Factoring – und die Kenntnis des Forderungsverkäufers von der Zahlungsunfähigkeit

Im Rahmen des echten Factorings muss sich der Factor die Kenntnis des Forderungsverkäufers von der Zahlungsunfähigkeit des späteren Insolvenzschuldners oder den die Zahlungsunfähigkeit begründenden Umständen regelmäßig nicht allein wegen der den Forderungsverkäufer treffenden Pflichten zur Unterstützung des Factors bei der Forderungsdurchsetzung und zur Information des Factors über eine Zahlungsunfähigkeit begründende Umstände zurechnen lassen.

Factoring – und die Kenntnis des Forderungsverkäufers von der Zahlungsunfähigkeit

Allein aufgrund dieser Kenntnis des Forderungsverkäufers kann daher das Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen einer Insolvenzanfechtung nach § 130 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO – also die positive Kenntnis des Factors von der Zahlungsunfähigkeit der späteren Insolvenzschuldnerin – nicht angenommen werden.

Dem Factor ist die Kenntnis der Zedenten von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin nicht in entsprechender Anwendung von § 166 Abs. 1 BGB zuzurechnen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 166 Abs. 1 BGB entsprechend auch auf so genannte Wissensvertreter anzuwenden1. Wissensvertreter ist dabei jeder, der nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen ist, im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei anfallenden Informationen zur Kenntnis zu nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten. Der Geschäftsherr muss sich seiner im rechtsgeschäftlichen Verkehr wie eines Vertreters bedienen2; einer ausdrücklichen Bestellung zum rechtsgeschäftlichen Vertreter oder zum Wissensvertreter bedarf es hierfür nicht3. Die Wissenszurechnung beruht letztlich auf der Erwägung, dass der Geschäftsherr aus einer geschäftsorganisatorisch bedingten Wissensaufspaltung keine Vorteile ziehen soll4.

Nach diesen Maßstäben muss sich der Factor das Wissen des Zedenten nicht zurechnen lassen:

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Zwar kommt eine Wissenszurechnung auch im Rahmen der Insolvenzanfechtung in Betracht5. So hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass sich ein Gläubiger das Wissen eines externen Dritten, den er ausdrücklich mit dem Empfang der schuldnerischen Leistung oder mit der Durchsetzung einer Forderung gegen den späteren Insolvenzschuldner beauftragt hat, zurechnen lassen muss6. Ebenso hat der Bundesgerichtshof eine Wissenszurechnung für am Rechtsverkehr teilnehmende Organisationen etwa im Bankenbereich oder in der Versicherungswirtschaft, aber auch für Behörden angenommen, wenn es aufgrund einer arbeitsteiligen Organisation zu Wissensverlagerungen oder Wissensaufspaltungen kommt7.

Jedoch rechtfertigen weder die in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und in Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen niedergelegten Unterstützungs- und Informationspflichten der Zedentin eine Wissenszurechnung entsprechend § 166 Abs. 1 BGB, noch kann allein aus dem Umstand, dass die Factoringgesellschaft trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9.05.2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28.05.2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist, darauf geschlossen werden, dass die Factoringgesellschaft die Zedentin mit der Erledigung bestimmter Angelegenheiten in eigener Verantwortung betraut hat.

Aus den in Nr. 11.1 des Factoringvertrags und Nr. 4 Buchst. b der Allgemeinen Factoringbedingungen geregelten Pflichten der Zedentin, die Factoringgesellschaft bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen Debitoren zu unterstützen und Informationen über die Zahlungsunfähigkeit eines Debitors mitzuteilen, folgt keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung der Zedentin in Bezug auf die Factoringgesellschaft.

Bei diesen Regelungen handelt es sich um eine in echten Factoring-Verträgen typischerweise vorkommende Konkretisierung der sich bereits aus § 402 BGB ergebenden Nebenpflichten des Forderungsverkäufers8. Nach § 402 BGB ist der bisherige Gläubiger verpflichtet, dem neuen Gläubiger die zur Geltendmachung der Forderung nötige Auskunft zu erteilen. Die Vorschrift gibt dem neuen Gläubiger im Interesse der Verkehrsfähigkeit von Forderungen Hilfsansprüche gegen den bisherigen Gläubiger an die Hand, die dem neuen Gläubiger die erfolgreiche Durchsetzung der Forderung erleichtern sollen. Nach allgemeiner Meinung erstreckt sich die Auskunftspflicht des bisherigen Gläubigers auch auf die ihm bekannten persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners und auf solche Tatsachen und Umstände, die erst nach der Abtretung eingetreten sind oder die ihm erst nach der Abtretung bekannt geworden sind9. Bereits die Stellung des § 402 BGB im Gesetz spricht dafür, dass es sich bei der dort normierten Auskunftspflicht um eine reine Nebenpflicht des bisherigen Gläubigers handelt, deren Verletzung allenfalls eine Schadensersatzpflicht des bisherigen Gläubigers nach sich zieht10. Hingegen handelt es sich nicht um eine allgemeine Vorschrift zur Wissenszurechnung. Aus der Nebenpflicht des Forderungsverkäufers zur Auskunftserteilung beim echten Factoring folgt damit für sich genommen keine für eine Wissenszurechnung ausreichende Stellung im Verhältnis zum Factor.

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Auch im Übrigen fehlt es nach den vorliegenden Bedingungen des Factoringvertrags an einer die Wissenszurechnung begründenden Beauftragung oder Einbeziehung der Zedentin in die arbeitsteilige Organisation der Factoringgesellschaft. Nach Nr. 7.1 des Factoringvertrags obliegen die Mahn- und weitergehenden Rechtsverfolgungsmaßnahmen für alle angekauften und abgetretenen Forderungen der Factoringgesellschaft. Eine Beteiligung der Zedentin am Forderungseinzug ist gerade nicht vorgesehen. Diese ebenfalls für den echten Factoringvertrag typische Regelung11 entspricht dem Umstand, dass der Factor beim echtem Factoring Inhaber der Forderung wird, weil er die Forderung zur eigenen Durchsetzung auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko ankauft. Eine Einbeziehung des Forderungsverkäufers in die arbeitsteilige Organisation des Factors oder eine Beauftragung des Forderungsverkäufers mit dem Forderungseinzug ist damit nicht verbunden12. Der Forderungsverkäufer verkauft seine Forderungen an den Factor als (Finanz)Dienstleister, bleibt aber von diesem rechtlich und organisatorisch unabhängig. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage beim echten Factoring maßgeblich von derjenigen bei Geltendmachung einer Forderung im Wege der Beauftragung eines externen Dritten, etwa eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens, die die Forderung für den Gläubiger in dessen Interesse durchsetzen.

Schließlich erlauben die von der Zedentin zur Forderungsdurchsetzung zugunsten der Factoringgesellschaft vorgenommenen Handlungen im Streitfall keinen ausreichend sicheren Schluss auf eine Beauftragung oder eine arbeitsteilige Eingliederung des Forderungsverkäufers in den Forderungseinzug durch den Factor.

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Eine Zurechnung der Kenntnis eines Dritten als Wissensvertreter könnte zwar auch dann in Betracht kommen, wenn dieser ohne Vertretungsmacht oder ohne Auftrag gehandelt hat13. Eine Wissenszurechnung setzt dann aber das Bestehen konkreter Anhaltspunkte dafür voraus, dass das Tätigwerden des Dritten dem Geschäftsherrn bekannt ist und von diesem wenigstens gebilligt wird14. Die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wissenszurechnung erforderliche willentliche und bewusste Einschaltung des Dritten als Wissensvertreter des Geschäftsherrn darf nicht schlicht vermutet, sondern muss vom Tatrichter auf der Grundlage hinreichend tragfähiger Anhaltspunkte festgestellt werden. Es obliegt dem Insolvenzverwalter darzulegen und zu beweisen, dass der Factor Kenntnis von dem Tätigwerden des Forderungsverkäufers hatte und dies wenigstens gebilligt hat.

Solche Umstände ergeben sich hier nicht schon daraus, dass die Zedentin die Schuldnerin hinsichtlich der streitgegenständlichen Forderung zur Zahlung bis zum 27.05.2015 aufforderte, hierzu Druck auf die Schuldnerin ausübte und die Factoringgesellschaft trotz Verstreichens der Zahlungsfrist am 9.05.2015 bis zur Erfüllung der Forderung am 28.05.2015 gegenüber der Schuldnerin untätig geblieben ist. Dass die Factoringgesellschaft dieses Verhalten der Zedentin kannte und sich zunutze machte, kann allein aus ihrer Untätigkeit bezüglich dieser Forderung nicht gefolgert werden. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, dass die Zedentin oder andere Forderungsverkäufer sich auch bei weiteren an die Factoringgesellschaft abgetretenen Forderungen entsprechend verhalten haben und die Factoringgesellschaft dies duldete. Die Factoringgesellschaft weist mit Recht darauf hin, dass ein derartiges Tätigwerden des Forderungsverkäufers typischerweise zugleich in dessen eigenem Interesse erfolgt. Zum einen wirkt sich eine verspätete Zahlung des Debitors auf die Höhe der vom Forderungsverkäufer an den Factor zu zahlende Vergütung aus. Diese besteht bei dem auch hier angewandten Nominalwertverfahren aus einer festen Vergütung in Höhe eines prozentualen Anteils am Nominalbetrag der Forderung für die Delkredereübernahme und aus einem Zins, der auf das jeweilige Finanzierungsvolumen berechnet wird, wobei die Zinsen von der Gutschrift oder Auszahlung des Forderungskaufpreises bis zur Zahlung des Debitors oder dem Eintritt des Delkrederefalls zu zahlen sind15. Zum anderen kann das Bestehen noch zur Zahlung offener; vom Factor angekaufter Forderungen gegen einen bestimmten Schuldner den Ankauf weiterer Forderungen gegen diesen hindern, insbesondere, wenn das für den betreffenden Schuldner eingeräumte Debitorenlimit ausgeschöpft ist. Der Forderungsverkäufer hat jedoch zur Sicherung seiner eigenen Liquidität ein Interesse am fortlaufenden Forderungsankauf durch den Factor, was die fristgerechte Rückführung angekaufter Forderungen durch den Forderungsschuldner voraussetzt16.

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Bundesgerichtshof, Urteil vom 25. Mai 2023 – IX ZR 116/21

  1. vgl. BGH, Urteil vom 24.01.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104, 106 f mwN; vom 25.10.2018 – IX ZR 168/17, ZIP 2019, 35 Rn. 13[]
  2. BGH, Urteil vom 10.02.1971 – VIII ZR 182/69, BGHZ 55, 307, 311; vom 24.01.1992, aaO S. 107; vom 13.12.2012 – III ZR 298/11, NJW 2013, 448 Rn. 23[]
  3. BGH, Urteil vom 02.02.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30, 35 mwN[]
  4. BGH, Urteil vom 14.01.2016 – I ZR 65/14, NJW 2016, 3445 Rn. 61[]
  5. vgl. schon BGH, Urteil vom 15.01.1964 – VIII ZR 236/62, BGHZ 41, 17, 21 zu § 30 Nr. 1 KO; vom 31.10.2019 – IX ZR 170/18, NZI 2020, 223 Rn. 14[]
  6. BGH, Urteil vom 22.11.1990 – IX ZR 103/90, ZIP 1991, 39, 41; und vom 10.01.2013 – IX ZR 13/12, ZIP 2013, 174 Rn. 26 zum beauftragten Rechtsanwalt; vom 03.04.2014 – IX ZR 201/13, NZI 2014, 650 Rn. 38 zum Inkassounternehmen[]
  7. vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2005 – IX ZR 227/04, WM 2006, 194, 195; vom 16.07.2009 – IX ZR 118/08, BGHZ 182, 85 Rn. 16; vom 30.06.2011 – IX ZR 155/08, BGHZ 190, 201 Rn. 14 ff[]
  8. vgl. Bechtloff in Münchener Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. 6. Factoring-Vertrag, Anm. 48; Stumpf, BB 2021, 2056, 2059[]
  9. Staudinger/Busche, BGB, 2022, § 402 Rn. 10; MünchKomm-BGB/Kieninger, 9. Aufl., § 402 Rn. 5[]
  10. Staudinger/Busche, aaO Rn. 4; MünchKomm-BGB/Kieninger, aaO[]
  11. vgl. Bechtloff in Münchener Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. 6. Factoring-Vertrag, mit Anm. 42; Stumpf, BB 2021, 2056, 2059[]
  12. vgl. Staudinger/Schilken, 2023, § 166 BGB Rn. 21.1; Krüger, NZI 2021, 1008, 1009; Stumpf, aaO S.2059[]
  13. vgl. BGH, Urteil vom 24.01.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104, 107 f[]
  14. Lange, NZI 2020, 226; aA Stumpf, BB 2021, 2056, 2061[]
  15. vgl. Bechtloff in Münchener Vertragshandbuch 2, Wirtschaftsrecht I, 8. Aufl., VI. 6. Factoring-Vertrag, Anm. 37; Hopt/Merkt/Scharff, Vertrags- und Formularbuch zum Handels, Gesellschafts, Bank- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., IV. O. 1 Factoringvertrag, Anm. 12; Stumpf, BB 2021, 2056, 2058[]
  16. Stumpf, BB 2021, 2056, 2060[]
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