Ein noch nicht abgeschlossener Rechtsstreit zwischen Gläubiger und Schuldner, dessen Ausgang Rückschlüsse auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines (noch nicht rechtshängigen) Anspruchs gegen den Schuldner erlaubt, steht nicht der Annahme entgegen, der Gläubiger habe bereits Kenntnis von den Umständen, die diesen Anspruch begründen.

Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts im Prozess führt nicht zu einer Hemmung der Verjährung des Gegenanspruchs.
Kenntnis und Verjährungsbeginn[↑]
Der Anspruch auf Ersatz von Verzugsschäden unterfällt der Regelverjährung nach § 195 BGB. Derartige Nebenansprüche unterliegen einer selbständigen Verjährung. Aus § 217 BGB folgt lediglich, dass sie spätestens mit dem Hauptanspruch verjähren1, und zwar selbst dann, wenn sie erst nach Ablauf der den Hauptanspruch betreffenden Verjährungsfrist beziffert werden können2.
Die von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB geforderte Kenntnis des Gläubigers ist bereits vorhanden, wenn der Gläubiger aufgrund der ihm bekannten Tatsachen gegen eine bestimmte Person eine Klage, sei es auch nur eine Feststellungsklage, erheben kann, die bei verständiger Würdigung so viel Erfolgsaussicht hat, dass sie ihm zumutbar ist3.
Die Zumutbarkeit der Klageerhebung entfiel nicht deshalb, weil die Klägerin bereits einer Klage der Beklagten ausgesetzt war, mit der diese Ansprüche geltend machten, die durch die Bürgschaft gesichert waren oder sie jedenfalls zur Zurückhaltung der Bürgschaft berechtigen konnten. Von dem Ausgang dieses Rechtsstreits hing zwar ab, ob die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen verspäteter Rückgabe der Bürgschaften aussichtsreich war. Bei einem Erfolg der auf Rückabwicklung der Kaufverträge über die Eigentumswohnungen gerichteten Klage wäre davon auszugehen gewesen, dass die Beklagten berechtigt waren, die Bürgschaften zurückzuhalten; einer Klageabweisung ließ sich entnehmen, dass die im Vorprozess geltend gemachten Ansprüche den Sicherungsfall nicht ausgelöst hatten. Der Wunsch des Gläubigers, den Ausgang eines Rechtsstreits mit dem Schuldner abzuwarten, um das Prozessrisiko für die Geltendmachung eines Anspruchs gering zu halten, der von derselben Vorfrage abhängig ist wie ein bereits rechtshängiger Anspruch, vermag den Lauf der Verjährung jedoch nicht zu beeinflussen. Der Verjährungsbeginn setzt aus Gründen der Rechtssicherheit und der Billigkeit grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände voraus. Diese Kenntnis hat der Gläubiger bereits dann, wenn ihm die Geltendmachung des Anspruchs erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. Weder ist es notwendig, dass der Gläubiger alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise noch Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können4. Deshalb steht auch ein noch nicht abgeschlossener Rechtsstreit zwischen Gläubiger und Schuldner, dessen Ausgang Rückschlüsse auf das Bestehen oder Nichtbestehen eines (noch nicht rechtshängigen) Anspruchs gegen den Schuldner erlaubt, nicht der Annahme entgegen, der Gläubiger habe im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB bereits Kenntnis von den Umständen, die diesen Anspruch begründen.
Verjährungshemmung[↑]
Durch die Einleitung des Vorprozesses ist lediglich die Verjährung der durch die Bürgschaften gesicherten (vermeintlichen) Ansprüche der Beklagten gehemmt worden. Denn die Klageerhebung hemmt die Verjährung nur für Ansprüche in der Gestalt und in dem Umfang, wie sie mit der Klage geltend gemacht werden, also nur für den streitgegenständlichen prozessualen Anspruch5.
Bei dieser Beurteilung bleibt es auch dann, wenn sich die Klägerin im Vorprozess hilfsweise darauf berufen haben sollte, zur Rückabwicklung der Verträge nur gegen Rückgabe der Bürgschaften verpflichtet zu sein. Die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts im Prozess führt – anders als bei der Aufrechnung nach § 204 Abs. 1 Nr. 5 BGB – nicht zu einer Hemmung der Verjährung des Gegenanspruchs. Aufrechnung und nur einredeweise geltend gemachte Gegenansprüche werden in anderen Zusammenhängen – wie etwa die Regelung des § 322 Abs. 2 ZPO verdeutlicht – ebenfalls nicht gleich behandelt6, so dass auch eine analoge Anwendung von § 204 Abs. 1 Nr. 5 BGB mangels Vorliegens einer planwidrigen Regelungslücke ausscheidet7.
Die Voraussetzungen des § 203 Satz 1 BGB sind nicht erfüllt.
Nach dieser Vorschrift ist die Verjährung nur gehemmt, wenn zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder über die diesen begründenden Umstände schweben. Hierzu legt das Berufungsgericht zutreffend zugrunde, dass der Begriff „Verhandlungen“ weit auszulegen ist. Der Gläubiger muss lediglich klarstellen, dass er einen Anspruch geltend machen und worauf er ihn stützen will. Anschließend genügt grundsätzlich jeder ernsthafte Meinungsaustausch über den Anspruch oder seine tatsächlichen Grundlagen, sofern der Schuldner dies nicht sofort und erkennbar ablehnt. Verhandlungen schweben schon dann, wenn eine der Parteien Erklärungen abgibt, die der jeweils anderen die Annahme gestatten, der Erklärende lasse sich auf Erörterungen über die Berechtigung des Anspruches oder dessen Umfang ein8. Diese Annahme ist aber in aller Regel nicht gerechtfertigt, wenn sich Parteien in einem Rechtstreit über die Berechtigung eines Zurückbehaltungsrechts streiten, weil damit nicht ohne weiteres die Chancen einer einvernehmlichen Regelung hinsichtlich des Gegenanspruchs ausgelotet, sondern der Streit (auch) darüber durch das Gericht entschieden werden soll. Etwas anderes kann nur bei Hinzutreten besonderer Umstände angenommen werden, so etwa dann, wenn ein Anspruch in einen Widerrufsvergleich einbezogen wird, der nicht Gegenstand des Rechtsstreits war. Dann ist die Verjährung dieses Anspruchs bis zur Erklärung des Widerrufs gehemmt9. Vergleichbar liegt es hier indessen nicht.
Der Umstand, dass der Beklagte zu 1 im Vorprozess als Kläger hilfsweise den Antrag stellte, die Klägerin Zug um Zug gegen Rückgabe der Bürgschaftsurkunden zu verurteilen, lässt nicht erkennen, dass er sich auf Verhandlungen über den Rückgabeanspruch einlassen wollte. Dass sowohl der Klageanspruch des Vorprozesses als auch der Anspruch auf Rückgabe der Bürgschaftsurkunden von dem Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der behaupteten Leistungsstörungen abhängig waren, gibt bei verständiger Würdigung – soll der Hemmungstatbestand des § 203 BGB nicht völlig konturenlos werden – nichts für eine Verhandlungsbereitschaft des damaligen Klägers her.
Der Hemmungstatbestand des § 205 BGB greift schon deshalb nicht ein, weil die Norm ausschließlich auf vertragliche vereinbarte Zurückbehaltungsrechte wie Stillhalteabkommen und Stundung anwendbar ist, nicht aber auf gesetzliche Zurückbehaltungsrechte nach § 273 oder § 320 BGB10. An einer vertraglichen Abrede über die Einräumung eines Zurückbehaltungsrechts fehlt es hier.
Die Berufung auf die Verjährungseinrede kann schließlich nicht als treuwidrig angesehen werden (§ 242 BGB). Das gilt bei verständiger Würdigung der widerstreitenden Interessen der Parteien auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beklagten mit der Bürgin einen zeitweisen Verzicht auf die Geltendmachung der Verjährungseinrede verabredet hatten. Die Beklagten haben hierdurch im Verhältnis zur Bürgin Vorsorge für den Fall eines ihnen günstigen Ausgangs des Vorprozesses getroffen. Für die – nicht an der Vereinbarung beteiligte – Klägerin bestand kein Anlass, darauf zu vertrauen, dass die Beklagten deshalb verpflichtet waren oder sich verpflichtet fühlen würden, sich ihr gegenüber nicht auf die Einrede der Verjährung zu berufen, sollte der Vorprozess für sie verloren gehen und die Klägerin deshalb Ansprüche wegen verspäteter Rückgabe der Bürgschaft geltend machen. Es ist auch bei miteinander verknüpften Ansprüchen Sache des jeweiligen Gläubigers sicherzustellen, dass die eigenen Ansprüche nicht verjähren. Dies wäre der Klägerin ohne weiteres möglich gewesen, sei es durch eine Vereinbarung mit den Beklagten über eine Verlängerung bzw. Hemmung der Verjährungsfrist (vgl. § 202 Abs. 2, § 205 BGB), sei es durch die Erhebung einer Widerklage im Vorprozess oder einer eigenständigen Klage (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. November 2014 – V ZR 309
- vgl. nur Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl., § 217 Rn. 1[↩]
- BGH, Urteil vom 19.12 2006 – – XI ZR 113/06, ZIP 2007, 570 Rn. 15[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 26.09.2012 – VIII ZR 249/11, WM 2013, 1576 Rn. 44 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 03.06.2008 – XI ZR 319/06, NJW 2008, 2576 Rn. 27 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 04.05.2005 – – VIII ZR 93/04, NJW 2005, 2004, 2005 mwN[↩]
- vgl. auch BGH, Urteil vom 11.11.1994 – – V ZR 46/93, NJW 1995, 967; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., vor § 322 Rn. 34a mwN[↩]
- ebenso Staudinger/Peters/Jacoby, BGB [2014], § 204 Rn. 64[↩]
- vgl. nur BGH, Urteil vom 14.07.2009 – XI ZR 18/08, BGHZ 182, 76 Rn. 16 mwN[↩]
- BGH, Urteil vom 04.05.2005 – VIII ZR 93/04, NJW 2005, 2004, 2006[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 25.01.2012 – XII ZB 461/11, NJW-RR 2012, 579 Rn. 23; Palandt/Ellenberger, BGB, 74. Aufl., § 205 Rn. 1 f.[↩]
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