Wird die Forderung eines Klägers nach Zustellung eines Mahnbescheids erfüllt und das Verfahren nach Erhebung des Widerspruchs durch den Beklagten alsbald an das Prozessgericht abgegeben, kann der Kläger in dem Streitverfahren einen Antrag auf Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, stellen. Das in der Erfüllung der Forderung liegende erledigende Ereignis ist in diesem Fall aufgrund der Rückwirkungsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO nach Rechtshängigkeit erfolgt.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Kläger einen Leistungsantrag in einen Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache ändern, wenn er den Eintritt eines den Rechtsstreit erledigenden Ereignisses geltend macht und der Beklagte sich der Erledigungserklärung nicht anschließt. Die auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache gerichtete Klage hat Erfolg, wenn die ursprüngliche Klage zulässig und begründet war und durch ein nach Rechtshängigkeit eintretendes erledigendes Ereignis unzulässig oder unbegründet geworden ist1. Dagegen hat eine solche Feststellungsklage keinen Erfolg, wenn das erledigende Ereignis vor Rechtshängigkeit eingetreten ist2. Der Grund hierfür liegt darin, dass vor Rechtshängigkeit ein Rechtsstreit im Sinne der Zivilprozessordnung, der sich erledigen könnte, noch nicht vorhanden ist, vielmehr erst durch die Zustellung der Klage das Prozessrechtsverhältnis, die Parteien und der Streitgegenstand bestimmt werden3.
Wird die Forderung eines Klägers nach Zustellung eines Mahnbescheids erfüllt und das Verfahren nach Erhebung des Widerspruchs durch den Beklagten alsbald an das Prozessgericht abgegeben, kann der Kläger in dem Streitverfahren einen Antrag auf Feststellung, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ist, stellen. Das in der Erfüllung der Forderung liegende erledigende Ereignis ist in diesem Fall aufgrund der Rückwirkungsfiktion des § 696 Abs. 3 ZPO nach Rechtshängigkeit erfolgt.
Nach dem Wortlaut des § 696 Abs. 3 ZPO gilt die Streitsache als mit Zustellung des Mahnbescheids rechtshängig geworden, wenn sie alsbald nach der Erhebung des Widerspruchs abgegeben wird. Kraft dieser Fiktion wird der Rechtshängigkeitszeitpunkt auf den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids zurückbezogen. Da die Rechtshängigkeit die tatsächliche Existenz eines Urteilsverfahrens über den prozessualen Anspruch bedeutet, werden die Parteien durch § 696 Abs. 3 ZPO so gestellt, als sei der zunächst im Mahnverfahren verfolgte Anspruch bereits mit der Zustellung des Mahnbescheids durch Klageerhebung geltend gemacht worden4.
Danach gilt die Erfüllung einer Forderung nach Zustellung des Mahnbescheids als ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes erledigendes Ereignis, wenn die Streitsache gemäß § 696 Abs. 3 ZPO alsbald nach Erhebung des Widerspruchs an das Prozessgericht abgegeben wird. Nach der sich aus § 696 Abs. 3 ZPO ergebenden gesetzgeberischen Wertung wird die Funktion der Klageschrift, den Streitgegenstand und die Parteien festzulegen, durch den Mahnbescheid hinreichend erfüllt5. Liegen die Voraussetzungen dieser Vorschrift vor, ist daher bereits mit Zustellung des Mahnbescheids ein Rechtsstreit zwischen den Parteien zu bejahen, der sich erledigen kann.
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 05.02.20096 und der dort gegebenen Begründung folgt – anders als das Landgericht Essen meint7 – nicht, dass Rechtshängigkeit tatsächlich erst mit Eingang der Akten bei dem Prozessgericht gemäß § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO eintritt. Denn diese Entscheidung betraf einen Sachverhalt, in dem die Streitsache nicht alsbald nach Erhebung des Widerspruchs an das Prozessgericht abgegeben wurde. Nur für diesen Fall hat der Bundesgerichtshof – wegen Nichteingreifens der Fiktion des § 696 Abs. 3 ZPO – auf den Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei dem Prozessgericht gemäß § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO abgestellt.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts Essen kann der Anwendungsbereich des § 696 Abs. 3 ZPO nicht – abweichend vom Wortlaut – dahin eingeschränkt werden, dass die Rückwirkungsfiktion für die Beurteilung der Frage, ob ein erledigendes Ereignis nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, nicht gelten soll.
Der eindeutige Wortlaut und die systematische Stellung der Regelung im Prozessrecht bieten hierfür keinen Anhaltspunkt. Sie sprechen vielmehr dafür, dass der Gesetzgeber bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 696 Abs. 3 ZPO – dem Interesse der Rechtsklarheit folgend – grundsätzlich sämtliche mit der Rechtshängigkeit verbundenen Wirkungen an den Zeitpunkt der Zustellung des Mahnbescheids knüpfen wollte. Auch die Historie der Vorschrift zeigt, dass der Gesetzgeber diese Verknüpfung durchgehend für gerechtfertigt erachtet hat8.
Es kann in diesem Zusammenhang offenbleiben, ob die Anwendung der Rückwirkungsfiktion gemäß § 696 Abs. 3 ZPO wegen der Besonderheiten des Mahnverfahrens einer Einschränkung bedarf, wenn es um die Bestimmung der Zuständigkeit gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO geht. Denn auch wenn man mit einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung9 insoweit eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 696 Abs. 3 ZPO bejaht und für den Eintritt der Wirkungen des § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO generell auf den Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei dem Prozessgericht abstellt, folgt hieraus nicht, dass dies auch für die Frage, ob das erledigende Ereignis vor oder nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, zu gelten hat.
Die Auffassung des Landgerichts Essen, es komme zu Widersprüchen, wenn man einerseits eine zwischen dem rückbezogenen Eintritt der Rechtshängigkeit und der Abgabe der Streitsache an das Prozessgericht erfolgte Teilrücknahme des Klägers zwar für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit heranziehe, andererseits diesem gleichzeitig den Vorteil der Kostenregelung des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO versagen wolle, ist unzutreffend. Dies gilt schon deshalb, weil die Anwendung der Rückwirkungsfiktion gemäß § 696 Abs. 3 ZPO nicht dazu führt, dass einem Kläger im Mahnverfahren eine Rücknahme des Mahnantrags und die Erlangung eines Kostenbeschlusses entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO oder eine Teilrücknahme mit der Folge der Berücksichtigung der sich aus § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO ergebenden Grundsätze im Rahmen der später zu treffenden einheitlichen Kostenentscheidung versagt wäre.
Die Interessen der Parteien erfordern eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Rückwirkungsfiktion gemäß § 696 Abs. 3 ZPO für die Frage, ob ein erledigendes Ereignis nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, ebenfalls nicht.
So hat ein Kläger bei Zugrundelegung der gesetzlichen Regelungen verschiedene Möglichkeiten, in angemessener Weise auf eine Erfüllung der Forderung nach Zustellung des Mahnbescheids zu reagieren.
Er kann den Mahnantrag bereits im Mahnverfahren entsprechend § 269 Abs. 3 ZPO zurücknehmen, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diese Vorschrift im Mahnverfahren analog anwendbar ist10. Auf diese Weise kann er eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO erreichen. Denn das Verfahren wird bei Rücknahme des Mahnantrags – sofern ein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt ist – (nur) hinsichtlich der noch zu treffenden Kostenentscheidung an das Prozessgericht abgegeben11. Im Übrigen wird die Streitsache nicht mehr bei dem Prozessgericht anhängig und damit auch nicht gemäß § 696 Abs. 3 ZPO rückwirkend rechtshängig. Folglich liegt keine Erfüllung der Forderung nach Rechtshängigkeit vor und es kann eine Kostenentscheidung entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO getroffen werden. Das Gleiche gilt bei einer Teilrücknahme des Mahnantrags, die auf eine Teilerfüllung nach Zustellung des Mahnbescheids hin erfolgt ist. Soweit zurückgenommen worden ist, wird die Streitsache nicht mehr bei dem Prozessgericht anhängig und damit auch nicht gemäß § 696 Abs. 3 ZPO rückwirkend rechtshängig. Bei der in diesem Fall später zu treffenden einheitlichen Kostenentscheidung sind die Grundsätze des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO hinsichtlich des zurückgenommenen Teils zu berücksichtigen.
Nimmt der Kläger dagegen den Mahnantrag nicht zurück und wird die Streitsache nach Erhebung des Widerspruchs alsbald an das Prozessgericht abgegeben, kann er auf eine Erfüllung der Forderung nach Zustellung des Mahnbescheids mit einem Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache reagieren. Denn in diesem Fall wird die Streitsache mit Eingang der Akten bei dem Prozessgericht in vollem Umfang anhängig und gilt insoweit als rückwirkend rechtshängig, § 696 Abs. 3 ZPO. Schließt sich der Beklagte der Erledigungserklärung nicht an, entspricht die Möglichkeit, einen solchen Antrag zu stellen, den Interessen des Klägers. Dies steht auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der einseitigen Erledigung, dem Kläger die Möglichkeit zu geben, ohne Kostennachteil auf eine nach Rechtshängigkeit eintretende, zur Unzulässigkeit oder Unbegründetheit führende Veränderung reagieren zu können.
Die Interessen des Beklagten erfordern ebenfalls keine einschränkende Anwendung der Rückwirkungsfiktion gemäß § 696 Abs. 3 ZPO. Denn als Antragsgegner in dem Mahnverfahren hätte er es in der Hand gehabt, beschränkt auf die Kosten – oder auch beschränkt auf einen Teil der Forderung und die Kosten – Widerspruch einzulegen. In diesem Fall wäre die Streitsache nur im Umfang des Widerspruchs an das Prozessgericht abgegeben und bei alsbaldiger Abgabe gemäß § 696 Abs. 3 ZPO rückwirkend rechtshängig geworden. Darüber hinaus hat der Beklagte im Prozess ferner die Möglichkeit, sich einer Erledigungserklärung des Klägers anzuschließen und damit eine Kostenentscheidung nach § 91a ZPO herbeizuführen. Legt er indes umfassend Widerspruch ein und schließt er sich einer Erledigungserklärung des Klägers nicht an, gebieten es seine Interessen nicht, dem Kläger den nach dem Gesetz zulässigen Antrag auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache über eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 696 Abs. 3 ZPO zu verwehren.
Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht Essen den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Erledigung der Hauptsache rechtsfehlerhaft mit der Begründung abgewiesen, das erledigende Ereignis sei vor Rechtshängigkeit eingetreten.
Nach den Feststellungen des Landgerichts Essen ist die Streitsache nach dem Gesamtwiderspruch der Beklagten auf Antrag der Klägerin alsbald an das Prozessgericht abgegeben worden. Gemäß § 696 Abs. 3 ZPO gilt die Streitsache daher als mit Zustellung der Mahnbescheide rechtshängig geworden. Die als erledigendes Ereignis einzuordnende Erfüllung der Hauptforderung ist mithin nach Rechtshängigkeit erfolgt.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 17. November 2022 – VII ZR 93/22
- vgl. nur BGH, Urteil vom 07.11.2019 – III ZR 16/18 Rn. 9, NJW-RR 2020, 125; BGH, Urteil vom 01.06.2017 – VII ZR 277/15 Rn. 30, NJW 2017, 3521; jeweils m.w.N.[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 18.04.2013 – III ZR 156/12 Rn.19, BGHZ 197, 147; BGH, Urteil vom 15.01.1982 – V ZR 50/81, BGHZ 83, 12 8; vgl. ferner BT-Drs. 14/4722, S. 81[↩]
- BGH, Urteil vom 15.01.1982 – V ZR 50/81, BGHZ 83, 12 8[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.12.1987 – VIII ZR 4/87, BGHZ 103, 20 26[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.02.2009 – III ZR 164/08 Rn. 18, BGHZ 179, 329[↩]
- BGH, Urteil vom 05.02.2009 – III ZR 164/08, BGHZ 179, 329[↩]
- LG Essen, Urteil vom 11.02.2022 – 17 S 19/21[↩]
- vgl. näher zur Gesetzesgeschichte Bork/Jacoby, JZ 2000, 135, 136 f.[↩]
- vgl. z.B. BayObLG, Beschluss vom 14.02.2022 – 102 AR 190/21 22 m.w.N.; Beschluss vom 29.06.1994 – 1Z AR 31/94, NJW-RR 1995, 635 5; OLG Hamm, Beschluss vom 08.10.2018, BeckRS 2018, 34276 Rn. 26 f.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.2004 – III ZB 43/04, NJW 2005, 512 5, 10[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 28.10.2004 – III ZB 43/04, NJW 2005, 512 10[↩]