Restschuldbefreiung kann unabhängig von der Dauer des Eröffnungsverfahrens regelmäßig erst sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt werden. Zeiten einer vom Insolvenzgericht zu vertretenden Verzögerung des Eröffnungsverfahrens sind auf die Laufzeit der Abtretungserklärung nicht anzurechnen.

Dies entschied jetzt der Bundesgerichtshof in einem Fall, in dem das Insolvenzverfahren vor dem 1.07.2014 beantragt worden ist, so dass gemäß Art. 103h Satz 1 EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis dahin geltenden Fassung maßgeblich waren und das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.20131 noch keine Anwendung findet.
Für das danach anwendbare Recht scheitert der Antrag des Schuldners, ihm zum 31.07.2013 die Restschuldbefreiung auszusprechen, an § 300 Abs. 1, § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO.
Nach diesen Bestimmungen ist über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung ohne vorzeitige Beendigung verstrichen ist, mithin grundsätzlich sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist2.
Das Insolvenzverfahren ist im hier entschiedenen Fall – auf den Antrag des aus dem Jahr 2007 – am 2.08.2012 eröffnet worden. Über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung ist deshalb nicht vor dem 2.08.2018 zu entscheiden:
Das Gesetz sieht in § 299 InsO ein vorzeitiges Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung nur dann vor, wenn es zu einer vorzeitigen Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296, § 297 oder § 298 InsO kommt. § 299 InsO ist entsprechend anzuwenden, wenn der Schuldner seinen Restschuldbefreiungsantrag zurücknimmt, der Antrag für erledigt erklärt wird oder das Verfahren durch den Tod des Schuldners sein Ende findet3. Keiner dieser Fälle liegt hier vor.
Der Bundesgerichtshof hat eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung außerdem in entsprechender Anwendung von § 299 gebilligt, wenn keine Gläubiger Forderungen zur Tabelle angemeldet haben oder alle Gläubiger des Schlussverzeichnisses vollständig befriedigt und keine Verfahrenskosten oder sonstige Masseverbindlichkeiten offen sind4. Diese Rechtsprechung hat in § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO in seiner ab dem 1.07.2014 geltenden Fassung Eingang gefunden5. Die Voraussetzungen dieser Ausnahme liegen hier ebenfalls nicht vor.
Eine verzögerte Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigt demgegenüber keine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist für den Beginn der Abtretungsfrist nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das Insolvenzverfahren ohne Verzögerung eröffnet worden wäre. Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung der Regelung in § 287 Abs. 2 Satz 1, §§ 299, 300 Abs. 1 InsO liegen insoweit nicht vor. Eine Analogie ist zulässig und geboten, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen6. Hieran fehlt es.
Es besteht schon keine planwidrige Regelungslücke. Nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes begann die Laufzeit der Abtretungserklärung mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO aF). Durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung vom 26.10.20017 wurde – neben einer Verkürzung der Laufzeit von sieben auf sechs Jahre – der Beginn der Laufzeit der Abtretungserklärung an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geknüpft. Mit der Lösung des Zeitpunkts der Erteilung der Restschuldbefreiung von der Dauer des eröffneten Verfahrens8 wollte der Gesetzgeber der Erkenntnis Rechnung tragen, dass es bei der Dauer von Insolvenzverfahren große Unterschiede gab. Er wollte die für den Schuldner unbefriedigende Situation beseitigen, dass sich in Einzelfällen die Restschuldbefreiung durch überlange Insolvenzverfahren unangemessen verzögerte, ohne dass nennenswerte Vermögensmassen feststellbar wären oder der Schuldner für diese Verfahrensverzögerung verantwortlich wäre9. Der Lauf der Abtretungserklärung sollte unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten mit dem Ereignis der Insolvenzeröffnung beginnen, das leicht feststellbar und von der Dauer des Insolvenzverfahrens unabhängig ist10. Der Gesetzgeber hat sich mithin im Zuge dieser Gesetzesänderung mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Restschuldbefreiung erteilt werden kann, befasst und sich für den Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungsfrist sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, dass die gefundene Regelung insoweit planwidrig unvollständig wäre, als sie den Beginn der Abtretungsfrist nicht bereits an den Zeitpunkt knüpft, zu dem das Insolvenzverfahren hätte eröffnet werden können.
Auch die weiteren Voraussetzungen einer Analogie sind nicht gegeben. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber den Zeitraum einer Verzögerung der Verfahrenseröffnung in die Laufzeit der Abtretungserklärung einbezogen hätte, wenn er eine solche Fallgestaltung bedacht hätte.
Die Restschuldbefreiung soll dem redlichen Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen11. Sie findet ihre innere Rechtfertigung zum einen darin, dass das pfändbare Vermögen des Schuldners, insbesondere der pfändbare Teil seines Arbeitseinkommens, über einen angemessenen Zeitraum zu Gunsten der Insolvenzgläubiger verwertet wird; dies ermöglicht während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Vorschrift des § 35 Abs. 1 InsO, die auch Neuerwerb dem Insolvenzbeschlag unterwirft, und während der Wohlverhaltensperiode die Abtretung der pfändbaren Forderungen auf Bezüge nach § 287 Abs. 2 InsO. Zum anderen setzt die Restschuldbefreiung voraus, dass der Schuldner nicht die Obliegenheiten verletzt, die ihm § 290 InsO für die Zeit vor und nach der Verfahrenseröffnung und § 295 InsO für die Wohlverhaltensperiode auferlegen.
Diese Voraussetzungen gelten allerdings nicht uneingeschränkt. Die Anknüpfung der Abtretungsfrist an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt dazu, dass über den Antrag auf Restschuldbefreiung schon vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden sein kann, wenn die Frist vor diesem Zeitpunkt abläuft12. Dann entfällt die Wohlverhaltensperiode, die Abtretung läuft leer und die Obliegenheiten des Schuldners nach § 295 InsO entfallen13. Die Interessen der Insolvenzgläubiger werden in diesem Fall dadurch gewahrt, dass das bei Verfahrenseröffnung vorhandene und das in den sechs Jahren danach hinzukommende Vermögen des Schuldners verwertet wird und bei einem Verstoß gegen die Obliegenheiten des § 290 InsO die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt werden kann. Während des Eröffnungsverfahrens ist die Situation demgegenüber eine andere. Zwar kann auch die Dauer dieses Verfahrensabschnitts vom Schuldner oft nicht beeinflusst werden. Anders als im eröffneten Verfahren ist aber das Vermögen des Schuldners, insbesondere sein laufendes Einkommen, nicht zugunsten der Gläubiger beschlagnahmt, und die Versagungsgründe des § 290 InsO knüpfen nur teilweise an ein Fehlverhalten des Schuldners im Eröffnungsverfahren an.
Wegen dieser Unterschiede muss eine Abwägung der Interessen der Gläubiger und des Schuldners nicht dazu führen, die Zeit des Eröffnungsverfahrens in gleicher Weise in die Laufzeit der Abtretungserklärung einzubeziehen wie die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung des § 287 Abs. 2 InsO erklärtermaßen die Laufzeit der Abtretung mit einem leicht feststellbaren Ereignis beginnen lassen wollte14. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn, wie es die Rechtsbeschwerde befürwortet, in die Abtretungsfrist auch eine vom Gericht zu verantwortende Verzögerung des Eröffnungsverfahrens eingerechnet werden müsste, sei es generell oder wenigstens dann, wenn das Befriedigungsinteresse der Gläubiger zurücktritt, weil der Schuldner über kein pfändbares Einkommen oder Vermögen verfügt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. Februar 2015 – IX ZB 44/13
- BGBl. I S. 2379[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.12 2009 – IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 14 ff, 28; vom 16.02.2012 – IX ZB 209/11, ZInsO 2012, 597 Rn. 7; vom 11.10.2012 – IX ZB 230/09, WM 2012, 2161 Rn. 8; vom 11.04.2013 – IX ZB 94/12, WM 2013, 1029 Rn. 5; jeweils mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.03.2005 – IX ZB 214/04, WM 2005, 1129, 1130 mwN[↩]
- BGH, Beschluss vom 17.03.2005, aaO S. 1130 f; vom 08.11.2007 – IX ZB 115/04, nv Rn. 5; vom 29.01.2009 – IX ZB 290/08, nv Rn. 2; vgl. MünchKomm-InsO/Ehricke, 3. Aufl., § 299 Rn. 13, 17; HK-InsO/Waltenberger, 7. Aufl., § 299 aF Rn. 5; Weinland in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 299 Rn. 7 f[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/11268 S. 30[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.2007 – V ZB 102/06, WM 2007, 1791 Rn. 11; vom 18.09.2014 – IX ZB 68/13, WM 2014, 2094 Rn. 14; jeweils mwN[↩]
- BGBl. I S. 2710[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.12 2009 – IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 16[↩]
- BT-Drs. 14/6468 S. 18; Gottwald/Ahrens, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 77 Rn. 42[↩]
- BT-Drs., aaO; BGH, Beschluss vom 18.07.2013 – IX ZB 11/13, WM 2013, 1569 Rn. 15[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.12 2009 – IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 21[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.12 2009, aaO Rn. 14[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.12 2009, aaO Rn.19[↩]
- BT-Drs. 14/6468, S. 18[↩]