Gehaltszahlung, Insolvenzanfechtung – und tarifliche Ausschlussfristen

Rückforderungsansprüche aus Insolvenzanfechtung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 iVm. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO begegnen nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts keinen verfassungsrechtlichen Bedenken und unterfallen nicht der tariflichen Ausschlussfristen.

Gehaltszahlung, Insolvenzanfechtung – und tarifliche Ausschlussfristen

Anfechtungsgegner ist der Arbeitnehmer. Die Anfechtung richtet sich grundsätzlich gegen denjenigen, dem gegenüber die anfechtbare Handlung vorgenommen wurde, dh. gegen den Empfänger des anfechtbar übertragenen oder begründeten Rechts1. Das ist hier der Arbeitnehmer. Dass die Zahlungen teilweise an seine frühere Rechtsanwältin und den Gerichtsvollzieher geleistet wurden, ist für die Stellung des Arbeitnehmer als Anfechtungsgegner unschädlich. Hat der Schuldner in anfechtbarer Weise an einen vom Gläubiger mit dem Empfang der Leistung beauftragten Dritten geleistet, trifft die Rückgewährpflicht den Gläubiger und nicht den Empfangsbeauftragten2.

Der Arbeitnehmer erlangte im Monat vor Stellung des Insolvenzantrags eine Gehaltszahlung, die zu seiner inkongruenten Befriedigung führten. Damit ist der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erfüllt.

Um eine inkongruente Deckung im Sinn des Anfechtungsrechts handelt es sich bereits dann, wenn der Schuldner während der „kritischen Zeit“ der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag oder in der Zeit nach Stellung des Insolvenzantrags unter dem Druck unmittelbar drohender Zwangsvollstreckungsmaßnahmen leistet, um sie zu vermeiden3. Der Schuldner gewährt damit eine Befriedigung, die der Gläubiger „nicht in der Art“ zu beanspruchen hat. Unerheblich ist, ob die Zwangsvollstreckung im verfahrensrechtlichen Sinn schon begonnen hatte, als die Leistung des Schuldners erfolgte. Die Inkongruenz wird durch den zumindest unmittelbar bevorstehenden hoheitlichen Zwang begründet4.

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Die Schuldnerin (Arbeitgeberin) erbrachte die angefochtene Zahlung im Rahmen einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme. Es handelte sich deshalb nicht um eine freiwillige Handlung. Muss der Gläubiger den Schuldner durch die Zwangsvollstreckung oder die Drohung mit ihr zur Leistung zwingen, liegt der Verdacht nahe, dass der Schuldner nicht zahlungsfähig ist. Eine solche Leistung ist nicht insolvenzfest5.

Die nicht aufgeklärte Frage, in welchen Zeiträumen die Arbeit geleistet wurde, für die die Gegenleistungen erbracht wurden, kann auf sich beruhen. Das Bargeschäftsprivileg des § 142 InsO scheidet bereits deshalb aus, weil die Zahlungen nicht aufgrund einer Vereinbarung zwischen der Schuldnerin (Arbeitgeberin) und dem Arbeitnehmer, sondern unter dem Druck der Zwangsvollstreckung mit der Folge inkongruenter Befriedigung geleistet wurden6.

Die Vollstreckungskosten, die in den Beträgen enthalten sind, die der Kläger zurückfordert, sind von den Tatbeständen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO und des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfasst. Der Arbeitnehmer hat die geleisteten Vollstreckungskosten an die Masse zurückzugewähren. Die Kosten wurden dem Vermögen der Schuldnerin entzogen. Der Arbeitnehmer schuldete die Kosten als Auftraggeber der Vollstreckung zunächst. Dafür hätte er von der Schuldnerin Ersatz nach § 788 Abs. 1 Satz 1 ZPO verlangen können. Von der Kostenlast, die ihn zunächst traf, wurde der Arbeitnehmer zulasten der Masse befreit und hat ihr dafür Wertersatz zu leisten7.

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§ 131 Abs. 1 InsO begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Er verletzt insbesondere nicht die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG oder den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG iVm. dem durch Art.20 Abs. 1 GG gewährleisteten Sozialstaatsprinzip. Das hat das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung vom 27.02.2014 eingehend begründet8. Darauf nimmt das Bundesarbeitsgericht Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden. Hervorzuheben ist, dass eine verfassungskonforme Auslegung der §§ 129 ff. InsO zum Schutz des Existenzminimums in Fällen der hier gegebenen inkongruenten Deckung durch Erfüllung von Entgeltrückständen unter dem Druck der Zwangsvollstreckung ausscheidet. Bei solchen Vergütungsrückständen können Arbeitnehmer die zur Sicherung des Existenzminimums vorgesehenen und geeigneten staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen9.

Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch aus § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO ist als gesetzliches Schuldverhältnis der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien entzogen. Er unterfällt tariflichen Ausschlussfristen nicht. Das hat das Bundesarbeitsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung ausführlich begründet10.

Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch ist ebenso wie die vom Arbeitnehmer herangezogenen deliktischen Ansprüche und Aufwendungsersatzansprüche ein „Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis“ iSv. § 49 Abs. 1 RTV. Es genügt, dass sich der jeweilige Anspruch aus den Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergibt oder er seinen Entstehungsgrund in eng mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen rechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat11. Gleiches gilt unter diesen Voraussetzungen auch für die vom Arbeitnehmer genannten Schadensersatzansprüche aus § 717 Abs. 2 ZPO12.

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Insolvenzrechtliche Rückgewähransprüche unterliegen gleichwohl nicht der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien. Zentrale Argumente dafür sind, dass §§ 129 ff. InsO ohne jede Rücksicht auf ein in der Insolvenz fortbestehendes oder ein früheres Arbeitsverhältnis mit dem Insolvenzschuldner ein gesetzliches Schuldverhältnis begründen. Mit diesen Vorschriften hat der Gesetzgeber ein mit Ausschlussfristen unvereinbares, in sich geschlossenes Regelungssystem vorgegeben, das den Besonderheiten der Materie Rechnung trägt und wegen des Ziels der abschließenden Gesamtregelung zwingenden Charakter aufweist13.

Der Arbeitnehmer hat die Rückgewähransprüche des Klägers seit dem Folgetag der Insolvenzeröffnung mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen, soweit sie entstanden sind (§ 143 Abs. 1 Satz 2 InsO; § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB). § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO enthält eine Rechtsfolgenverweisung auf § 819 Abs. 1 BGB. Aufgrund dieser Anknüpfung ist der Rückgewähranspruch auf anfechtbar erlangtes Geld als rechtshängiger Anspruch zu behandeln. Die Regeln über Prozesszinsen sind anzuwenden. Unerheblich ist, dass der Insolvenzverwalter den Rückgewähranspruch erst später gegenüber dem Arbeitnehmer geltend gemacht hat. Die Insolvenzanfechtung braucht nicht gesondert erklärt zu werden. Der Rückgewähranspruch wird – von den Fällen des § 147 InsO abgesehen – mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig14. Die entstandenen Rückgewähransprüche sind jedoch nicht bereits mit dem Tag der Insolvenzeröffnung, sondern erst mit dem Folgetag zu verzinsen. Die Verzinsungspflicht nach § 187 Abs. 1 BGB beginnt erst mit dem Folgetag der Fälligkeit15.

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Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 3. Juli 2014 – 6 AZR 451/12

  1. vgl. BAG 27.02.2014 – 6 AZR 367/13, Rn. 11; 29.01.2014 – 6 AZR 345/12, Rn. 11[]
  2. vgl. BAG 27.02.2014 – 6 AZR 367/13, Rn. 11; BGH 17.12 2009 – IX ZR 16/09, Rn. 12[]
  3. vgl. BAG 27.02.2014 – 6 AZR 367/13, Rn. 14[]
  4. vgl. BAG 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, Rn. 24 f.; 19.05.2011 – 6 AZR 736/09, Rn. 12; BGH 18.12 2003 – IX ZR 199/02, zu I 2 a aa der Gründe, BGHZ 157, 242[]
  5. vgl. BAG 19.05.2011 – 6 AZR 736/09, Rn. 16[]
  6. vgl. BAG 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, Rn. 38 f. mwN[]
  7. vgl. BGH 12.02.2004 – IX ZR 70/03, zu II 3 der Gründe[]
  8. 6 AZR 367/13, Rn.19 ff., 27 ff.; s. auch 29.01.2014 – 6 AZR 345/12, Rn. 17 ff.[]
  9. vgl. BAG 27.03.2014 – 6 AZR 989/12, Rn. 43; 27.02.2014 – 6 AZR 367/13, Rn. 34; 29.01.2014 – 6 AZR 345/12, Rn. 43[]
  10. vgl. BAG 27.02.2014 – 6 AZR 367/13, Rn. 35 ff.; 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, Rn. 18 ff.; zustimmend Froehner NZI 2014, 133, 134; Hamann/Böing jurisPR-ArbR 7/2014 Anm. 1[]
  11. vgl. BAG 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, Rn. 15 mwN[]
  12. vgl. BAG 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, Rn. 15; 18.12 2008 – 8 AZR 105/08, Rn. 45 f.[]
  13. vgl. BAG 24.10.2013 – 6 AZR 466/12, Rn.20 f.[]
  14. vgl. BGH 1.02.2007 – IX ZR 96/04, Rn. 14, 19 f., BGHZ 171, 38[]
  15. vgl. BAG 27.02.2014 – 6 AZR 367/13, Rn. 39 f.; 17.09.2013 – 9 AZR 9/12, Rn.20[]
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