Wenn das Kind eine gespannte Kette übersieht…

Die Verkehrssicherungspflicht der Straßenbaulastträger ist nicht grenzenlos. Jeder Verkehrsteilnehmer muss zunächst selbst die erforderliche Sorgfalt walten lassen, und die Kommune muss nur solche Gefahren ausräumen und gegebenenfalls vor ihnen warnen, die für hinreichend aufmerksame Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind.

Wenn das Kind eine gespannte Kette übersieht…

Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Nürnberg in dem hier vorliegenden Fall die Haftung der Stadt Fürth verneint, die einen Gehweg mit einer zwischen Metallpfosten abgespannten, erkennbaren Kette von einer stark befahrenen Straße abgetrennt hatte. Im Oktober 2016 war der damals 8-jährige Kläger mit seinem Vater auf dem Gehweg in der Willy-Brandt-Anlage zwischen der Hornschuchpromenade und der Königswarterstraße in Fürth unterwegs. Vor dem Straßenübergang zur Königswarterstraße blieb er stehen, entdeckte das Fahrzeug seines Vaters, welches auf einem Parkplatz unmittelbar gegenüber geparkt war, und rannte los. Der Kläger vergewisserte sich noch, dass kein Fahrzeug auf der Königswarterstraße unterwegs war. Er übersah jedoch eine Kette, welche entlang des Gehweges, auf dem er sich befand, gespannt war, und rannte gegen diese, wodurch er stürzte. Diese Kette hatte in etwa die gleiche Farbe wie der Straßenbelag. Zum Zeitpunkt des Unfalls herrschte Dämmerung. Der Kläger wurde durch den Sturz schwer verletzt und musste nahezu einen Monat im Klinikum behandelt werden. Insgesamt wurden bei ihm fünf Folgeoperationen durchgeführt, da er eine schwere Ohrverletzung erlitten hatte. Der Kläger leidet bis heute unter den Folgen des Unfalls und hat mit seiner Klage Schadensersatz von der Stadt Fürth verlangt.

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Dem Grunde nach hielt das Landgericht Nürnberg-Fürth1 die Klage zum Teil für gerechtfertigt. Allerdings müsse der Kläger sich ein Mitverschulden von 50 % anrechnen lassen. Dagegen ist Berufung eingelegt worden.

Zur Urteilsfindung hat das Oberlandesgericht Nürnberg einen Ortstermin – bei dem die gleichen Lichtverhältnisse herrschten, wie zum Unfallzeitpunkt – durchgeführt und dabei festgestellt, dass die Kette zwischen den Metallpfosten in einer Höhe von 76 bis 93 cm durchhängt. Die Kette dient der Absperrung des Fußweges zu einer stark befahrenen Straße und soll den Durchgang nur an besonders markierten Stellen ermöglichen. Sie sei 57 cm von der Bordsteinkante entfernt auf dem 2,20 m breiten Gehweg angebracht. Nach Überzeugung des Oberlandesgerichts Nürnberg ist die Kette auch bei den zum Unfallzeitpunkt herrschenden Lichtverhältnissen und auch unter Berücksichtigung der Körpergröße des Kindes bei gebotener Aufmerksamkeit nicht zu übersehen.

Folglich entfalle eine Haftung der Stadt Fürth. Zwar habe diese die Verkehrssicherungspflicht, diese sei aber nicht grenzenlos. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts Nürnberg müsse jeder Verkehrsteilnehmer zunächst selbst die erforderliche Sorgfalt walten lassen, die Kommune müsse nur solche Gefahren ausräumen und gegebenenfalls vor ihnen warnen, die für hinreichend aufmerksame Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar seien. Nachdem die Kette aber für einen sich auf dem Gehweg mit Schrittgeschwindigkeit bewegenden Fußgänger, der den Blick nach vorn richtet, eindeutig erkennbar sei, habe die Stadt hier ihren Verkehrssicherungspflichten genügt. Zumal durch die deutlich markierten rot-weißen Metallpfosten und den an einigen Stellen abgesenkten Gehweg klar werde, an welchen Stellen man die Straße überqueren soll.

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Darüber hinaus sei es auch nicht erforderlich, dass die Kommune die Fußwege so ausleuchte, dass es keine dunklen Stellen, z. B. infolge geparkter Fahrzeuge, mehr gebe. So sei es nach Meinung des Oberlandesgerichts Nürnberg Sache des Fußgängers, sich bei Dunkelheit so vorsichtig fortzubewegen, dass er eventuelle Hindernisse rechtzeitig erkennen könne. Bei schlechter Sicht müsse er seine Geschwindigkeit reduzieren.

Aus diesen Gründen besteht kein Anspruch auf Schadensersatz und die Entscheidung des Landgerichts Nürnberg-Fürth wurde abgeändert.

Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 18. November 2020 – 4 U 47/20

  1. LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 10.12.2019 – 4 O 662/19[]

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