Wenn der Gläubiger alle Vollstreckungsvoraussetzungen herbeigeführt hat, trifft ihn nur dann keine Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO, wenn er gegenüber dem Schuldner deutlich macht, daraus keine Rechte herzuleiten.

Nach § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO steht dem (früheren) Beklagten gegen den (früheren) Kläger ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, der ihm durch eine zur Abwendung der Vollstreckung aus einem vorläufig vollsteckbaren Urteil erbrachte Leistung entstanden ist, wenn dieses Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Eine Leistung „zur Abwendung der Vollstreckung“ im Sinn dieser Bestimmung setzt voraus, dass die Vollstreckung konkret droht. Dazu reicht nicht schon das Vorliegen eines Titels aus; der Gläubiger muss vielmehr deutlich gemacht haben, dass er zur Vollstreckung schreiten wird, wenn der Schuldner nicht leistet.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit dient innerhalb des Rechtsmittelsystems, das den Schuldner schützt, dem Interesse des Gläubigers. Die Haftung aus § 717 Abs. 2 ZPO soll demgegenüber die Nachteile des Schuldners ausgleichen, falls die vorläufige Vollstreckbarkeit außer Kraft gesetzt wird. Gleichzeitig soll der Gläubiger aber die Möglichkeit haben, ein die Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO auslösendes Verhalten zu vermeiden. Eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung ist demnach nur anzunehmen, wenn sich der Schuldner, der aufgrund eines für vorläufig vollstreckbar erklärten ausgeurteilten Unterlassungsanspruchs leistet, damit einem gegen ihn ausgeübten Vollstreckungsdruck beugt [1]. Erfüllt der Schuldner eine ihm durch Urteil auferlegte Unterlassungsverpflichtung, bevor der Gläubiger die ihm obliegende Sicherheitsleistung erbracht und dies dem Schuldner mitgeteilt hat, leistet er regelmäßig nicht zur Abwendung der Vollstreckung im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO [2]. Allerdings liegt auch bei Stellung und Nachweis der Sicherheitsleistung der erforderliche Vollstreckungsdruck nicht vor, wenn der Gläubiger ausdrücklich erklärt oder sich aus den Umständen ergibt, dass trotz des Vorliegens der Voraussetzungen von der Vollstreckung noch abgesehen wird [3].
Nach einer Meinung ist § 717 Abs. 2 ZPO nicht zu entnehmen, dass die Erbringung der Sicherheitsleistung Voraussetzung für die Annahme eines konkreten Vollstreckungsdrucks sei. Auch wenn jemand die Vollstreckung betreibe und die Sicherheitsleistung ankündige, sei diese Voraussetzung erfüllt.
Dieser Meinung vermag sich der Bundesgerichtshof aber nicht anzuschließen: Wie bereits ausgeführt hat die Rechtsprechung den Wortlaut des § 717 Abs. 2 ZPO („durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung“) dahingehend ausgefüllt, dass sich der Schuldner mit der Leistung einem auf ihn ausgeübten konkreten Vollstreckungsdruck beugen muss. Der Bundesgerichtshof hat insbesondere ausgesprochen [4], dass der Schuldner, wenn er ein ihm auferlegtes Unterlassungsgebot erfüllt, bevor der Gläubiger eine von ihm zu leistende Sicherheit erbracht hat, regelmäßig nicht zur Abwendung der Vollstreckung im Sinn des § 717 Abs. 2 ZPO handelt. Er hat – mangels Relevanz für den dort entschiedenen Fall – offen gelassen, ob für den Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO unter Umständen eine dem Schuldner vorab übermittelte Information über die unmittelbar bevorstehende Leistung der Sicherheit genügen kann.
Diese Frage kann allerdings auch in dem jetzt vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall unentschieden bleiben, da die von der Beklagten vor Leistung der Sicherheit an die Klägerin übermittelten Informationen für die Annahme eines konkreten Vollstreckungsdrucks nicht ausreichen. Die entsprechende Würdigung durch das Berufungsgericht, diesen Schreiben sei nicht zu entnehmen, dass eine Vollstreckung des Unterlassungstenors unmittelbar bevorgestanden habe, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Beklagte teilte zwar in dem Schreiben vom 14. April 2003 mit, dass sie darauf eingerichtet sei, kurzfristig die für die Sicherheitsleistung erforderliche Bürgschaft zu stellen. Gleichzeitig stellte sie aber der Klägerin anheim, Rechnung zu legen und auf diese Weise die Voraussetzungen für Vergleichsgespräche zu schaffen, wobei sie sich – sollte die Klägerin dem Vorschlag nicht folgen – die unverzügliche Einleitung der Zwangsvollstreckung vorbehalte. Eine etwa bevorstehende Vollstreckung des Unterlassungsausspruchs ist in diesem Schreiben nicht angesprochen, vielmehr wird das vorrangige Interesse der Beklagten deutlich, eine gütliche Einigung herbeizuführen. In dem Schreiben vom 25. April 2003 wurde der Klägerin eine Fristverlängerung hinsichtlich der Rechnungslegung gewährt; bezüglich des Unterlassungsgebots behielt sich die Beklagte die Vollstreckung vor. Eine konkrete Ankündigung der Vollstreckung des Unterlassungstenors ist auch diesem Schreiben nicht zu entnehmen. Gleiches gilt für das Schreiben der Beklagten vom 22. Mai 2003, in dem die Beklagte die erfolgte Rechnungslegung beanstandete und sich erneut die unverzügliche Einleitung der Zwangsvollstreckung vorbehielt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 16. Dezember 2010 – Xa ZR 66/10
- st. Rspr., vgl. BGH, Urteile vom 05.10.1982 – VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232; vom 22.10.1992 – IX ZR 36/92, BGHZ 120, 73 = NJW 1993, 1076; vom 30.11.1995 – IX ZR 115/94, BGHZ 131, 233 = NJW 1996, 397; und vom 03.07.1997 – IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199 = NJW 1997, 2601[↩]
- BGHZ 131, 233, 237[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 22.01.2009 – I ZB 115/07, BGHZ 180, 72 = GRUR 2009, 890 [zu § 945 ZPO]; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 717 Rn. 7[↩]
- BGHZ 131, 233[↩]
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