Die versagte Vollstreckbarerklärung – und der spätere Europäische Vollstreckungstitel

Wird die Vollstreckbarerklärung einer Entscheidung wegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO a.F. im Vollstreckungsstaat versagt, steht dies einer anschließenden Vollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung im selben Vollstreckungsstaat nicht entgegen.

Die versagte Vollstreckbarerklärung – und der spätere Europäische Vollstreckungstitel

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wendet sich die Schuldnerin gegen die Zwangsvollstreckung aus einem spanischen Vollstreckungstitel.

Der Gläubiger erwirkte vor dem Arbeits- und Sozialgericht Nr. 2 in Palma de Mallorca mit Datum vom 13.02.2013 einen Gerichtsbeschluss, mit dem der dortige Antragsgegner („D. Verlag H. „) unter anderem zur Zahlung von insgesamt 53.688, 06 € verpflichtet wurde. Im Jahr 2015 beantragte der Gläubiger eine Vollstreckbarerklärung dieses Gerichtsbeschlusses in Deutschland nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1. Die Vollstreckbarerklärung wurde letztinstanzlich durch Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30.04.2020 aufgrund eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO a.F. abgelehnt2. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt, dass der spanische Gerichtsbeschluss dem Antragsgegner nicht wirksam (öffentlich) zugestellt worden sei und dem Antragsgegner hiergegen kein effektiver Rechtsbehelf nach spanischem Recht zur Verfügung gestanden habe3.

Im Anschluss daran beantragte der Gläubiger beim Arbeits- und Sozialgericht in Spanien die Bestätigung des Gerichtsbeschlusses vom 13.02.2013 als Europäischen Vollstreckungstitel nach der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.04.2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen4 (EuVTVO). Mit Beschluss vom 23.06.2020, der als Schuldnerin „D. Verlag H. (jetzt H. , vertreten durch M. H. )“ ausweist, gab das Arbeits- und Sozialgericht in Spanien dem Antrag statt. Auf dieser Grundlage betreibt der Gläubiger im vorliegenden Verfahren die Zwangsvollstreckung in Deutschland gegen „M. H. H. „.

Gegen die durch den Gerichtsvollzieher angekündigte Zwangsvollstreckung hat die Schuldnerin „Erinnerung gem. § 766 ZPO“ eingelegt und neben der Rüge fehlender Parteiidentität geltend gemacht, der Zwangsvollstreckung stehe die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.20205 entgegen, in der ein Verstoß des spanischen Gerichtsbeschlusses gegen den ordre public festgestellt worden sei, worüber die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel dem Gläubiger nicht hinweghelfen könne. Die Erinnerung ist vor dem Amtsgericht Paderborn erfolglos geblieben6. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht Paderborn zurückgewiesen7. Die hiergegen gerichtete; vom Landgericht Paderborn zugelassene Rechtsbeschwerde der Schuldnerin wies der Bundesgerichtshof als unbegründet zurück:

Zutreffend hat das Landgericht Paderborn im Rahmen der von der Schuldnerin eingelegten „Erinnerung gem. § 766 ZPO“ sowohl über Einwendungen gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung (§ 766 Abs. 1 ZPO) entschieden als auch darüber befunden, ob die Vollstreckung nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO zu verweigern ist. Der Rechtsbehelf der Schuldnerin ist dahingehend auszulegen, dass sie Erinnerung nach § 766 Abs. 1 ZPO einlegt und einen Antrag nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO stellt. In entsprechender Anwendung von § 260 ZPO kann über beide gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Europäischen Vollstreckungstitel gerichteten Rechtsbehelfe in einem Verfahren entschieden werden.

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Welchen Rechtsbehelf die Schuldnerin eingelegt hat, ist im Wege der Auslegung der Rechtsbehelfsschrift zu ermitteln. Dabei sind – wie auch sonst bei der Auslegung von Verfahrenserklärungen – alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Auslegung, die der Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht uneingeschränkt selbst vornehmen kann, wird von dem Grundsatz beherrscht, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht8.

Gemessen daran macht die Schuldnerin mit ihrem Einwand fehlender Parteiidentität geltend, dass der Gerichtsvollzieher die Vollstreckungsvoraussetzung des § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht beachtet hat. Dieser Einwand, der sich auf das vom Gerichtsvollzieher zu beachtende Verfahren der Zwangsvollstreckung bezieht, kann nur im Erinnerungsverfahren nach Art.20 Abs. 1 EuVTVO, § 766 Abs. 1 ZPO verfolgt werden. Dieser Interessenlage entspricht der Wortlaut der von der Schuldnerin eingelegten „Erinnerung gem. § 766 ZPO“.

Dagegen wendet sich die Schuldnerin mit ihrem Einwand, der Vollstreckung aus dem Europäischen Vollstreckungstitel stehe die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.20205 entgegen, nicht gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung oder des bei ihr zu beachtenden Verfahrens. Dieser Einwand kann deshalb mit einer Erinnerung nach Art.20 Abs. 1 EuVTVO, § 766 Abs. 1 ZPO nicht geltend gemacht werden. Er ist vielmehr – worauf die Rechtsbeschwerde zutreffend abstellt – der Sache nach als ein Antrag nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO auszulegen.

Art. 21 Abs. 1 EuVTVO eröffnet für die Gerichte des Vollstreckungsstaats die Möglichkeit, die Vollstreckung aus einem Europäischen Vollstreckungstitel auf Antrag des Schuldners zu verweigern, wenn die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung mit einer früheren in einem Mitgliedstaat oder einem Drittland ergangenen Entscheidung unvereinbar ist, sofern – neben weiteren Voraussetzungen – die frühere Entscheidung zwischen denselben Parteien wegen desselben Streitgegenstands ergangen ist (Art. 21 Abs. 1 Buchst. a EuVTVO). Mit dem Verweis der Schuldnerin auf die Wirkungen der „entgegenstehenden rechtskräftigen Entscheidung des BGH“ in ihrer an das Voll- streckungsgericht gerichteten Rechtsbehelfsschrift hat die Schuldnerin in der Sache einen solchen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb ihrem wohlverstandenen Interesse, die „Erinnerung gem. § 766 ZPO“ dahingehend auszulegen, dass hiervon auch ein Antrag nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO umfasst ist. Die Interessen des Gläubigers, der sich der Sache nach im gesamten Verfahren gegen eine Anwendung von Art. 21 Abs. 1 EuVTVO gewandt hat, werden durch diese Auslegung nicht beeinträchtigt.

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Die Erinnerung nach Art.20 Abs. 1 EuVTVO, § 766 Abs. 1 ZPO und der Antrag nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO können in entsprechender Anwendung von § 260 ZPO in einem Verfahren verbunden werden, da für beide Rechtsbehelfe das gleiche Gericht in der gleichen Verfahrensart zuständig ist.

Über die Erinnerung nach Art.20 Abs. 1 EuVTVO, § 766 Abs. 1 ZPO entscheidet das Vollstreckungsgericht und damit das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Vollstreckungsverfahren stattfinden soll oder stattgefunden hat (§ 764 Abs. 1, 2 ZPO). Diese Zuständigkeit ist ausschließlich (§ 802 ZPO). Über den Antrag nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO entscheidet nach § 1084 Abs. 1 Satz 1, 2, § 764 Abs. 2 ZPO ebenfalls das Amtsgericht als Vollstreckungsgericht, in dessen Bezirk das Vollstreckungsverfahren stattfinden soll oder stattgefunden hat, in ausschließlicher Zuständigkeit (§ 1084 Abs. 1 Satz 3 ZPO).

Die Entscheidung nach Art.20 Abs. 1 EuVTVO, § 766 Abs. 1 ZPO ergeht durch Beschluss (§ 764 Abs. 3 ZPO) und erfordert keine mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 4 ZPO). Gegen die Entscheidung findet die sofortige Beschwerde statt (§ 793 ZPO). Die Entscheidung über den Antrag nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO ergeht gleichermaßen durch Beschluss (§ 1084 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und erfordert keine mündliche Verhandlung (§ 128 Abs. 4 ZPO). Gegen diese Entscheidung ist zudem die sofortige Beschwerde nach § 793 ZPO statthaft, da es sich ebenfalls um eine Entscheidung im Zwangsvollstreckungsverfahren handelt.

Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht Paderborn die Vollstreckungsvoraussetzung der Parteiidentität bejaht (Art.20 Abs. 1 EuVTVO, § 750 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Nach diesen Vorschriften darf die Vollstreckung unter anderem nur beginnen, wenn die Person gegen die sie stattfinden soll, in dem Europäischen Vollstreckungstitel namentlich bezeichnet ist. Im Rahmen der Prüfung dieser Voraussetzung ist die namentliche Bezeichnung des Schuldners im Europäischen Vollstreckungstitel nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen9.

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht Paderborn zu Recht angenommen, wogegen auch die Rechtsbeschwerde keine Einwendungen erhebt, dass die im Europäischen Vollstreckungstitel genannte Schuldnerin „D. Verlag H. (jetzt H. , vertreten durch M. H. )“ identisch ist mit der Schuldnerin „M. H. H. Medien“ des Vollstreckungsverfahrens.

Zutreffend ist das Landgericht Paderborn des Weiteren davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für eine Verweigerung der Vollstreckung nach Art. 21 Abs. 1 EuVTVO nicht vorliegen.

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Nach dem Wortlaut von Art. 21 Abs. 1 EuVTVO setzt die Verweigerung der Vollstreckung eines Europäischen Vollstreckungstitels grundlegend voraus, dass die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem Mitgliedstaat oder einem Drittland ergangen ist. Danach muss sich die frühere Entscheidung auf die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung beziehen10.

Auf dieser Grundlage stellt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.20205 keine frühere Entscheidung dar. Zwar mag die Entscheidung des spanischen Gerichts vom 23.06.2020, mit welcher der spanische Gerichtsbeschluss vom 13.02.2013 als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, mit der früheren Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.20205, wonach der Vollstreckbarerklärung des spanischen Gerichtsbeschlusses in Deutschland ein Anerkennungshindernis nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO a.F. entgegensteht, in einem gewissen Spannungsfeld stehen, da beide Entscheidungen im Ergebnis die Vollstreckung des spanischen Gerichtsbeschlusses in Deutschland betreffen (dazu sogleich). Unvereinbar mit der früheren Entscheidung des Bundesgerichtshofs könnte aber allenfalls die bestätigende Entscheidung vom 23.06.2020 sein, nicht hingegen die bestätigte vom 13.02.2013.

Darüber hinaus liegt auch keine Unvereinbarkeit der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.20205 wegen desselben Streitgegenstands im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Buchst. a EuVTVO vor. Anders als die Rechtsbeschwerde meint, ist Streitgegenstand nicht etwa in beiden Fällen die – weit gefasste – Frage nach der „Vollstreckbarkeit des zugrundeliegenden Titels im europäischen Ausland“. Die Entscheidung des Gerichts im Ursprungsstaat zur Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel und die Entscheidung des Gerichts im Vollstreckungsstaat zur Versagung der Vollstreckbarerklärung der Ausgangsentscheidung nach der EuGVVO a.F. betreffen unterschiedliche Streitgegenstände.

Nach allgemeiner Auffassung ist der Begriff des Streitgegenstands in Art. 21 Abs. 1 Buchst. a EuVTVO verordnungsautonom auszulegen und ist wie der „Anspruch“ in Art. 34 Nr. 4 EuGVVO a.F. zu bestimmen11. Die Bestimmung des Streitgegenstandes im Rahmen der EuVTVO richtet sich deshalb danach, was Kernpunkt des Verfahrens ist12. Entscheidend ist daher, ob Grundlage und Gegenstand der Verfahren identisch sind13.

Gemessen daran liegt keine Identität der Streitgegenstände vor, da die auf ihre Unvereinbarkeit hin zu beurteilenden Entscheidungen unterschiedliche Verfahren der grenzüberschreitenden Vollstreckung mit unterschiedlichen Voraussetzungen betreffen. Im Verfahren nach der EuGVVO a.F. geht es im Kern um die Herstellung der Vollstreckbarkeit eines ausländischen Titels im Voll- streckungsstaat14, während der Kernpunkt des EuVTVO-Verfahrens in der Schaffung eines neuen europaweit geltenden Vollstreckungstitels im Ursprungsstaat liegt. Eine Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat ist bei Letzterem gerade nicht vorgesehen (Art. 5 EuVTVO). Beide Verfahren haben einen unterschiedlichen Anwendungsbereich und auch ansonsten stimmen die Voraussetzungen für eine Bestätigung nach Art. 6 EuVTVO nicht mit denen der Art. 45, 34, 35 EuGVVO a.F. zur Verweigerung der Vollstreckbarerklärung überein15.

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Es entspricht des Weiteren dem Sinn und Zweck des übrigen Regelungskonzepts der EuVTVO, dass die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.04.20205 keinen Grund zur Verweigerung der Vollstreckung aus dem Europäischen Vollstreckungstitel darstellt. Entgegen der Rechtsbeschwerde scheidet daher eine analoge Anwendung von Art. 21 EuVTVO gleichermaßen aus. Wird die Vollstreckbarerklärung der Ausgangsentscheidung wegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO a.F. im Vollstreckungsstaat versagt, steht dies einer anschließenden Vollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Ausgangsentscheidung im selben Vollstreckungsstaat nicht entgegen.

Dies folgt aus der in Art. 27 EuVTVO festgelegten Wahlfreiheit des Vollstreckungsgläubigers zwischen einem Vorgehen nach der EuVTVO und einem solchen nach der EuGVVO a.F.

Nach Art. 27 EuVTVO berührt die EuVTVO nicht die Möglichkeit, die Anerkennung und Vollstreckung einer unbestrittenen Forderung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 (= EuGVVO a.F.) zu betreiben. Diese Regelung geht auf Erwägungsgrund Nr.20 der Verordnung zurück, wonach es dem Gläubiger freisteht, eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel zu betreiben oder sich für das Verfahren nach der EuGVVO a.F. zu entscheiden16. Innerhalb der Schnittmenge der jeweiligen Anwendungsbereiche konkurrieren die Verordnungen daher frei. Den Motiven des Verordnungsgebers ist zu entnehmen, dass der Gläubiger nach Versagung der Bescheinigung über den Europäischen Vollstreckungstitel nach wie vor aufgrund anderer Rechtsvorschriften die Anerkennung und Vollstreckung beantragen können soll17. Für den umgekehrten Fall gilt nichts anderes. Die von der EuVTVO intendierte Wahlfreiheit des Gläubigers wäre beeinträchtigt, wenn bei Ablehnung einer Vollstreckbarerklärung nach der EuGVVO a.F. ein Vorgehen nach der EuVTVO blockiert wäre18.

Die weiter bestehende Möglichkeit der Vollstreckung aus dem Europäischen Vollstreckungstitel ergibt sich zudem aus Art. 5 EuVTVO. Danach wird eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.

Daraus folgt, dass für die Prüfung, ob ein Anerkennungshindernis nach Art. 34 Nr. 2 EuGVVO a.F. vorliegt, unter Anwendung der EuVTVO kein Raum verbleibt19. Würde im Falle der Exequaturverweigerung im Vollstreckungsstaat dort auch die anschließende Vollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Ausgangsentscheidung verweigert, wäre das Anerkennungshindernis dagegen mittelbar auch auf unbestrittene Forderungen anwendbar, was in Art. 5 EuVTVO gerade nicht vorgesehen ist20.

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Schließlich hinderte, anders als von der Rechtsbeschwerde angenommen, ein Verstoß der spanischen Ausgangsentscheidung gegen das Recht der Schuldnerin auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union für sich betrachtet nicht die Vollstreckung aus dem Europäischen Vollstreckungstitel in Deutschland. Der Verordnungsgeber hat das ihm zustehende Ermessen, wie er die Einhaltung dieser Verfahrensgrundsätze gewährleisten möchte, in der EuVTVO (Art. 13 ff.) dahingehend umgesetzt, dass die Kontrolle der Einhaltung der Verfahrensrechte den Gerichten im Ursprungsstaat übertragen wird. Der Verordnungsgeber geht davon aus, dass die EuVTVO die Grundsätze berücksichtigt, die mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden, und verweist auf das gegenseitige Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege der Mitgliedstaaten21. Fehlentscheidungen in Einzelfällen, die sich daraus ergeben, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates eine Entscheidung als Europäischen Vollstreckungstitel bestätigen, obwohl diese unter Missachtung der Verfahrensvorschriften der Art. 13 ff. EuVTVO zustande gekommen ist, oder den Antrag auf Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. b EuVTVO zu Unrecht ablehnen, sind ebenso wie Fehlentscheidungen innerstaatlicher Gerichte hinzunehmen. Dieses Gesamtsystem verstößt nicht gegen höherrangiges Recht22.

Entgegen der Rechtsbeschwerde ist eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 21 Abs. 1 EuVTVO nicht geboten, weil die Auslegung keinem vernünftigen Zweifel unterliegt23. Nach den vorstehenden Ausführungen ist eindeutig, dass die Exequaturverweigerung wegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 2, Art. 45 EuGVVO a.F. im Vollstreckungsstaat einer anschließenden Vollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Ausgangsentscheidung im selben Vollstreckungsstaat nicht entgegensteht.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30. August 2023 – VII ZB 45/21

  1. ABl. EG Nr. L 12/1 vom 16.01.2001; fortan: EuGVVO a.F.[]
  2. BGH, Beschluss vom 30.04.2020 – IX ZB 12/19, MDR 2020, 754[]
  3. BGH, Beschluss vom 30.04.2020 – IX ZB 12/19 Rn. 12 ff., MDR 2020, 754[]
  4. ABl. EU Nr. L 143/15 vom 30.04.2004[]
  5. BGH, Beschluss vom 30.04.2020 – IX ZB 12/19[][][][][][]
  6. AG Paderborn, Beschluss vom 18.10.2020 – 13 M 633/20[]
  7. LG Paderborn, Beschluss vom 05.07.2021 – 5 T 265/20[]
  8. vgl. BGH, Urteil vom 01.08.2013 – VII ZR 268/11 Rn. 30, NJW 2014, 155; Beschluss vom 24.03.2009 – VI ZB 89/08 Rn. 8, NJW-RR 2010, 278[]
  9. vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2011 – VII ZB 42/08 Rn. 11, 14, NJW 2010, 2137[]
  10. Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 21 EuVTVO Rn. 6; Stein/Jonas/Domej, ZPO, 23. Aufl., Art. 21 EuVTVO Rn. 5; Hilbig in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand: Januar 2023, Art. 21 VO (EG) 805/2004 Rn. 7; Zenker in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand: Januar 2023, Art. 27 VO (EG) 805/2004 Rn. 9; im Ergebnis anders Oberhammer, JBl 2006, 477, 496; MünchKomm-ZPO/Adolphsen, 6. Aufl., Art. 27 EG-VollstrTitelVO Rn. 10[]
  11. vgl. Hilbig in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand: Januar 2023, Art. 21 VO (EG) 805/2004 Rn. 16; Hk-ZV/Stürner, 4. Aufl., Art. 21 EuVTVO Rn. 4[]
  12. vgl. EuGH, Urteil vom 06.12.1994 – C406/92, ZIP 1995, 943, Tz. 37 ff.; Urteil vom 08.12.1987 – C144/86, NJW 1989, 665, Tz. 16[]
  13. vgl. Stein/Jonas/Thole, ZPO, 23. Aufl., Art. 29 EuGVVO Rn. 24 ff. zur Kernpunkttheorie[]
  14. vgl. BGH, Beschluss vom 17.07.2008 – IX ZR 150/05 Rn. 10, WM 2008, 1794 zum Streitgegenstand der Klage nach § 722 ZPO[]
  15. Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Rn. 3195i; für unterschiedliche Streitgegenstände auch Zenker in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand: Januar 2023, Art. 27 VO (EG) 805/2004 Rn. 9; Taborowski, IPRax 2007, 250, 255[]
  16. vgl. auch BGH, Beschluss vom 04.02.2010 – IX ZB 57/09 Rn. 10, MDR 2010, 521[]
  17. vgl. den von der Kommission vorgelegten Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen vom 18.04.2002, KOM (2002) 159 endg – 2002/0090 (CNS), S. 16 f.[]
  18. Bittmann, IPRax 2011, 55, 57[]
  19. vgl. BGH, Beschluss vom 24.04.2014 – VII ZB 28/13 Rn. 15, BGHZ 201, 22 zum ordre public[]
  20. vgl. Zenker in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Stand: Januar 2023, Art. 27 VO (EG) 805/2004 Rn. 9; Pabst in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl., Art. 27 EG-VollstrTitelVO Rn. 10; Taborowski, IPRax 2007, 250, 255[]
  21. siehe Erwägungsgründe Nr. 11 und 18 zur EuVTVO[]
  22. vgl. BGH, Beschluss vom 24.04.2014 – VII ZB 28/13 Rn. 23 ff., BGHZ 201, 22; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 07.07.2022 – IX ZB 38/21 Rn. 9, IHR 2023, 181[]
  23. vgl. EuGH, Urteil vom 06.10.2021 – C561/19, NZBau 2022, 44 33 m.w.N.; Urteil vom 06.10.1982 – C-283/81, Slg. 1982, 3415[]
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