Die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO kann nicht durch den Nachweis der Zahlungsunwilligkeit des Schuldners widerlegt werden; erforderlich ist der Nachweis der Zahlungsfähigkeit.

Die Zahlungsunfähigkeit wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO vermutet, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Diese Vermutung gilt auch im Rahmen des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO1.
In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatte die Schuldnerin bei der ersten vom Insolvenzverwalter angefochtenen Teilzahlung an das Finanzamt ihre Zahlungen bereits eingestellt, weil sie dem Finanzamt zu diesem Zeitpunkt mehr als 1,2 Mio. € schuldete, die seit langem fällig waren und die einen erheblichen Teil der damals fälligen Verbindlichkeiten der Schuldnerin darstellten. Zahlungseinstellung ist dasjenige nach außen hervortretende Verhalten des Schuldners, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass er nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen2. Es muss sich mindestens für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass der Schuldner außerstande ist, seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen zu genügen. Die tatsächliche Nichtzahlung eines erheblichen Teils der fälligen Verbindlichkeiten reicht für eine Zahlungseinstellung aus. Das gilt selbst dann, wenn tatsächlich noch geleistete Zahlungen beträchtlich sind, aber im Verhältnis zu den fälligen Gesamtschulden nicht den wesentlichen Teil ausmachen3. Eine Darlegung und Feststellung der genannten Höhe der gegen den Schuldner bestehenden Verbindlichkeiten oder gar einer Unterdeckung von mindestens 10 v.H. bedarf es nicht4. Unter den gegebenen Umständen besteht demnach für den Bundesgerichtshofs kein Zweifel, dass die Schuldnerin ihre Zahlungen am 7.04.2003 eingestellt hatte.
Eine eingetretene Zahlungseinstellung kann nur wieder beseitigt werden, indem der Schuldner alle Zahlungen wieder aufnimmt. Dies hat derjenige zu beweisen, der sich darauf beruft5. Dies war hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht der Fall.
Lag damit eine fortdauernde Zahlungseinstellung vor, begründet dies die gesetzliche Vermutung der Zahlungsunfähigkeit, die vom Prozessgegner zu widerlegen ist6.
Dass das beklagte Land (Finanzamt) von der Existenz anderer Gläubiger wusste, ergibt sich für den Bundesgerichtshof schon aus dem Umstand, dass die Schuldnerin gewerblich tätig war. Daher wusste das Finanzamt auch von der Gläubigerbenachteiligung7. Das Finanzamt resp. das beklagte Land hat, so der Budnesgerichtshof, die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO nicht widerlegt:
Die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO bewirkt eine Umkehr der Beweislast. Ist der Vermutungstatbestand des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO gegeben, obliegt dem Anfechtungsgegner der Gegenbeweis. Dieser hat sich auf die Vermutungsfolge zu beziehen, also die Kenntnis des Anfechtungsgegners vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners im Zeitpunkt der Vornahme der angefochtenen Rechtshandlung. Der Anfechtungsgegner muss deshalb darlegen und beweisen, dass entweder der Schuldner nicht mit Benachteiligungsvorsatz handelte oder dass er, der Anfechtungsgegner, nichts von dem Anfechtungsvorsatz wusste8.
Ist der Schuldner zum Zeitpunkt der Vornahme der Rechtshandlung zahlungsunfähig, handelt er nur dann nicht mit dem Vorsatz, die Gesamtheit der Gläubiger zu benachteiligen, wenn er aufgrund konkreter Umstände mit einer baldigen Überwindung der Krise rechnen kann9.
Wenn der Anfechtungsgegner im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung die Zahlungseinstellung des Schuldners und die Gläubigerbenachteiligung kennt, kann, so der Bundesgerichtshof weiter in seinen Urteilsgründen, der Gegenbeweis nicht allein dadurch geführt werden, dass der Beklagte darlegt und beweist, er sei von einer Zahlungseinstellung des Schuldners infolge Zahlungsunwilligkeit ausgegangen.
Der Kenntnis der (drohenden) Zahlungsunfähigkeit steht im Rahmen des § 133 Abs. 1 InsO die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit schließen lassen10. Es genügt daher, dass der Anfechtungsgegner die tatsächlichen Umstände kennt, aus denen bei zutreffender rechtlicher Beurteilung die drohende Zahlungsunfähigkeit zweifelsfrei hervorgeht11. Der beklagte Anfechtungsgegner kann sich deshalb nicht darauf berufen, er habe von der ihm bekannten Zahlungseinstellung nicht auf Zahlungsunfähigkeit geschlossen.
Eine Zahlungseinstellung kann zwar auch auf Zahlungsunwilligkeit beruhen. Die im Insolvenzrecht unerhebliche Zahlungsunwilligkeit liegt aber nur vor, wenn gleichzeitig Zahlungsfähigkeit gegeben ist12. Lag eine Zahlungseinstellung vor, wird gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO gesetzlich vermutet, dass nicht lediglich Zahlungsunwilligkeit, sondern Zahlungsunfähigkeit vorliegt. Die Zahlungsunfähigkeit kann vom Prozessgegner widerlegt werden. Dazu ist es dem beklagten Land unbenommen, der auf eine Zahlungseinstellung gestützten Annahme der Zahlungsunfähigkeit etwa durch den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens oder auf Vernehmung vom Zeugen zum Nachweis entgegenzutreten, dass eine Liquiditätsbilanz im maßgebenden Zeitraum für den Schuldner eine Deckungslücke von weniger als 10 % auswies13.
Nur wenn Zahlungsfähigkeit gegeben war, kann eine für das Anfechtungsrecht unerhebliche Zahlungsunwilligkeit vorgelegen haben. Die Feststellung der anfechtungsrechtlich unerheblichen Zahlungsunwilligkeit setzt deshalb die Feststellung der Zahlungsfähigkeit voraus. Letztere hat das Berufungsgericht bislang nicht festgestellt. Sie ist vom Beklagten zu beweisen.
Eigene Erklärungen des Schuldners, fällige Verbindlichkeiten nicht begleichen zu können, deuten auf eine Zahlungseinstellung hin, auch wenn sie, wie hier, mit einer Stundungsbitte versehen sind14. Derartige, hier mehrfach gegenüber dem Finanzamt des beklagten Landes abgegebene Erklärungen können diese Indizwirkungen nicht wegen anderweitiger Erkenntnisse des Anfechtungsgegners abgesprochen werden, wenn sich diese in Wertungen erschöpfen, ohne dass der Anfechtungsgegner den maßgeblichen ermittelten Sachverhalt dargelegt, unter Beweis stellt und diese Umstände erforderlichenfalls festgestellt werden.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. März 2012 – IX ZR 239/09
- BGH, Urteil vom 30.06.2011 – IX ZR 134/10, WM 2011, 1429 Rn. 10 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 20.11.2001 – IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184 f[↩]
- BGH, Urteil vom 21.06.2007 – IX ZR 231/04, WM 2007, 1616 Rn. 29; vom 11.02.2010 – IX ZR 104/07, WM 2010, 711 Rn. 42; vom 30.06.2011, aaO Rn. 12[↩]
- BGH, Urteil vom 30.06.2011, aaO Rn. 13 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 21.06.2007, aaO Rn. 32 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 12; vom 21.06.2007, aaO Rn. 27[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.05.2003 – IX ZR 169/02, BGHZ 155, 75, 86; HK-InsO/Kreft, 6. Aufl., § 133 Rn. 22[↩]
- BGH, Urteil vom 24.05.2007 – IX ZR 97/06, WM 2007, 1579 Rn. 7[↩]
- BGH, Urteil vom 24.05.2007, aaO Rn. 8[↩]
- BGH, Urteil vom 08.10.2009 – IX ZR 173/07, ZIP 2009, 2253 Rn. 10 mwN[↩]
- BGH, aaO[↩]
- HK-InsO/Kirchhof, 6. Aufl. § 17 Rn. 13[↩]
- BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04, BGHZ 163, 134, 144 ff; vom 30.06.2011, aaO Rn.20[↩]
- BGH, Urteil vom 12.10.2006 – IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 15[↩]