Der Insolvenzverwalter – und die Bankkonten des Schuldners

Der Insolvenzverwalter hat die ihm bekannten Konten der Hausbank des Schuldners innerhalb eines angemessenen Zeitraums darauf zu überprüfen, ob ihm die Kontounterlagen vollständig vorliegen und die Kontounterlagen Anhaltspunkte für anfechtungsrelevante Vorgänge enthalten.

Der Insolvenzverwalter – und die Bankkonten des Schuldners

Grob fahrlässige Unkenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen eines Insolvenzanfechtungsanspruchs setzt voraus, dass der Insolvenzverwalter seine Ermittlungspflichten in besonders schwerer, auch subjektiv vorwerfbarer Weise vernachlässigt hat. Hinsichtlich eines in den Drei-Monats-Zeitraums der Deckungsanfechtung fallenden Anfechtungstatbestandes liegt regelmäßig grob fahrlässige Unkenntnis vor, wenn der Insolvenzverwalter die Überprüfung der ihm bekannten von der Hausbank des Schuldners geführten Konten für mehr als drei Jahre ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterlässt und sich ihm aufgrund der aus den Kontounterlagen erkennbaren Zahlungsvorgänge und der ihm bekannten sonstigen Tatsachen weitere Ermittlungen hätten aufdrängen müssen.

Die Verjährung eines etwaigen Anspruchs des Insolvenzverwalters nach § 667 BGB in Verbindung mit § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO richtet sich für das im Jahr 2009 eröffnete Insolvenzverfahren nach den Regelungen über die regelmäßige Verjährung nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§ 146 Abs. 1 InsO analog). § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO führt dazu, dass die Hauptforderung, die durch die Aufrechnung erloschen wäre, für die Dauer und die Zwecke des Insolvenzverfahrens fortbesteht. Allerdings kann der Insolvenzverwalter diese insolvenzrechtliche Wirkung des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO nur innerhalb der Anfechtungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO durchsetzen; diese Frist ist auf die Hauptforderung entsprechend anwendbar und überlagert deren allgemeine Verjährungsfristen1.

Die dreijährige Regelfrist des § 195 BGB beginnt nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB frühestens mit dem Schluss desjenigen Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Ein etwaiger Anspruch des Insolvenzverwalters gemäß § 667 BGB, § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO ist (erst) mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahr 2009 entstanden. Denn vorher kann der Anspruch nicht als ein Recht der Insolvenzmasse im Sinne des § 146 Abs. 1 InsO in Verbindung mit § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB entstehen2.

Die Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 1 BGB erst mit dem Ende des Jahres, in welchem der Insolvenzverwalter Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners erlangt. Dabei kommt es auf die Kenntnis jener Tatsachen an, aus denen der Anspruch herzuleiten ist3. Positive Kenntnis hatte der Insolvenzverwalter im Streitfall nicht vor November 2014, weil ihm namentlich der Eingang der Investitionszulage auf dem Kontokorrentkonto und die Verrechnung mit dem Saldo bis dahin unbekannt waren. Der (positiven) Kenntnis steht nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB die grob fahrlässige Unkenntnis der tatsächlichen Anfechtungsvoraussetzungen gleich. Die Würdigung des Berufungsgerichts, der Lauf der Verjährungsfrist sei infolge grob fahrlässiger Unkenntnis des Insolvenzverwalters so frühzeitig in Gang gesetzt worden, dass Verjährung bereits vor dem Jahr 2017 eingetreten sei, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Die tatrichterliche Beurteilung, ob einer Partei der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis zu machen ist, unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur dahin, ob der Streitstoff umfassend, widerspruchsfrei und ohne Verstoß gegen Denk- und Erfahrungssätze gewürdigt worden ist und ob der Tatrichter den Begriff der groben Fahrlässigkeit verkannt oder bei der Beurteilung des Grades der Fahrlässigkeit wesentliche Umstände außer Betracht gelassen hat4. Dies ist vorliegend der Fall.

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Grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB liegt dann vor, wenn dem Gläubiger die Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt oder dasjenige nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten müssen. Ihm muss persönlich ein schwerer Obliegenheitsverstoß in seiner eigenen Angelegenheit der Anspruchsverfolgung vorgeworfen werden können5.

Dabei bezieht sich die grob fahrlässige Unkenntnis ebenso wie die Kenntnis auf Tatsachen, auf alle Merkmale der Anspruchsgrundlage. Dagegen ist grundsätzlich nicht vorausgesetzt, dass der Gläubiger hieraus die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht6. Ausreichend ist es, wenn dem Gläubiger aufgrund der ihm grob fahrlässig unbekannt gebliebenen Tatsachen hätte zugemutet werden können, zur Durchsetzung seiner Ansprüche gegen eine bestimmte Person aussichtsreich, wenn auch nicht risikolos Klage – sei es auch nur in Form einer Feststellungsklage – zu erheben7.

Den Gläubiger trifft dabei im Allgemeinen weder eine Informationspflicht noch besteht für ihn eine generelle Obliegenheit, im Interesse des Forderungsschuldners an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist Nachforschungen zu betreiben. Inwieweit der Gläubiger zur Vermeidung der groben Fahrlässigkeit zu einer aktiven Ermittlung gehalten ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das Unterlassen einer solchen Ermittlung ist nur dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Unterlassen aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen. Für den Gläubiger müssen konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein, sodass er aus verständiger Sicht gehalten ist, die Voraussetzungen des Anspruchs aufzuklären, soweit sie ihm nicht ohnehin bekannt sind8.

Diese Grundsätze gelten auch für die Verjährung eines durch den Insolvenzverwalter geltend zu machenden Rückgewähranspruchs aus Insolvenzanfechtung gemäß §§ 143, 146 InsO. Grob fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzverwalters von den tatsächlichen Anfechtungsvoraussetzungen setzt bei ihm eine besonders schwere, auch subjektiv vorwerfbare Vernachlässigung seiner Ermittlungspflichten voraus9.

Grobe Fahrlässigkeit kann insbesondere vorliegen, wenn der Insolvenzverwalter einem sich aufdrängenden Verdacht nicht nachgeht oder auf der Hand liegende, Erfolg versprechende Erkenntnismöglichkeiten nicht ausnutzt oder sich die Kenntnis in zumutbarer Weise ohne nennenswerte Mühen und Kosten beschaffen könnte10. Für die Frage, ob in diesen Fallgruppen das Unterlassen von Ermittlungen nach Lage des Sachverhalts als geradezu unverständlich erscheint11, ist einzubeziehen, dass der Insolvenzverwalter grundsätzlich verpflichtet ist, zum Zwecke der (Wieder)Auffüllung der Masse Anfechtungsansprüche zu ermitteln und geltend zu machen12.

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Insoweit ist jedoch stets zwischen der Verletzung der Ermittlungspflicht als solcher und dem Grad des Verschuldens zu unterscheiden13. Mit Blick darauf hängt die Frage, ob bei einer Verletzung der Ermittlungspflicht die Schwelle zur groben Fahrlässigkeit überschritten ist, von mehreren Faktoren ab.

Einerseits können besondere Umstände, welche eine grob fahrlässige Verletzung der Ermittlungspflicht begründen, darin liegen, dass dem Insolvenzverwalter ein Sachverhalt bekannt ist, bei dem er typischerweise mit anfechtungsrelevanten Vorgängen rechnen muss. Insoweit gelten für Insolvenzverwalter hohe, berufsbezogene Standards14.

Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich die grob fahrlässige Unkenntnis auf alle Tatbestandsmerkmale des jeweiligen Anfechtungsanspruchs beziehen muss. Grob fahrlässige Unkenntnis muss mithin insbesondere im Hinblick auf die Tatsachen vorliegen, welche die anfechtbare Rechtshandlung, die Gläubigerbenachteiligung und die besonderen objektiven und subjektiven Voraussetzungen des jeweiligen Anfechtungstatbestandes begründen. Sind dem Insolvenzverwalter nur einzelne der anspruchsbegründenden Tatsachen entweder positiv bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt, rechtfertigt dies allein noch nicht den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis des Anfechtungstatbestands insgesamt15. Dieser Vorwurf ist erst dann gerechtfertigt, wenn der Insolvenzverwalter weitere Ermittlungen unterlassen hat, obwohl ihm konkrete Verdachtsmomente zwingend hätten Anlass geben müssen, das Vorliegen auch der übrigen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Anfechtungstatbestands zu überprüfen.

Im Hinblick darauf setzt der Verjährungsbeginn nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB bei einer versäumten Aufklärung von anfechtbaren Vorgängen auf Konten des Schuldners voraus, dass der Verwalter seine Ermittlungspflichten in zweierlei Hinsicht – sowohl in Bezug auf den Zahlungsvorgang selbst als auch hinsichtlich der weiteren anspruchsbegründenden Umstände – in besonderem Maße verletzt hat. Nur dann kann für den Anfechtungsanspruch insgesamt eine grob fahrlässige Unkenntnis angenommen werden.

Ist dem Insolvenzverwalter ein anfechtbarer Zahlungsvorgang auf einem Schuldnerkonto unbekannt geblieben, bedarf es im ersten Schritt der Prüfung, ob die Unkenntnis des Zahlungsvorgangs selbst auf grober Fahrlässigkeit beruht. Das kann der Fall sein, wenn es der Insolvenzverwalter versäumt hat, sich die Kontoauszüge zu beschaffen.

Es ist unverzichtbar, dass der Insolvenzverwalter in angemessener Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens überprüft, ob zu den ihm bekannten Konten des Schuldners bei dessen Hausbank auch die Kontoauszüge für den kritischen Zeitraum im Sinne der § 130 Abs. 1, § 131 Abs. 1 InsO vorliegen. Insoweit darf sich der Insolvenzverwalter auch nicht ungeprüft auf die Vollständigkeit der ihm vom Schuldner übergebenen Unterlagen verlassen, weil er die Interessen der Gesamtheit der Insolvenzgläubiger wahrzunehmen hat16. Denn im vorgenannten Zeitraum muss er typischerweise mit anfechtungsrelevanten Vorgängen rechnen, auf die ihm die Kontoauszüge als eine auf der Hand liegende Erkenntnisquelle und ohne unverhältnismäßigen Aufwand17 den ersten Hinweis geben können. Gerade im Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem Kreditinstitut, über das dieser den hauptsächlichen Zahlungsverkehr abgewickelt hat, liegen anfechtbare Rechtshandlungen in Form von Verrechnungen und Zahlungen im kritischen Zeitraum nahe. Aus den Kontounterlagen der bei der Hausbank geführten Konten können sich zudem gerade im kritischen Zeitraum der §§ 130, 131 InsO anfechtungsrelevante Zahlungen an die institutionellen Gläubiger wie das Finanzamt und die Sozialversicherungsträger ergeben. Demgemäß muss der Insolvenzverwalter auch ohne konkrete Verdachtsmomente die Kontoauszüge auf Vollständigkeit prüfen, nicht oder nicht vollständig vorliegende Kontounterlagen bei dem Kreditinstitut anfordern und diese auswerten18.

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Die Überprüfung der Kontounterlagen auf Vollständigkeit, die Anforderung nicht (vollständig) vorliegender Kontoauszüge sowie die Überprüfung der Kontoauszüge auf verdächtige Zahlungen – immer bezogen auf den Drei-Monats-Zeitraum der §§ 130, 131 InsO – haben innerhalb eines den Umständen nach angemessenen Zeitraums zu erfolgen19.

Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Verwalter nach Insolvenzeröffnung vordringliche Aufgaben zuerst erledigen darf und muss. Zudem darf der Insolvenzverwalter in umfangreichen Insolvenzverfahren strukturiert etwaige Anfechtungsansprüche prüfen und so vorgehen, dass er zunächst die Buchhaltung des Schuldners nach inkongruenten Zahlungen im letzten Monat vor Antragstellung insbesondere an die institutionellen Gläubiger sichtet, sodann die Prüfung auf Zahlungen in den letzten drei Monaten vor Antragstellung ausweitet und anschließend immer weiter in der Prüfung zeitlich zurückgeht. Ebenso darf er zunächst Zahlungen an die institutionellen Gläubiger und erst daran anschließend die Zahlungen an andere Gläubiger auf Anfechtungsansprüche prüfen, so wie er auch nach dem Umfang der Zahlungen an einzelne Gläubiger und deren mutmaßlicher Zahlungsfähigkeit differenzieren darf20.

Es kann dahinstehen, ob feste Höchstfristen bestehen. Im Regelfall ist spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Grenze der Angemessenheit erreicht. Mit Blick auf den in allen Phasen des Insolvenzverfahrens prinzipiell geltenden Beschleunigungsgrundsatz21 kann dem Insolvenzverwalter für die Überprüfung der Kontounterlagen auf Vollständigkeit und deren Durchsicht grundsätzlich kein längerer Zeitraum zugestanden werden. Abhängig von den Umständen des Einzelfalls kann der Insolvenzverwalter auch gehalten sein, die vorgenannten Ermittlungsmaßnahmen schneller vorzunehmen. Denn der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, nach Insolvenzeröffnung umfassend und unverzüglich die Aussichten einer umfassenden Befriedigung der Gläubiger zu prüfen und daher insbesondere auch Anfechtungsansprüche zu ermitteln; dafür hat er entsprechendes Personal vorzuhalten oder Dritte als Dienstleister zu beauftragen22.

Grob fahrlässig handelt der Insolvenzverwalter, wenn er die Überprüfung der Kontounterlagen bei der Hausbank auf Vollständigkeit sowie die Kontobewegungen auf verdächtige Buchungen – bezogen auf den Drei-Monats-Zeitraum der §§ 130, 131 InsO – innerhalb der ihm regelmäßig zur Verfügung stehenden Frist unterlässt und dieses Verhalten aus der Sicht eines verständigen und auf sein Interesse bedachten Gläubigers als unverständlich erscheint. Dies hängt insbesondere von dem Umfang des Insolvenzverfahrens und der vom Insolvenzverwalter vorrangig zu treffenden Maßnahmen, von dem Umfang der Forderungsanmeldungen sowie der Anzahl der zu überprüfenden Konten ab. Der Vorwurf grob fahrlässiger Unkenntnis wird umso weniger gerechtfertigt sein, je unübersichtlicher die Verhältnisse des Schuldners und je aufwändiger und damit zugleich fehleranfälliger die Auswertung der Forderungsanmeldungen sowie der vorhandenen Unterlagen sind. Hierbei trifft den Insolvenzverwalter die sekundäre Darlegungslast, wenn und soweit er – anders als der grundsätzlich für die gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 Fall 2 BGB maßgeblichen Umstände darlegungs- und beweispflichtige Anfechtungsgegner, der sich auf die Einrede der Verjährung beruft23 – alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen24. Dies gilt etwa für die Schritte, die der Insolvenzverwalter zur Überprüfung der Kontounterlagen auf Vollständigkeit und der Kontobewegungen auf verdächtige Buchungen unternommen hat.

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Ist dem Insolvenzverwalter auf Grundlage der Kontoauszüge eine verdächtige Zahlung beziehungsweise Verrechnung zur Kenntnis gelangt oder hätte ihm ein solcher Vorgang nach den vorstehenden Ausführungen ohne grobe Fahrlässigkeit zur Kenntnis gelangen können, begründet dies allein noch nicht den Vorwurf der grob fahrlässigen Unkenntnis des Anfechtungstatbestands insgesamt25. Vielmehr kommt es im zweiten Schritt darauf an, ob sich dem Insolvenzverwalter weitere Ermittlungen im Hinblick auf einen möglichen Anfechtungsanspruch hätten aufdrängen müssen. Das ist dann der Fall, wenn und sobald jeder sorgfältig arbeitende Verwalter den aus den Kontoauszügen ersichtlichen Vorgang aufgrund konkreter Verdachtsmomente zum Anlass genommen hätte, dessen Anfechtbarkeit zu überprüfen. Unterlässt der Insolvenzverwalter in einem solchen Fall gleichwohl weitere Ermittlungen, wird seine Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände zu dem Zeitpunkt grob fahrlässig, an dem seine Nachforschungen zum Erfolg geführt hätten26. Dies ist im Einzelfall auf Grundlage einer Gesamtabwägung aller Umstände zu entscheiden. Maßstab ist, ob die dem Insolvenzverwalter bereits bekannten Tatsachen eine Unterlassung weiterer Ermittlungen im Hinblick auf die Voraussetzungen eines Anfechtungstatbestandes aus der Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Gläubigers als unverständlich erscheinen lassen.

Konkrete Verdachtsmomente können sich insbesondere aus einer Forderungsanmeldung ergeben. Insoweit ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass die Anmeldung einer Forderung zur Tabelle Informationen enthalten kann, welche dem Insolvenzverwalter die Kenntnis von Anfechtungsansprüchen vermitteln können27. Aus der Forderungsanmeldung können sich zudem Hinweise auf weitere Ermittlungserfordernisse und ansätze ergeben.

Auch der Zahlungsvorgang selbst kann verdächtige Elemente enthalten, die dem Insolvenzverwalter Anlass für weitere Ermittlungen geben können. Das kann etwa der Fall sein, wenn die Zahlung im Vergleich zu anderen Vorgängen besonders hoch ist, sofern sich die Höhe der Zahlung nicht ohne Weiteres mit der wirtschaftlichen Situation des Schuldners in Einklang bringen lässt, oder wenn sich die Zahlung in sonstiger Weise – etwa nach Empfänger oder Zeitpunkt – von den übrigen regelmäßigen Kontobewegungen abhebt.

Ebenso können sich aus dem Verhalten des Schuldners konkrete Verdachtsmomente ergeben. Insbesondere ist der Schuldner gehalten, dem Insolvenzverwalter die vollständigen Kontoauszüge und sonstige (Geschäfts)Unterlagen, aus denen der Hintergrund etwaiger anfechtbarer Zahlungen hervorgeht, vorzulegen (vgl. § 97 InsO). Werden dem Insolvenzverwalter diese Unterlagen ohne ersichtlichen Grund nicht (vollständig) zur Verfügung gestellt, wird dies jeder sorgfältige Verwalter regelmäßig zum Anlass für weitere Nachforschungen nehmen.

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Umgekehrt können die Umstände des Einzelfalls dazu führen, dass sich das Unterlassen weiterer Ermittlungen trotz vorliegender Verdachtsmomente als lediglich einfach fahrlässig darstellt. Auch insoweit ist es denkbar, dass besonders unübersichtliche Verhältnisse des Schuldners oder sonstige in dem Insolvenzverfahren oder dem Verhalten der Beteiligten begründete Umstände, wie etwa Verschleierungsmaßnahmen des Schuldners oder auch des Anfechtungsgegners selbst, Fehleinschätzungen des Insolvenzverwalters begünstigen und seine Untätigkeit nicht mehr als schlechterdings unverständlich erscheinen lassen.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen solcher Verdachtsmomente trägt der Anfechtungsgegner als derjenige, der sich auf die Einrede der Verjährung beruft. Doch kommt auch insoweit eine sekundäre Darlegungslast in Betracht.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 27. Juli 2023 – IX ZR 138/21

  1. vgl. BGH, Urteil vom 28.09.2006 – IX ZR 136/05, BGHZ 169, 158 Rn. 16 ff, 25; vom 12.07.2007 – IX ZR 120/04, NZI 2007, 582 Rn. 12; vom 17.07.2008 – IX ZR 148/07, NZI 2008, 547 Rn.19; siehe auch BFH, BFHE 249, 418 Rn. 11[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 30.04.2015 – IX ZR 1/13, WM 2015, 1246 Rn. 7 mwN; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 146 Rn. 9 mwN[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 18.05.2021 – II ZR 41/20, BGHZ 230, 61 Rn. 11; vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 15; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB, 2019, § 199 Rn. 62; MünchKomm-BGB/Grothe, 9. Aufl., § 199 Rn. 30[]
  4. vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2013 – XI ZR 498/11, BGHZ 196, 233 Rn. 32; vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 13; vom 09.05.2022 – VIa ZR 441/21, NJW 2022, 2028 Rn. 13; vom 14.07.2022 – VII ZR 422/21, WM 2022, 1743 Rn. 15[]
  5. vgl. BGH, Urteil vom 11.10.2012 – VII ZR 10/11, NJW 2012, 3569 Rn. 16; vom 08.05.2014 – I ZR 217/12, BGHZ 201, 129 Rn. 39; vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 14; vom 10.02.2022 – VII ZR 692/21, VersR 2022, 1039 Rn. 26[]
  6. vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20, NJW 2021, 918 Rn. 9; vom 18.05.2021 – II ZR 41/20, BGHZ 230, 61 Rn. 11; vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 15; vom 10.02.2022 – VII ZR 692/21, VersR 2022, 1039 Rn. 27[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 26.05.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn.20; vom 29.07.2021, aaO; vom 10.02.2022, aaO[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2016 – XI ZR 122/14, WM 2016, 780 Rn. 34; vom 26.05.2020 – VI ZR 186/17, NJW 2020, 2534 Rn. 21; vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20, BGHZ 231, 1 Rn. 16; vom 10.02.2022 – VII ZR 692/21, VersR 2022, 1039 Rn. 28[]
  9. vgl. BGH, Urteil vom 30.04.2015 – IX ZR 1/13, WM 2015, 1246 Rn. 10; Beschluss vom 15.12.2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn. 8; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 146 Rn. 11[]
  10. vgl. BGH, Urteil vom 30.04.2015 – IX ZR 1/13, WM 2015, 1246 Rn. 10; siehe auch BGH, Beschluss vom 15.12.2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn. 8; MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 146 Rn. 11; Uhlenbruck/Hirte/Borries, InsO, 15. Aufl., § 146 Rn. 2f; Schmidt/Büteröwe, InsO, 20. Aufl., § 146 Rn. 7[]
  11. vgl. BGH, Urteil vom 15.03.2016 – XI ZR 122/14, WM 2016, 780 Rn. 34 mwN[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 08.03.2012 – IX ZB 162/11, NZI 2012, 372 Rn. 11; Urteil vom 30.04.2015, aaO; Beschluss vom 14.01.2021 – IX ZB 27/18, NZI 2021, 505 Rn. 12; Jacoby in Kübler/Prütting/Bork, InsO, 2023, § 146 Rn. 6; Bork, ZIP 2005, 1120, 1123; Peters, KTS 2008, 295, 302; Fuchs, NZI 2017, 104; Kubusch/Graf, NZI 2018, 634, 637[]
  13. vgl. Kubusch/Graf, NZI 2018, 634 f[]
  14. vgl. Uhlenbruck/Hirte/Borries, InsO, 15. Aufl., § 146 Rn. 2 f; Jacoby in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2023, § 146 Rn. 6; Peters, KTS 2008, 295, 302[]
  15. vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn. 21[]
  16. vgl. Uhlenbruck/Mock, InsO, 15. Aufl., § 80 Rn. 92[]
  17. vgl. Kubusch/Graf, NZI 2018, 634, 636[]
  18. vgl. HK-InsO/Thole, 11. Aufl., § 146 Rn. 6; Schmidt/Büteröwe, InsO, 20. Aufl., § 146 Rn. 7; Bork, ZIP 2005, 1120, 1123; Kubusch/Graf, aaO S. 636 f; aA wohl MünchKomm-InsO/Kirchhof/Piekenbrock, 4. Aufl., § 146 Rn. 11[]
  19. vgl. HK-InsO/Thole, 11. Aufl., § 146 Rn. 6; siehe auch Jacoby in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2023, § 146 Rn. 6[]
  20. vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn.20[]
  21. vgl. Pape in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 14 Rn. 57; BeckOK-InsR/Madaus, 2023, § 1 InsO Rn. 34[]
  22. Uhlenbruck/Hirte/Borries, InsO, 15. Aufl., § 146 Rn. 2f; Jacoby in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2023, § 146 Rn. 6; Peters, KTS 2008, 295, 302[]
  23. vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn. 8; MünchKomm-BGB/Grothe, 9. Aufl., § 199 Rn. 46 mwN[]
  24. st. Rspr., vgl. statt aller: BGH, Urteil vom 08.03.2021 – VI ZR 505/19, NJW 2021, 1669 Rn. 27 mwN; vom 10.02.2022 – IX ZR 148/19, NZI 2022, 397 Rn.19[]
  25. vgl. auch Jacoby in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2023, § 146 Rn. 6[]
  26. vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2008 – XI ZR 395/07, NJW 2009, 587 Rn. 15; MünchKomm-BGB/Grothe, 9. Aufl., § 199 Rn. 31[]
  27. vgl. BGH, Beschluss vom 15.12.2016 – IX ZR 224/15, NZI 2017, 102 Rn. 21; vgl. Kubusch/Graf, NZI 2018, 634, 635[]
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