegen nicht weit ausgelegt werden sollte7. Demgegenüber hat der EuGH ein Einzelverfahren, bei dem über die Frage zu entscheiden war, ob ein schwedischer Konkursverwalter befugt war, über eine österreichische Gesellschaftsbeteiligung der Gemeinschuldnerin zu verfügen, als unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehende und sich in engem Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren befindliche Rechtsstreitigkeit im Sinne der genannten Rechtsprechung beurteilt8. Weitgehende Einigkeit besteht in der Literatur – auch in Anbetracht der Entscheidung des EuGH vom 12.02.2009 – demgegenüber, dass Passiv- und Aktivprozesse, also Klagen eines Insolvenzgläubigers betreffend Forderungen gegen den Gemeinschuldner sowie Klagen des Insolvenzverwalters nicht als insolvenzrechtlich einzuordnen sind, insbesondere nicht Forderungsbeitreibungen des Insolvenzverwalters aus Geschäften vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, da diese durch die Insolvenzeröffnung – mit Ausnahme des Wechsels der Verfügungsbefugnis – nicht tangiert werden9.
Vorliegend handelt es sich um eine negative Feststellungsklage, die auf die Feststellungen gerichtet ist, dass der Beklagten gegen die Klägerin keine Zahlungsansprüche aus einem vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Geschäft zustehen, sowie dass sich der Beklagte mit der Rücknahme von gelieferten Gläsern in Annahmeverzug befindet. Die Klage ist damit darauf gerichtet, Ansprüche abzuwehren, die die beklagten belgischen Konkursverwalter im Wege eines Aktivprozesses gegen die Klägerin geltend machen könnten. Das Einzelverfahren geht daher weder unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervor, noch hält es sich eng innerhalb des Rahmens des Insolvenzverfahrens. Vielmehr ist Gegenstand des Verfahrens ein Zahlungsanspruch, der weder inhaltlich noch verfahrensmäßig einen hinreichenden Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren aufweist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Entscheidung über die Durchführung des Vertrages den Beklagten als Konkursverwaltern der Gemeinschuldnerin überlassen war. Wollte man dies anders sehen, würde dies dazu führen, dass ein großer Teil der Einzelverfahren nur deshalb der EuInsVO unterworfen würden, weil – wie so oft – die beiderseitigen Leistungen noch nicht vollständig erbracht sind. Insbesondere würde dies der erklärten Auffassung des EuGH zuwiderlaufen, den Anwendungsbereich der EuGVVO weit und den der EuInsVO eng auszulegen.
Damit ist das Verfahren nicht als insolvenzrechtlich im Sinne des Art. 1 Abs. 2 lit. a) EuGVVO anzusehen und unterfällt daher den Regelungen der EuGVVO.
In Ziff.19 des zwischen den Vertragsparteien geschlossenen Werkliefervertrags haben diese eine wirksame Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten des Sitzes der Klägerin im Bezirk des angerufenen Landgerichts Karlsruhe gemäß Art. 23 Abs. 1 EuGVVO getroffen. Insbesondere entspricht die Vereinbarung der Form des Art. 23 Abs. 1 Satz 3 lit. a) Alt. 1 EuGVVO, da sie bei beiderseitiger Unterschrift schriftlich geschlossen wurde.
Landgericht Karlsruhe, Urteil vom 3. Januar 2014 – 14 O 94/13 KfH III
- EuGH, Urt. vom 12.02.2009 – C‑339/07[↩]
- vgl. Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 3. Aufl., Art. 1, Rn. 130, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil vom 12.02.2009 – C‑339/07, NJW 2009, 2189, ergangen auf Vorlagebeschluss des BGH vom 21.06.2007 – IX ZR 39/06, ZIP 2007, 1415[↩]
- EuGH, Urteil vom 22.02.1979, Gourdain/Nadler – C‑133/78, EuGHE 1979, 733[↩]
- EuGH, Urteil vom 19.04.2012, – C‑213/10, ZIP 2012, 1049[↩]
- EuGH, Urteil vom 10.09.2009, – C‑292/08, ZIP 2009, 2345[↩]
- EuGH, ebenda, Tz. 23 und 25[↩]
- EuGH, Urteil vom 02.07.2009, – C‑111/08, ZIP 2009, 1441[↩]
- Geimer/Schütze, a.a.O., MünchKomm- InsO/Reinhardt, Bd. 3, 2. Aufl., Art. 3 EuInsVO, Rn. 98; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 1, Rn. 37, jew. m.w.N.; so i.Erg. auch Musielak/Heinrich, ZPO, 10. Aufl, § 19a, Rn. 6 a.E. und Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 19a, Rn. 8 a.E., auch zur Unanwendbarkeit von § 19a ZPO auf solche Klagen[↩]