Wohnrecht und Pflegefall

Enthält die schuldrechtliche Vereinbarung über die Bestellung eines Wohnungsrechts keine Regelung, wie die Wohnung genutzt werden soll, wenn der Wohnungsberechtigte sein Recht wegen Umzugs in ein Pflegeheim nicht mehr ausüben kann, kommt nach einem heute veröffentlichten Urteil des Bundesgerichtshofs eine ergänzende Vertragsauslegung in Betracht. Eine Verpflichtung des Eigentümers, die Wohnung zu vermieten oder deren Vermietung durch den Wohnungsberechtigten zu gestatten, wird dem hypothetischen Parteiwillen im Zweifel allerdings nicht entsprechen.

Wohnrecht und Pflegefall

Nach Ansicht des BGH kommt in solchen Fällen eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (vgl. § 313 BGB) nicht in Betracht. Selbst wenn ihm die übereinstimmende Erwartung von (Mutter und Tochter zugrunde gelegen haben sollte, die Mutter werde das Wohnungsrecht bis zu ihrem Tode ausüben können, fehlt es jedenfalls an der für eine gerichtliche Vertragsanpassung notwendigen Voraussetzung der unvorhergesehenen Änderung der Umstände, die Geschäftsgrundlage geworden sind1. Bei der Vereinbarung eines lebenslangen Wohnungsrechts muss jeder Vertragsteil grundsätzlich damit rechnen, dass der Berechtigte sein Recht wegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit nicht bis zu seinem Tod ausüben kann. Der Umzug in ein Pflegeheim ist daher in aller Regel kein Grund, den der Bestellung eines lebenslangen Wohnungsrechts zugrunde liegenden Vertrag nach § 313 BGB anzupassen2.

Allerdings ist regelmäßig die gegenüber der Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage vorrangige3 ergänzende Auslegung des der Bestellung des Wohnungsrechts zugrunde liegenden Vertrages zu erwägen. Sie ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die eingetretene Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse objektiv vorhersehbar war. Eine ergänzende Vertragsauslegung käme mangels Regelungslücke nur dann nicht in Betracht, wenn die Vertragsparteien ihre Vereinbarung auch für den Fall eines Umzugs der Mutter in ein Pflegeheim bewusst als abschließend angesehen hätten4. Wurde die Möglichkeit eines Wegzugs dagegen nicht bedacht oder in der unzutreffenden Annahme, das Wohnungsrecht würde dann erlöschen, irrtümlich für nicht regelungsbedürftig gehalten, ist eine ergänzende Vertragsauslegung möglich und geboten.
Die Annahme einer planwidrigen Regelungslücke liegt hier nahe. Handelte es sich bei dem Vertrag aus dem Jahr 1979 um eine bewusst abschließende Regelung, hätte dies nämlich zur Folge, dass die dem Wohnungsrecht unterliegenden Räume nach dem Umzug der Mutter in ein Pflegeheim von niemandem genutzt werden könnten. Die Mutter als Berechtigte wäre aus tatsächlichen Gründen gehindert, ihr Recht wahrzunehmen; die Beklagte wäre angesichts des fortbestehenden Wohnungsrechts nicht befugt, die Räume ohne Zustimmung der Mutter selbst zu nutzen oder Dritten zu überlassen5.

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Bei der Ergänzung des Vertragsinhalts ist darauf abzustellen, was redliche und verständige Parteien in Kenntnis der Regelungslücke nach dem Vertragszweck und bei sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben vereinbart hätten6. Im Hinblick darauf, dass eine Rückkehr der Mutter aus dem Pflegeheim in absehbarer Zeit offenbar nicht zu erwarten und die ihr überlassene Wohnung zur Vermietung an Dritte geeignet ist, spricht viel dafür, den Vertrag dahin zu ergänzen, dass die Beklagte berechtigt sein soll, die Wohnung zu vermieten.

Bei der Feststellung, wem die Einnahmen aus einer von der Beklagten vorgenommenen Vermietung zustehen, wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben, dass das Wohnungsrecht einen Teil der Altersvorsorge der Mutter darstellt, und dass ein Grund, weshalb ihr Umzug in ein Pflegeheim zu einer wirtschaftlichen Besserstellung der Beklagten führen soll, nicht erkennbar ist7. Dagegen wird eine Verpflichtung der Beklagten, die Wohnung zu vermieten, angesichts des Charakters des Wohnungsrechts als eines im Grundsatz höchstpersönlichen Nutzungsrechts dem hypothetischen Parteiwillen im Zweifel nicht entsprechen. Zwar kann dessen Ausübung einem Dritten überlassen werden; dies erfordert jedoch die Gestattung des Eigentümers (§ 1092 Abs. 1 Satz 2 BGB). Enthält der Übergabevertrag eine solche Gestattung nicht, spricht dies dafür, dass der Eigentümer im Fall des Unvermögens des Berechtigten, sein Wohnungsrecht auszuüben, auch schuldrechtlich nicht verpflichtet sein sollte, die Nutzung durch Dritte zu dulden.

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Ebensowenig wird im Zweifel anzunehmen sein, dass ein dem Wohnungsberechtigten nahestehender Eigentümer verpflichtet sein soll, ein Nutzungsentgelt an den Wohnungsberechtigten zu zahlen, wenn er die Wohnung für eigene private Zwecke nutzt oder wenn er sie einem nahen Familienangehörigen zur Nutzung überlässt. Die familiäre Verbundenheit wird häufig, wenn auch nicht zwingend, die Annahme rechtfertigen, dass eine Nutzung der Wohnung innerhalb der Familie unentgeltlich erfolgen sollte.

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass das Wohnungsrecht der Alterssicherung des Berechtigten dient. Denn das bedeutet nicht, dass der Eigentümer die Verpflichtung übernommen hat, die Wohnung auch dann zur Sicherung der Lebensgrundlage des Berechtigten einzusetzen, wenn dieser sein Wohnungsrecht nicht mehr ausüben kann8. Insbesondere kann ein solcher Wille nicht aus der Regelung in § 1093 Abs. 2 BGB abgeleitet werden, wonach der Wohnungsberechtigte unter anderem befugt ist, die zu seiner Pflege erforderlichen Personen in die Wohnung aufzunehmen9. Eine Befugnis, die Wohnung Dritten zu überlassen, folgt daraus auch unter Berücksichtigung der sich seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches gewandelten Verhältnisse nicht. Mit der Bestellung eines Wohnungsrechts haben die Parteien die Alterssicherung im Zweifel bewusst auf ein höchstpersönliches Nutzungsrecht beschränkt10. Diesem im Übergabevertrag zum Ausdruck gekommenen Parteiwillen darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht widersprechen11. Das wäre indessen der Fall, wenn der Eigentümer nach einem Wegzug des Berechtigten verpflichtet wäre, die Wohnung zu vermieten oder der Vermietung durch den Berechtigten zuzustimmen, um mittels der Erträge der Wohnung zu dessen finanzieller Absicherung beizutragen. Das Wohnungsrecht würde dadurch in unzulässiger Weise um Elemente eines – von den Parteien gerade nicht gewählten – Nießbrauchs an der Wohnung (§§ 1030 Abs. 1, 1059 Satz 2 BGB) erweitert12.

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Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 9. Januar 2009 – V ZR 168/07

  1. vgl. Erman/Hohloch, BGB, 12. Aufl., § 313 Rdn. 24[]
  2. vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 2007, V ZR 163/06, NJW 2007, 1884, 1885 Rdn. 11 ff [dort noch offen gelassen]; ebenso: Krauß, NotBZ 2007, 129, 130; Mayer, DNotZ 2008, 672, 678; Auktor, MittBayNot 2008, 14, 15[]
  3. vgl. BGHZ 90, 69, 74; BGH, Urt. v. 24. Januar 2008, III ZR 79/07, NJW-RR 2008, 562, 563 Rdn. 12 m.w.N.[]
  4. vgl. BGHZ 111, 110, 115[]
  5. vgl. dazu Brück-ner, NJW 2008, 1111, 1112[]
  6. st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 24. Januar 2008, III ZR 79/07, NJW-RR 2008, 562, 563 m.w.N.[]
  7. vgl. zu diesen Aspekten: BGH, Urteil vom 19. Januar 2007, V ZR 163/06, NJW 2007, 1884, 1887 sowie Auktor, MittBayNot 2008, 14, 17[]
  8. a.A. Gühlstorf/Ette, ZfF 2007, 265, 268[]
  9. a.A. OLG Köln ZMR 1995, 256; OLG Celle MDR 1998, 1344; Brückner, NJW 2008, 1111, 1112[]
  10. ebenso Mayer, DNotZ 2008, 672, 685; Auktor, MittBayNot 2008, 14, 15 f.[]
  11. vgl. BGH, Urt. v. 17. April 2002, VIII ZR 297/01, NJW 2002, 2310, 2311[]
  12. vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2003, V ZB 48/02, NJW-RR 2003, 577, 578[]