Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen

Über die Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen hat das Prozessgericht zu entscheiden, wenn deutsche Gerichte für die Einzelzwangsvollstreckung nicht zuständig sind (etwa, weil der Insolvenzschulder inzwischen in der Schweiz arbeitet).

Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen

Die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach § 36 Abs. 4 InsO folgt noch nicht aus der Anwendung der in § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO genannten vollstreckungsrechtlichen Beurteilungsnormen. Der Streit zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner über die Massezugehörigkeit von Lohnbestandteilen kann nur im Wege des Rechtsstreits vor dem Prozessgericht entschieden werden, wenn er – wie vorliegend – keine Vollstreckungshandlung und keine Anordnung des Vollstreckungsgerichts betrifft. Ob das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht gemäß § 36 Abs. 4 InsO oder das Prozessgericht in einem Rechtsstreit entscheidet, hängt davon ab, ob die Auseinandersetzung zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit als solcher geführt wird – dann gehört der Rechtsstreit vor das Prozessgericht – oder ob über die Zulässigkeit der Vollstreckung gestritten wird – dann entscheidet das Insolvenzgericht im Rahmen des § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 InsO als Vollstreckungsgericht1.

Allerdings bestimmt vielfach das als Vollstreckungsgericht handelnde Insolvenzgericht2 den Pfändungsfreibetrag nach § 850f Abs. 1 ZPO, § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, wenn der Arbeitgeber des Schuldners seinen Sitz in Deutschland hat. Dann ergeht die Anordnung des Insolvenzgerichts regelmäßig im Rahmen der Vollstreckung. Anders liegt es jedoch, wenn die Einzelvollstreckung im Ausland erforderlich wird, weil der Schuldner und sein Arbeitgeber sich im Ausland befinden. Das deutsche Vollstreckungsgericht ist dann für die im Ausland erforderlich werdende Einzelzwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Ausfertigung des Eröffnungsbeschlusses international nicht zuständig. Durch Gerichte der Bundesrepublik Deutschland angeordnete Vollstreckungsmaßnahmen können nicht in die Hoheitsgewalt eines anderen Staats eingreifen3. Für das Insolvenzverfahren gilt nichts anderes, sofern im Ausland belegene Massebestandteile betroffen sind (vgl. etwa Art. 18 Abs. 3 Satz 2 EuInsVO für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union)4.

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Die wiederholte Gegenvorstellung

Im vorliegenden Fall hat der Insolvenzverwalter im Wege der Vollstreckungshilfe Schweizer Gerichte Lohnbestandteile zur Masse gezogen. Mithin streiten die Verfahrensbeteiligten nicht über die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung in der Schweiz außerhalb der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte, sondern allein über die Massezugehörigkeit der Lohnbestandteile als solcher. Der Schuldner hätte deshalb den Insolvenzverwalter vor dem Prozessgericht (§ 19a ZPO) auf Feststellung verklagen können, dass nur ein über 5.070 Schweizer Franken hinausgehender Betrag seines monatlichen Arbeitslohns als Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse wäre gegeben. Das Prozessgericht hätte dann für Insolvenzverwalter und Schuldner verbindlich über die Zugehörigkeit des Arbeitseinkommens zur Insolvenzmasse zu befinden gehabt.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 5. Juni 2012 – IX ZB 31/10

  1. vgl. BGH, Urteil vom 25.10.1984 – IX ZR 110/83, BGHZ 92, 339, 340; vom 10.01.2008 – IX ZR 94/06, NZI 2008, 244 Rn. 7; Beschluss vom 11.05.2010 – IX ZB 268/09, NZI 2010, 584 Rn. 2; vgl. Ahrens in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 35 Rn. 169; Uhlenbruck/Hirte, InsO, 13. Aufl., § 35 Rn. 126; § 36 Rn. 54; Berkowsky, NZI 2010, 855; Vosberg/Klawa, EWiR 2011, 57; vgl. für Vollstreckungshandlungen in Deutschland BGH, Beschluss vom 26.04.2012 – IX ZB 273/11, Rn. 5, ZIP 2012, 1096[]
  2. vgl. Hirte aaO, § 36 Rn. 55[]
  3. BGH, Beschluss vom 13.08.2009 – I ZB 43/08, WM 2010, 520 Rn. 11 mwN[]
  4. vgl. auch Hirte, aaO, § 35 Rn. 130; vgl. auch BGH, Urteil vom 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16, 17 f; vom 13.07.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147, 150 f[]
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