Wird dem Schuldner rechtskräftig vorzeitige Restschuldbefreiung erteilt, steht das Vermögen, das der Schuldner nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Restschuldbefreiung erwirbt, ihm auch dann zu, wenn das Insolvenzverfahren vor Erteilung der Restschuldbefreiung aufgehoben worden ist; diesen Neuerwerb hat der Treuhänder bis zur Entscheidung des Gerichts über den Antrag des Schuldners weiter einzuziehen, für die Masse zu sichern und nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben1. Kehrt der Treuhänder den von ihm nach Eintritt der tatbestandlichen Voraussetzungen für die vorzeitige Restschuldbefreiung eingezogenen Neuerwerb an die Gläubiger aus statt ihn nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner herauszugeben, so hat er insoweit persönlich dem Schuldner Schadensersatz zu leisten.

Die Frage, ob der im Restschuldbefreiungsverfahren nach §§ 286 ff InsO bestellte Treuhänder den Beteiligten in entsprechender Anwendung des § 60 InsO zum Schadensersatz verpflichtet sein kann oder, wie vom Landgericht Lübeck angenommen, ausschließlich nach allgemeinen Grundsätzen gemäß § 280 BGB haftet2, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden3. Sie bedarf auch vorliegend keiner Klärung, weil die Haftung des Treuhänders nach beiden Rechtsgrundlagen gegeben ist.
Mit Recht ist im hier entschiedenen Fall das Landgericht Lübeck4 davon ausgegangen, dass der Treuhänder die ihn auf Grund der Treuhänderstellung gegenüber der Insolvenzschuldnerin treffenden Pflichten verletzt hat, indem er die streitbefangenen Beträge in Höhe von 2.044, 98 € aus den Monaten September bis November 2020 nicht an die Insolvenzschuldnerin herausgegeben, sondern mit der Rechtsfolge des § 301 Abs. 3 InsO an die Gläubiger ausgekehrt hat. Damit liegt entgegen der in der mündlichen Verhandlung geäußerten Auffassung der Revision ein Schaden vor.
Wie das Landgericht Lübeck zutreffend angenommen hat, sind auf das vorliegende Verfahren nach Maßgabe des Art. 103k Abs. 1 und 2 EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der vor dem 1.10.2020 geltenden Fassung anzuwenden (im Folgenden: aF). Gemäß § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO aF (jetzt: § 300 Abs. 2 Satz 4 InsO nF) gelten die Vorschriften der §§ 299, 300a InsO aF entsprechend, wenn Restschuldbefreiung – wie hier – nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 InsO aF erteilt wird. Demnach gehört das Vermögen, das der Schuldner nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO aF erwirbt, nicht mehr zur Insolvenzmasse (§ 300a Abs. 1 Satz 1 InsO aF) und hat der Treuhänder bei Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung dem Schuldner den Neuerwerb herauszugeben (§ 300a Abs. 2 Satz 3 InsO). Diese gesetzliche Regelung begründet eine entsprechende Verpflichtung des Treuhänders. Verletzt er sie pflichtwidrig, haftet der Treuhänder dem Schuldner persönlich auf Schadensersatz.
Nach dem Wortlaut des § 300a Abs. 1 Satz 1 InsO aF, auf den § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO aF verweist, ist für den Neuerwerb allein auf den Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO aF abzustellen5. Die Gesetzesmaterialien belegen, dass keine die Rechtsfolgen des § 300a InsO aF modifizierende Verweisung beabsichtigt war. Der Bundesgerichtshof hatte für sogenannte asymmetrische Verfahren, in denen die Restschuldbefreiung zu erteilen ist, bevor das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren aufgehoben hat, entschieden, dass der Insolvenzverwalter bis zur Rechtskraft der Entscheidung, mit der im laufenden Verfahren Restschuldbefreiung erteilt wird, den pfändbaren Neuerwerb einzuziehen, für die Masse zu sichern und nach rechtskräftiger Erteilung der Restschuldbefreiung an den Schuldner auszukehren hat6. Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung war zunächst nur § 300a InsO-RegE enthalten, der diese höchstrichterliche Rechtsprechung umsetzen sollte7. § 300 Abs. 4 Satz 3 InsO aF ist auf Vorschlag des Bundesrates eingefügt worden. Laut der Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestages soll die entsprechende Anwendung von § 300a InsO aF verhindern, dass die Abtretung im Fall einer vorzeitigen Erteilung der Restschuldbefreiung erst mit Rechtskraft der Entscheidung endet8.
Das Abstellen auf den Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO aF ist auch nach Sinn und Zweck und auf Grund des systematischen Zusammenhangs der Regelung geboten. Das mit § 300 InsO aF bezweckte Anreizsystem9 führt in den regelhaften Fällen10, in denen nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden ist, dazu, dass der Insolvenzbeschlag nicht mehr eingreift und die Abtretungserklärung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 299 InsO Grundlage für die Einziehung des pfändbaren Einkommens ist. In Bezug auf den Neuerwerb unterscheidet sich die Interessenlage jedoch nicht vom sogenannten asymmetrischen Verfahren. In beiden Gestaltungen wird nach Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung der Restschuldbefreiung auf Grund der Abtretungserklärung Einkommen abgeführt, bis das Gericht über die Restschuldbefreiung entschieden hat11. Der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung hängt nicht nur von der Geschäftslage des Gerichts, sondern auch von dem Vorhandensein von Versagungsanträgen von Gläubigern ab und ist – im Unterschied zu den Voraussetzungen des § 300 InsO aF – vom Schuldner nicht zu beeinflussen. Ein sachlicher Grund, warum Einkommen bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Falle eines sogenannten asymmetrischen Verfahrens an den Schuldner herauszugeben, im Regelfall der vorangegangenen Aufhebung des Insolvenzverfahrens aber an die Gläubiger ausgekehrt werden soll, ist nicht ersichtlich. Die von der Revision angeführten praktischen Schwierigkeiten bei der individuellen Ermittlung des Zeitpunkts der Entscheidungsreife sind auch bei asymmetrischen Verfahren zu bewältigen und rechtfertigen eine solche Ungleichbehandlung jedenfalls nicht.
Den Treuhänder trifft auch ein Verschulden. Dies gilt unabhängig davon, ob für das Verschulden auf § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB oder auf § 60 Abs. 1 Satz 2 InsO abgestellt wird.
Das Landgericht Lübeck hat von seinem Standpunkt aus folgerichtig die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB als nicht widerlegt angesehen. Demgegenüber rügt die Revision, für den Treuhänder könne in der Wohlverhaltensperiode kein strengerer Haftungsmaßstab als derjenige für den Insolvenzverwalter im eröffneten Verfahren gelten, dessen Verschulden zu beweisen dem Anspruchsteller obliege. Diese Rüge hat keinen Erfolg. Zwar trifft den Geschädigten bei einer Haftung nach § 60 InsO die Beweislast für das Verschulden des Insolvenzverwalters12. Da schon die Frage der Pflichtwidrigkeit nach dem Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters zu beantworten und dessen Sorgfalt zugleich Maßstab für das nach § 60 Abs. 1 InsO erforderliche Verschulden ist, folgt jedoch aus der objektiven Pflichtverletzung regelmäßig – und so auch hier – der Fahrlässigkeitsvorwurf13.
Ein unverschuldeter Rechtsirrtum des Treuhänders ist nicht gegeben.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fordert der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Verpflichtete grundsätzlich das Risiko eines Irrtums über die Rechtslage selbst trägt; an das Vorliegen eines unverschuldeten Rechtsirrtums sind daher strenge Maßstäbe anzulegen14. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt bei einem Schuldner regelmäßig nur dann vor, wenn er die Rechtslage unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sorgfältig geprüft hat und bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt auch mit einer anderen Beurteilung durch die Gerichte nicht zu rechnen brauchte. Ein solcher Ausnahmefall ist etwa dann anzunehmen, wenn der Schuldner eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung für seine Auffassung in Anspruch nehmen konnte und eine spätere Änderung derselben nicht zu befürchten brauchte15. Musste der Schuldner dagegen mit der Möglichkeit rechnen, dass das zuständige Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnehmen würde als er, ist ihm regelmäßig ein Verschulden anzulasten16.
Auch im Haftungsrahmen des § 60 InsO wird vorausgesetzt, dass ein Insolvenzverwalter die Normen der Insolvenzordnung kennt oder sich zutreffend darüber informieren lässt17. Bei rechtlichen Zweifelsfragen handelt der Insolvenzverwalter nicht schuldhaft, wenn er sich nach sorgfältiger Prüfung eine Rechtsansicht gebildet hat, die sich mit guten Gründen vertreten lässt18.
Das Landgericht Lübeck hat unter Beachtung dieser Grundsätze zutreffend ausgeführt, dass der Treuhänder sich im Zeitpunkt seines Verhaltens Ende 2020 nicht schon deshalb auf die in der Berufungsbegründung allein angeführte, 2014 erschienene Kommentierung19 verlassen konnte, weil in diesem Zeitpunkt bereits die weit umfangreichere Kommentierung der Folgeauflage vorlag, in der diese Auffassung an entsprechender Stelle nicht erwähnt wurde20. Das gilt umso mehr, als die in der 3. Auflage vertretene Auffassung, ohne dies zu problematisieren und zu begründen; vom Wortlaut der gesetzlichen Verweisung abwich. Im Übrigen bezieht sich die Kommentierung in der 3. Auflage21 wegen der Einzelheiten auf die Erläuterungen zu § 300a. Dort aber wird als unklar angesehen, welcher Zeitpunkt mit der Formulierung „Nach Eintritt der Voraussetzungen des § 300 Abs. 1 S. 2 InsO“ gemeint sei; maßgeblich dürfte der Zeitpunkt sein, zu dem die Entscheidungsvoraussetzungen nach dieser Vorschrift vorgelegen hätten22.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. März 2023 – IX ZR 150/22
- Fortführung von BGH, Beschluss vom 03.12.2009 – IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 ff[↩]
- zum Meinungsstand vgl. Uhlenbruck/Sternal, InsO, 15. Aufl., § 292 Rn. 15 f[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.07.2008 – IX ZR 118/07, NZI 2008, 607 Rn.20[↩]
- LG Lübeck, Urteil vom 07.07.2022 – 14 S 122/21[↩]
- so auch LG Bochum, NZI 2021, 634, 635; Graf-Schlicker/Kexel, InsO, 6. Aufl., § 300 Rn. 27; Jaeger/Preuß, InsO, § 300a Rn. 18; Uhlenbruck/Sternal, 15. Aufl., InsO, § 300 Rn. 48, § 300a Rn. 6[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.12.2009 – IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rn. 38 f[↩]
- BT-Drs. 17/11268, S. 17, 31[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/13535, S. 28[↩]
- vgl. BT-Drs. 17/11268, S. 1[↩]
- vgl. Ahrens, NJW-Spezial 2021, 725, 726[↩]
- vgl. Jaeger/Preuß, InsO, § 300a Rn. 17; Allemand, NZI 2021, 636[↩]
- MünchKomm-InsO/Schoppmeyer, 4. Aufl., § 60 Rn. 121[↩]
- BGH, Urteil vom 26.06.2014 – IX ZR 162/13, NZI 2014, 757 Rn. 24; HK-InsO/Lohmann, 11. Aufl., § 60 Rn. 30; MünchKomm-InsO/Schoppmeyer, aaO Rn. 90[↩]
- BGH, Urteil vom 12.07.2006 – X ZR 157/05, NJW 2006, 3271 Rn.19[↩]
- BGH, Urteil vom 11.06.2014 – VIII ZR 349/13, NJW 2014, 2717 Rn. 35[↩]
- BGH, Beschluss vom 21.12.1995 – V ZB 4/94, BGHZ 131, 346, 353 f[↩]
- BGH, Urteil vom 09.06.1994 – IX ZR 191/93, NJW 1994, 2286, 2287, zu § 82 KO; Graf-Schlicker/Webel, InsO, 6. Aufl., § 300 Rn.19[↩]
- BGH, Beschluss vom 03.02.2011 – IX ZR 231/09 3; HK-InsO/Lohmann, InsO, 11. Aufl. § 60 Rn. 31; Jaeger/Gerhardt, aaO, § 60 Rn. 120[↩]
- MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 300 (neu) Rn. 36[↩]
- vgl. MünchKomm-InsO/Stephan, 4. Aufl., § 300 Rn. 90[↩]
- MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 300 (neu) Rn. 37 aE[↩]
- MünchKomm-InsO/Stephan, 3. Aufl., § 300a (neu) Rn. 4[↩]