Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, so darf es diese Frage im Urteil nicht abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden, ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben.

Andernfalls verletzt das Gericht das Recht der Partei auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Abs. 1 GG räumt dem Einzelnen das Recht ein, vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Zwar muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag hierauf einstellen. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährleistung rechtlichen Gehörs setzt aber voraus, dass ein Verfahrensbeteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt erkennen kann, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, so darf es diese Frage im Urteil nicht abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden, ohne die Verfahrensbeteiligten zuvor auf die Änderung der rechtlichen Beurteilung hingewiesen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben zu haben [1].
Das angegriffene Urteil beruht auch auf diesem Gehörsverstoß, wenn nicht auszuschließen ist, dass das Gericht seine Rechtsauffassung überdacht hätte, wenn die Partei Gelegenheit gehabt hätte, auf die (erstmals im Urteil geäußerte) Rechtsauffassung des Gerichts sprechenden Gesichtspunkte hinzuweisen.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29. April 2014 – VI ZR 530/12
- vgl. BGH, Beschluss vom 04.05.2011 – XII ZR 86/10, NJW-RR 2011, 1009; BVerfG, NJW 1996, 3202 22 f.[↩]
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