Die Verfassungsbeschwerde gegen eine – verfassungsrechtlich bedenkliche – Verwehrung von Vollstreckungsschutz kann im Hinblick auf die bereits vollzogene Wohnungsräumung unzulässig sein.

So auch in dem hier vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommenen Verfassungsbeschwerde; zwar begegnet die Entscheidung der Fachgerichte, dem Räumungsschuldner ohne weitere Ermittlungen Vollstreckungsschutz zu verwehren, verfassungsrechtlichen Bedenken. Indes ist die Verfassungsbeschwerde mit Blick auf die bereits durchgeführte Zwangsvollstreckung unzureichend begründet worden:
Die Verfassungsbeschwerde wurde gleichwohl den Darlegungs- und Begründungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG nicht gerecht, weil der Räumungsschuldner sich nicht hinreichend mit den einfachrechtlichen und verfassungsprozessualen Folgen des Umstands auseinandersetzt, dass ihm aufgrund der am 20.07.2022 erfolgten Räumung Vollstreckungsschutz nicht mehr gewährt werden kann.
Nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist bei Zwangsräumungen mit der Einweisung des Gläubigers in den Besitz der Räume durch Übergabe der Schlüssel diese Vollstreckungsmaßnahme beendet und kann demgemäß vom Gerichtsvollzieher nicht mehr aufgehoben werden. Vielmehr müsste eine bereits endgültig vollzogene Zwangsvollstreckungsmaßnahme rückgängig gemacht werden1. Die Durchsetzung einer erneuten Einweisung des Schuldners in den Besitz der Räume kann nur als Vollstreckungsmaßnahme gemäß § 885 Abs. 1 ZPO gegen den Gläubiger erfolgen. Diese setzt nach § 750 Abs. 1 ZPO einen entsprechenden Vollstreckungstitel voraus, der nur aufgrund einer Klage im Erkenntnisverfahren erlangt werden kann2. Vor dem Hintergrund dieser fachgerichtlichen Rechtsprechung fehlen in der Verfassungsbeschwerde Ausführungen dazu, wie das Ziel, die bereits vollzogene Zwangsräumung rückgängig zu machen, im Rahmen eines Vollstreckungsschutzverfahrens erreicht werden kann. Denn der Antrag nach § 765a ZPO wird außerhalb des Erkenntnisverfahrens gestellt und ist lediglich auf die Einstellung der Zwangsvollstreckung des Gläubigers und damit gerade nicht auf die Erlangung eines Titels gegenüber dem Gläubiger gerichtet3.
Es hätte deshalb weiterer Ausführungen hinsichtlich eines gleichwohl bestehenden Rechtsschutzbedürfnisses im Verfahren der Verfassungsbeschwerde bedurft. Dies gilt umso mehr, als der – im Verfassungsbeschwerdeverfahren anwaltlich vertretene – Räumungsschuldner im Rahmen seiner Ausführungen zum Rechtsschutzbedürfnis auf einen Beschluss der Kammer vom 17.05.2022 – 2 BvR 661/22 – Bezug nimmt, in dem eben diese fachgerichtliche Rechtsprechung aufgegriffen und ihre verfassungsrechtlichen Folgen bewertet werden.
Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung des angegriffenen Hoheitsaktes oder jedenfalls für die Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit vorliegt4. Dieses Rechtsschutzbedürfnis muss noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts fortbestehen5. Bei Erledigung des mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens besteht das Rechtsschutzbedürfnis unter anderem in Fällen besonders tiefgreifender und folgenschwerer Grundrechtsverstöße fort, wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kaum erlangen konnte6. Der Grundrechtsschutz des Räumungsschuldners würde andernfalls in unzumutbarer Weise verkürzt7. Der Umstand, dass die Fachgerichte und das Bundesverfassungsgericht häufig außerstande sind, schwierige Fragen in kurzer Zeit zu entscheiden, darf nicht dazu führen, dass eine Verfassungsbeschwerde allein wegen des vom Räumungsschuldner nicht zu vertretenden Zeitablaufs als unzulässig verworfen wird8.
Demgemäß hätte der Räumungsschuldner, der seine Verfassungsbeschwerde nicht bereits am Tag der Räumung, sondern erst am 22.08.2022 und damit mehr als einen Monat nach Durchführung der Zwangsräumung eingelegt hat, substantiiert dazu ausführen müssen, weshalb die Voraussetzungen gegeben sein sollen, unter denen das Rechtsschutzbedürfnis im Verfahren der Verfassungsbeschwerde trotz Erledigung des verfolgten Begehrens fortbesteht. Diesen Anforderungen wird seine Verfassungsbeschwerde nicht gerecht.
Insbesondere ist weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich, dass gegen die angegriffene Maßnahme in dem hierfür zur Verfügung stehenden Zeitraum zwischen der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts und der Durchführung der Räumungsvollstreckung wirksamer Rechtsschutz nicht zu erlangen war. Auch wenn der Räumungsschuldner seinem Vortrag zufolge erst etwa drei Stunden vor der Räumung auf telefonische Nachfrage von der ablehnenden Entscheidung des Landgerichts vom 19.07.2022 erfahren hat, ist angesichts der Möglichkeit der Gewährung von Eilrechtsschutz durch das Bundesverfassungsgericht (§ 32 BVerfGG) nicht ersichtlich, dass der Räumungsschuldner nach dem regelmäßigen Geschäftsgang eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bis zum Beginn der Vollstreckung am 20.07.2022, 13:00 Uhr, kaum hätte erlangen können. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in anderen Fällen Rechtsschutz selbst bei kurzfristiger Antragstellung gewährt9. Soweit der Räumungsschuldner geltend gemacht hat, er sei aus psychischen Gründen an der sofortigen Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gehindert gewesen, hat er dies nicht ansatzweise erläutert.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 23. März 2023 – 2 BvR 1507/22
- vgl. BGH, Beschluss vom 21.12.2004 – IXa ZB 324/03 14 f.; Beschluss vom 15.10.2009 – VII ZB 1/09 10; Beschluss vom 02.03.2017 – I ZB 66/16 5[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 21.12.2004 – IXa ZB 324/03 15[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.05.2022 – 2 BvR 661/22, Rn. 28[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 138 <140> 146, 294 <308 f. Rn. 24>[↩]
- vgl. BVerfGE 21, 139 <143> 30, 54 <58> 33, 247 <253> 50, 244 <247> 56, 99 <106> 72, 1 <5> 81, 138 <140> 146, 294 <309 Rn. 24>[↩]
- vgl. BVerfGE 81, 138 <140 f.> 110, 77 <85 f.> 117, 244 <268> 146, 294 <309 Rn. 24> stRspr[↩]
- vgl. BVerfGE 34, 165 <180> 41, 29 <43> 49, 24 <51 f.> 81, 138 <141> 146, 294 <309 Rn. 24>[↩]
- vgl. BVerfGE 74, 163 <172 f.> 76, 1 <38 f.> 81, 138 <141> 146, 294 <309 Rn. 24>[↩]
- vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 15.03.2017 – 2 BvR 321/17[↩]
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