Mit dem Schutzumfang eines titulierten Unterlassungsgebots (hier: bei einem Verbot bestimmter die Privatsphäre beeinträchtigender Äußerungen) hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:

Ob ein beanstandetes Verhalten von einem gerichtlichem Unterlassungsgebot erfasst wird, hat das für die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO zuständige Prozessgericht durch Auslegung des Vollstreckungstitels zu beurteilen. Die Auslegung hat vom Tenor der zu vollstreckenden Entscheidung auszugehen; erforderlichenfalls sind ergänzend die Entscheidungsgründe und die Antrags- oder Klagebegründung heranzuziehen. Umstände, die außerhalb des Titels liegen, sind bei der Auslegung wegen der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens grundsätzlich nicht zu berücksichtigen. Insbesondere ist es ohne Bedeutung, welche sachlichrechtlichen Ansprüche der Gläubigerin zustehen1.
Das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot bestimmter Äußerungen umfasst nicht nur wortgleiche Wiederholungen. Es greift vielmehr grundsätzlich auch dann, wenn die verbotenen Äußerungen sinngemäß ganz oder teilweise Gegenstand einer erneuten Berichterstattung sind, sofern etwaige Abweichungen den Aussagegehalt im Kern unberührt lassen2. Denn das Verbot bezieht sich auf den Inhalt der zu unterlassenden Äußerung und weniger auf ihre konkrete Formulierung im Einzelfall. Würden nur identische Äußerungen die Rechtsfolge des § 890 Abs. 1 Satz 1 ZPO auslösen, wäre die effektive Durchsetzung von auf Unterlassung von Äußerungen gerichteten Ansprüchen wesentlich erschwert und ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und der Meinungsfreiheit nicht gewährleistet3.
Nach diesen Grundsätzen fallen in dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall die neuerlichen Veröffentlichungen nicht unter den Verbotstenor. Durch die Beschlussverfügung des Landgerichts vom 23.01.2020 ist der Schuldnerin untersagt worden, über eine neue Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern zu berichten, insbesondere im Einzelnen wiedergegebene Aussagen zu behaupten oder zu verbreiten, wenn dies geschieht wie in der Zeitschrift „Closer“ vom 15.01.2020 auf den Seiten 12 und 13 unter der Überschrift „Kann diese Liebe gutgehen?“. Hiermit ist der Schuldnerin nicht generell verboten worden, über eine Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern zu berichten; ihr ist kein abstraktes Themenverbot auferlegt, sondern – wie im BGH-Urteil vom 11.12.20124 im Hinblick auf die erforderliche Abwägung zwischen dem Recht des von einer Berichterstattung Betroffenen auf Schutz seiner Persönlichkeit und dem Recht der Presse auf Meinungs- und Medienfreiheit unter Berücksichtigung des Kontextes der Äußerungen gefordert – lediglich eine erneute Berichterstattung in einem konkreten Kontext untersagt worden („wenn dies geschieht wie“).
Die Äußerungen der Verlegerin in den neuerlichen Veröffentlichungen unterscheiden sich in Bezug auf Inhalt und Kontext aber erheblich von den verbotenen Äußerungen. Während in dem der Verbotsverfügung zugrundeliegenden Artikel in der Zeitschrift „Closer“ vom 15.01.2020 unter Berufung auf Insider über das Bestehen einer Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern und darüber spekuliert wird, ob sie zusammenpassen, befassen sich die neuerlichen Veröffentlichungen der Schuldnerin jeweils mit einem Verhalten der Gläubigerin, mit dem sie sich gezielt an die Öffentlichkeit gewandt oder das sie in der Öffentlichkeit gezeigt hat. So ist Gegenstand der Berichterstattung vom 30.01.2020 ein von der Gläubigerin auf Instagram veröffentlichtes und wenig später wieder entferntes Video, das einen zuvor nicht vorhandenen Ring an ihrem rechten Ringfinger erkennen lässt. Im Artikel vom 19.02.2020 wird über ein in dem ZEIT-Podcast „Frisch an die Arbeit“ veröffentlichtes Interview mit der Gläubigerin berichtet. Die Berichterstattung vom 04.03.2020 befasst sich mit einem Interview der Gläubigerin mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland und ihrem darin geäußerten Kinderwunsch. Gegenstand des Artikels vom 26.02.2020 schließlich ist das Verhalten der Gläubiger bei ihrem öffentlichen Auftritt anlässlich der Deutschlandpremiere des Animationsfilms „Trolls“. Aufgrund dieser Unterschiede in Bezug auf Inhalt und Kontext können die Äußerungen der Schuldnerin in den neuerlichen Veröffentlichungen weder als identische noch als sinngemäße Wiederholung der verbotenen Aussagen angesehen werden.
Ob im Bereich der Wortberichterstattung über die dargestellten Grundsätze hinaus die im Wettbewerbs, Urheber- und Markenrecht geltende Kerntheorie zur Anwendung kommt, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung5. Denn auch unter Heranziehung der Kerntheorie erstreckt sich das in der Beschlussverfügung des Landgerichts titulierte Verbot nicht auf die verfahrensgegenständlichen Äußerungen der Schuldnerin.
Nach der Kerntheorie umfasst das in einem Unterlassungstitel ausgesprochene Verbot über die mit der verbotenen Form identischen Handlungen hinaus auch im Kern gleichartige Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der ursprünglichen Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt. Das gilt auch dann, wenn das Verbot – wie im Streitfall – auf die konkrete Verletzungsform beschränkt ist6. Kern der konkreten Verletzungsform sind dabei die Elemente, die eine Verhaltensweise zur Verletzungshandlung machen, also das, was für den Unrechtsgehalt der konkreten Verletzungsform rechtlich charakteristisch ist und ihre Rechtswidrigkeit begründet7.
Das Charakteristische der Verletzungshandlung, das für die Bestimmung des Kerns der verbotenen Handlung maßgeblich ist, ist allerdings auf das beschränkt, was bereits Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren gewesen und in die Verurteilung einbezogen worden ist. Fehlt es hieran, muss die Zuordnung einer Handlung zum Kernbereich des Verbots unterbleiben8. Die Kerntheorie beschränkt sich darauf, ein im Kern feststehendes und bei dessen sachgerechter Auslegung auch eine abweichende Handlung bereits umfassendes Verbot auf Letztere anzuwenden9. Eine weiter gehende Titelauslegung ist dagegen im Hinblick auf den Sanktionscharakter der Ordnungsmittel des § 890 ZPO und das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot unstatthaft10.
Nach diesen Grundsätzen sind die nunmehr beanstandeten Äußerungen der Schuldnerin auch unter Heranziehung der Kerntheorie vom Schutzumfang des titulierten Verbots nicht erfasst. Die vorgenommene Auslegung des Unterlassungstitels durch das Beschwerdegericht verkennt den Kern der verbotenen Handlung und verlässt den durch den Gegenstand des Erkenntnisverfahrens gezogenen Bereich zulässiger Auslegung des Verbotstitels.
Wie bereits ausgeführt ist der Schuldnerin durch die Beschlussverfügung des Landgerichts vom 23.01.2020 untersagt worden, über eine neue Liebesbeziehung zwischen den Gläubigern zu berichten, wenn dies geschieht wie in der Zeitschrift „Closer“ vom 15.01.2020 unter der Überschrift „Kann diese Liebe gutgehen?“. Das Verbot ist ausweislich der Antragsbegründung vom 23.01.2020, die sich das Landgericht in der Beschlussverfügung zu Eigen gemacht hat, auf eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gläubiger in der Ausprägung des Rechts auf Schutz der Privatsphäre gestützt, dem in der Abwägung der Vorrang gegenüber den widerstreitenden Interessen der Schuldnerin gebühre und deshalb zur Rechtswidrigkeit der Äußerungen führe. Die Gläubiger hätten eine zwischen ihnen bestehende Liebesbeziehung nicht bekannt gegeben und auch im Übrigen kein Verhalten gezeigt, das als Selbstöffnung in Bezug auf ihren Beziehungsstatus bewertet werden könne. Es bestehe kein Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der angegriffenen spekulierenden Berichterstattung über das Beziehungsleben der Gläubiger. Sie befriedige allein das Unterhaltungsinteresse der Leserschaft an privaten Details aus dem Leben der Gläubiger. Ein darüber hinaus gehender Bezug zu einer allgemein interessierenden Sachdebatte sei dem Artikel nicht zu entnehmen.
Gegen dieses Unterlassungsgebot verstoßen die verfahrensgegenständlichen Veröffentlichungen der Schuldnerin auch unter Heranziehung der Kerntheorie nicht. Sie stellen keine kerngleichen Abwandlungen der ursprünglichen Verletzungshandlung dar.
Der Kern der ursprünglichen Verletzungshandlung liegt entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht (lediglich) darin, dass die Schuldnerin über eine vermeintliche neue Liebesbeziehung der Gläubiger berichtet hat. Dieser Umstand allein war im Erkenntnisverfahren nicht maßgeblich für die Annahme der Rechtswidrigkeit der untersagten Äußerungen. Charakteristisch und ausschlaggebend für die Annahme der Rechtswidrigkeit seitens des Landgerichts war vielmehr der Umstand, dass sich die die Privatsphäre der Gläubiger tangierenden Äußerungen nicht durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen ließen und die Rechte der Schuldnerin aus Art. 5 Abs. 1 GG deshalb in der Abwägung hinter dem Schutzinteresse der Gläubiger zurückzutreten hätten.
Die Frage, ob sich die die Beziehung zwischen den Gläubigern thematisierenden und deshalb ihre Privatsphäre berührenden Äußerungen der Schuldnerin in den neuerlichen Veröffentlichungen durch ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit rechtfertigen lassen, was nur auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann, war aber nicht – auch nicht implizit – Prüfungsgegenstand im Erkenntnisverfahren.
Wie bereits ausgeführt unterscheiden sich die Äußerungen in den neuerlichen Veröffentlichungen in Bezug auf Anlass, Kontext und Gegenstand erheblich von den verbotenen Äußerungen. Ob diese Unterschiede Auswirkungen auf die Beurteilung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit haben, ist im Vollstreckungsverfahren aber nicht zu prüfen. Diese Prüfung kann nur Gegenstand eines neuen Erkenntnisverfahrens sein.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. September 2023 – VI ZB 79/21
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2022 – I ZR 98/21, GRUR 2023, 839 Rn. 9; BVerfG, GRUR 2022, 1089 Rn.19; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 24.07.2018 – VI ZR 330/17, VersR 2019, 243 Rn. 44; vom 23.06.2009 – VI ZR 232/08, AfP 2009, 406 Rn. 11; BVerfG, Beschluss vom 09.07.1997 – 1 BvR 730/97 10[↩]
- vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 09.07.1997 – 1 BvR 730/97 10; vom 04.12.2006 – 1 BvR 1200/04, GRUR 2007, 61820 zum Wettbewerbsrecht[↩]
- BGH, Urteil vom 11.12.2012 – VI ZR 314/10, AfP 2013, 57 32[↩]
- vgl. bereits BGH, Urteil vom 04.12.2018 – VI ZR 128/18, AfP 2019, 153 Rn. 18 f. mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.10.2022 – I ZR 98/21, GRUR 2023, 839 Rn. 10; vom 06.02.2013 – I ZB 79/11, GRUR 2013, 1071 Rn. 14; BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022 – 1 BvR 1021/17, GRUR 2022, 1089 Rn. 22; jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 13.10.2022 – I ZR 98/21, GRUR 2023, 839 Rn. 8, 10; Urteile vom 29.06.2000 – I ZR 29/98, GRUR 2000, 907, 909 31 ff. – Filialleiterfehler; vom 15.12.1999 – I ZR 159/97, GRUR 2000, 337 22 a.E.- Preisknaller; Beschluss vom 16.11.1995 – I ZR 229/93, GRUR 1997, 37919; Fritzsche in Gloy/Loschelder/Danckwerts, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 5. Aufl., § 79 Rn. 12; Engels/Stulz-Herrnstadt, AfP 2009, 313, 319[↩]
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 13.10.2022- I ZR 98/21, GRUR 2023, 839 Rn. 11; vom 06.02.2013 – I ZB 79/11, GRUR 2013, 1071 14; vom 03.04.2014 – I ZB 42/11, GRUR 2014, 706 Rn. 13 – Reichweite des Unterlassungsgebots; BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022 – 1 BvR 1021/17, GRUR 2022, 1089 Rn. 30[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2014 – I ZB 42/11, GRUR 2014, 706 Rn. 13; Teplitzky/Feddersen, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 57 Rn. 14[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.04.2014 – I ZB 42/11, GRUR 2014, 706 Rn. 13; BVerfG, Beschluss vom 13.04.2022 – 1 BvR 1021/17, GRUR 2022, 1089 Rn. 25, 28; Köhler/Feddersen in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl., § 12 Rn.05.4; Teplitzky/Feddersen, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 57 Rn. 14; Meyer in Paschke/Berlit/Meyer/Kröner, Hamburger Kommentar Gesamtes Medienrecht, 4. Aufl., 40. Abschnitt, Rn. 36[↩]
Bildnachweis:
- Bundesgerichtshof (Empfangsgebäude): Nikolay Kazakov