Vollziehung einer Unterlassungsverfügung – und die gescheiterte Zustellung von Anwalt zu Anwalt

Ist der Versuch, eine durch Urteil erlassene einstweilige Unterlassungsverfügung von Anwalt zu Anwalt zuzustellen (§ 195 ZPO), an der verweigerten Rückgabe des Empfangsbekenntnisses durch den bestellten Prozessvertreter des Verfügungsbeklagten gescheitert, liegt keine vollendete und damit wirksame Vollziehung im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO vor.

Vollziehung einer Unterlassungsverfügung –  und die gescheiterte Zustellung von Anwalt zu Anwalt

Die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einer einstweiligen Unterlassungsverfügung ist nicht schlechthin ausgeschlossen. Nach § 936 ZPO finden auf die Anordnung einstweiliger Verfügungen und das weitere Verfahren die Arrestvorschriften Anwendung, soweit nicht die §§ 937 ff. ZPO abweichende Vorschriften enthalten. Da letzteres nicht der Fall ist, ist die Gewährung von einstweiligem Vollstreckungsschutz gemäß § 924 Abs. 3 Satz 2 ZPO grundsätzlich möglich. Nach einhelliger Auffassung scheidet sie allerdings wegen der sich aus der Natur des Verfahrens der einstweiligen Verfügung ergebenden Besonderheiten regelmäßig aus1. Ein Ausnahmefall, in dem die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus einer Unterlassungsverfügung für möglich erachtet wird, liegt vor, wenn sich feststellen lässt, dass die erlassene einstweilige Verfügung innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO nicht wirksam vollzogen wurde und deshalb gemäß § 927 ZPO aufzuheben sein wird2.

Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Die vom Landgericht erlassene einstweilige Verfügung wurde nicht wirksam vollzogen.

Gemäß § 936 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO muss eine einstweilige Verfügung innerhalb eines Monats vollzogen werden. Ist die einstweilige Verfügung wie hier durch Urteil erlassen worden, beginnt die Frist mit der Urteilsverkündung3. Bei einer Unterlassungsverfügung besteht die Besonderheit, dass deren Vollziehung, also ihre nicht auf Befriedigung, sondern nur auf Sicherung des Gläubigers gerichtete Vollstreckung, an sich überhaupt nicht oder zumindest so lange unmöglich ist, als der Schuldner ihr nicht zuwiderhandelt. Auch für eine ein Verbot oder Gebot aussprechende Beschlussverfügung gilt aber der sich aus § 929 Abs. 2 ZPO ergebende Grundsatz, dass sich ein Gläubiger, der in einem nur vorläufigen Eilverfahren einen Titel erwirkt hat, rasch entscheiden muss, ob er von diesem Titel Gebrauch machen will oder nicht4. Die Kundgabe des Willens, von dem erstrittenen Titel Gebrauch zu machen, muss notwendigerweise vom Gläubiger ausgehen und dem Schuldner gegenüber erfolgen. Es entspricht deshalb allgemeiner Ansicht, dass die amtswegige Zustellung der Entscheidung als solche für eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung nicht ausreichend ist5.

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Bei durch Beschluss erlassenen einstweiligen Verfügungen, die ein Verbot aussprechen, besteht der Akt der Willenskundgabe in deren Zustellung im Parteibetrieb6. Im hier vorliegenden Fall der durch Urteil erlassenen einstweiligen Verfügung ist die Parteizustellung dagegen – worauf die Klägerin im Ansatz zutreffend hinweist – zwar ein möglicher und „sicherer“, aber nicht der einzige Weg zur wirksamen Vollziehung. Die Zustellung im Parteibetrieb schreiben die §§ 936, 922 Abs. 2 ZPO nur für die ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss angeordnete einstweilige Verfügung vor. Für die durch verkündetes Urteil erlassene einstweilige Verfügung enthält das Gesetz dagegen keine von den §§ 317 Abs. 1 Satz 1, 750 Abs. 1 ZPO abweichenden Vorschriften. Dem Sinn und Zweck der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO, eine Vollziehung der einstweiligen Verfügung nach längerer Zeit und unter veränderten Umständen zu verhindern, ist genügt, wenn der Verfügungskläger innerhalb der Vollziehungsfrist die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen den Verfügungsbeklagten beantragt und damit von der einstweiligen Verfügung Gebrauch macht7.

In der zuletzt zitierten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof deshalb den Antrag auf Festsetzung von Ordnungsgeld zusammen mit dem – nur an der Weigerung des Zustellungsempfängers, die Urteilsausfertigung als zugestellt entgegenzunehmen, gescheiterten – Versuch einer Parteizustellung als Beginn der Vollziehung und diesen wiederum für einen Vollziehungsschaden im Sinne des § 945 ZPO ausreichen lassen. Daraus folgt jedoch – wie der Bundesgerichtshof in einer späteren Entscheidung klargestellt hat – nicht, dass jede klare, unmissverständliche Leistungsaufforderung des Antragstellers unter Bezugnahme auf den vorläufigen Titel genüge, um eine Vollziehung annehmen zu können8.

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Die Vollziehungsfrist ist der Disposition der Parteien wie auch des Gerichts jedenfalls insoweit entzogen, als sie nicht verlängert und auf sie nicht verzichtet werden kann9. Gegen ihre Versäumung gibt es keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand10. Die unterbliebene Vollziehung führt zur Aufhebung der einstweiligen Verfügung und zur Ablehnung des Verfügungsantrags im Rechtsmittelverfahren sowie zur Auferlegung der Verfahrenskosten. Wegen dieser Besonderheiten ist eine Ungewissheit oder Unklarheit darüber, ob eine (fristgerechte) Vollziehung stattgefunden hat, tunlichst zu vermeiden. Es geht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht an, die Beantwortung dieser Frage von den Umständen des Einzelfalls, einer Interessenabwägung oder einer Ermessensentscheidung abhängig zu machen. Ebenso wenig darf die Auslegung einer Willenserklärung den Ausschlag geben. Wenn die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung/Anordnung auch auf andere Weise als durch Zustellung im Parteibetrieb denkbar ist, muss es sich also immer um ähnlich formalisierte oder urkundlich belegte, jedenfalls leicht feststellbare Maßnahmen handeln11.

Dementsprechend hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 13.04.198912 formuliert: „Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hat alles seinerseits Erforderliche getan, um das Urteil … im Parteibetrieb von Anwalt zu Anwalt zuzustellen. … Er hat dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin eine Urteilsausfertigung sowie den vorbereiteten Vordruck eines Empfangsbekenntnisses (Zustellungskarte) übersandt. … Von seiten des Anwalts des Beklagten war daher zunächst mit der Übersendung beider Schriftstücke den von ihm zu beobachtenden Förmlichkeiten Genüge getan. Die Wirksamkeit der Zustellung und damit der Vollziehung der einstweiligen Verfügung hing nunmehr nur noch davon ab, daß der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin, wie es seine Standespflicht war, die Urteilsausfertigung als zugestellt entgegennahm und dem Prozeßbevollmächtigten des Beklagten das datierte und unterschriebene schriftliche Empfangsbekenntnis (§ 198 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zurücksandte.“

In der Zusammenschau der beiden zuletzt zitierten Entscheidungen muss davon ausgegangen werden, dass der Versuch einer Zustellung von Anwalt zu Anwalt, der an der verweigerten Rückgabe des Empfangsbekenntnisses gescheitert ist, zwar im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs nach § 945 ZPO als Beginn der Vollziehung und damit als schadensverursachendes Verhalten gewertet werden kann, nicht aber als vollendete und damit wirksame Vollziehung im Sinne des § 929 Abs. 2 ZPO. Denn bei einem unwirksamen Zustellungsversuch hängt die Frage, ob der Verfügungskläger seinen Vollziehungswillen zum Ausdruck gebracht hat, von einer Würdigung seines Verhaltens im Lichte aller Umstände des Einzelfalls ab. Eine solche Würdigung soll aber nach der zitierten Rechtsprechung im Interesse der Rechtssicherheit in dieser Frage gerade vermieden werden. Die gescheiterte Zustellung ist auch nicht gleichzusetzen mit dem anerkannten Fall eines rechtzeitigen und auch sonst wirksamen Vollstreckungsantrags, der eine Vollziehung unabhängig von einer Zustellung im Parteibetrieb bewirken kann13. In dem vergleichbaren Fall eines unwirksamen Vollstreckungsantrags würde es dagegen ebenso wie im Fall der unwirksamen Parteizustellung an einer hinreichend formalisierten Kundgabe des Vollziehungswillens fehlen.

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Damit wurde im Streitfall die Urteilsverfügung nicht durch die gescheiterte Zustellung von Anwalt zu Anwalt (§ 195 ZPO) vollzogen. Ebenfalls nicht ausreichend – auch in der Gesamtschau – ist die Zustellung der Urteilsverfügung durch den Gerichtsvollzieher an die Beklagten selbst. Denn diese Zustellung ist ebenfalls unwirksam. Die Beklagten selbst waren nicht die richtigen Empfänger der unternommenen Zustellung; vielmehr hätte nach § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zugestellt werden müssen. Diese waren am erstinstanzlichen Verfahren als Vertreter der Beklagten beteiligt und hatten in dem unter I. wiedergegebenen Schreiben vom 24.02.2016 ausgeführt, dass sie (weiterhin) die Beklagten vertraten. Sie waren mangels hinreichender gegenteiliger Anhaltspunkte die „bestellten Prozessbevollmächtigten“ im Sinne des § 172 Abs. 1 ZPO. Da die Weigerung des Beklagtenvertreters, das Empfangsbekenntnis zurückzugeben, nach der Rechtsprechung des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs14 nicht als standeswidrig angesehen werden kann, bestand – zumal nach dem Schreiben vom 24.02.2016 – kein zureichender Grund dafür, aus dem Ausbleiben des Empfangsbekenntnisses auf ein Fehlen der Zustellungsvollmacht der Beklagtenvertreter zu schließen. Es fehlt deshalb auch insoweit an einer hinreichend formalisierten Kundgabe des Vollziehungswillens.

Da der Klägerin der Weg der Zustellung durch den Gerichtsvollzieher (§§ 192 ff. ZPO) auch an die Beklagtenvertreter zur Verfügung stand, sind die Beklagten auch nach dem das gesamte Zivil- und Zivilprozessrecht beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben nicht gehindert, sich auf die gescheiterte Zustellung zu berufen, auch wenn nicht zu verkennen ist, dass die Reaktion auf die E-Mail vom 24.02.2016 klarer hätte ausfallen können.

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Da die mit dem angefochtenen Urteil erlassene einstweilige Verfügung somit mangels wirksamer Vollziehung aufzuheben sein wird, ist die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil gemäß §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO einstweilen einzustellen. Eine Einstellung ohne Sicherheitsleistung kommt nicht in Betracht, da weder vorgetragen noch naheliegend ist, dass die Beklagten zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage sind oder die Vollstreckung ihnen einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde (§ 719 Abs. 1 S. 1, 707 Abs. 1 S. 2 ZPO); insoweit war der Antrag zurückzuweisen.

Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss vom 23. März 2016 – 6 U 38/16

  1. BGH NJW-RR 1997, 1155 m.w.N.[]
  2. OLG Koblenz WRP 1990, 366 4[]
  3. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 929 Rn. 5[]
  4. vgl. OLG Karlsruhe, WRP 1992, 339; Urteil vom 27.03.2013, 6 U 104/12; Urteil vom 22.01.2014 – 6 U 118/1319 m.w.N.[]
  5. vgl. Feddersen in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 11. Aufl., Kap. 55 Rn. 42 m.w.N.[]
  6. BGHZ 120, 73 21 – Straßenverengung; OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.01.2014 – 6 U 118/1319[]
  7. BGH WRP 1989, 514 26 f.[]
  8. BGHZ120, 73 40 – Straßenverengung[]
  9. vgl. Vollkommer in: Zöller, ZPO, 31. Aufl., § 929 Rn. 3; weitergehend – auch keine Verkürzung – BGH a.a.O 41 – Straßenverengung[]
  10. Vollkommer a.a.O.[]
  11. BGH a.a.O 41 – Straßenverengung[]
  12. BGH WRP 1989, 514 27[]
  13. vgl. BGH WRP 1989, 514 26; OLG Hamburg WRP 1993, 822, 823[]
  14. BGH NJW 2015, 3672[]
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