Zur Anwendung des Novenrechts im Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO hat jetzt der Bundesgerichtshof Stellung genommen: Bleibt ein Angriffsoder Verteidigungsmittel einer Partei unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung der Präklusionsnormen zu Unrecht zurückgewiesen hat, ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt.

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Verfahren machte die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend, dass die Klägerin durch die Zurückweisung ihres Antrags auf Vernehmung des Zeugen B. in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt wurde.
Die Zurückweisung des in der Stellungnahme der Klägerin auf den Hinweis des Berufungsgerichts nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO gestellten Antrags auf Vernehmung des Zeugen B. findet in § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO keine Stütze. Das Beweisangebot war entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht neu, sondern lediglich eine Wiederholung des bereits erstinstanzlich mit der Klageschrift angetretenen Zeugenbeweises.
Aus dem gleichen Grund lässt sich die Zurückweisung des Beweisangebots entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts auch nicht auf §§ 530, 520, 296 Abs. 1 ZPO stützen. Das Landgericht, das die Klage bereits für unzulässig gehalten hat, hat über das Beweisangebot von seinem Standpunkt aus folgerichtig nicht entschieden. Im ersten Rechtszug nicht zurückgewiesenes Vorbringen wird aber ohne Weiteres Prozessstoff der zweiten Instanz 1, eines erneuten Vorbringens bedarf es insoweit grundsätzlich nicht 2.
Darüber hinaus war der vom Berufungsgericht nach § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO erteilte Hinweis im Streitfall zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung auch nach § 139 Abs. 2 Satz 1, § 525 Satz 1 ZPO geboten, nachdem das Berufungsgericht beabsichtigt hat, die Klage anders als das Landgericht nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen. Der durch einen notwendigen Hinweis nach § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO veranlasste Vortrag einer Partei darf aber nicht als verspätet zurückgewiesen werden 3.
Bleibt wie im vorliegenden Fall ein Angriffsoder Verteidigungsmittel einer Partei unberücksichtigt, weil der Tatrichter es in offenkundig fehlerhafter Anwendung der Präklusionsnormen zu Unrecht zurückgewiesen hat, ist zugleich das rechtliche Gehör der Partei verletzt 4.
Der angefochtene Beschluss beruht auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einem der Klägerin günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn es den Zeugen B. zur Verwendung des Prospekts im Rahmen der Anlagevermittlung vernommen hätte.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. September 2019 – VI ZR 517/18
- vgl. BGH, Urteile vom 12.03.2004 – V ZR 257/03, BGHZ 158, 269, 278 18; vom 19.03.2004 – V ZR 104/03, BGHZ 158, 295, 309 11; vom 27.09.2006 – VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 Rn. 16[↩]
- vgl. Rimmelspacher in MünchKomm, ZPO, 5. Aufl., § 530 Rn. 7, § 538 Rn. 14 ff.[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 29.05.2018 – VI ZR 370/17, NJW 2018, 3652 Rn. 15; BGH, Beschluss vom 01.10.2014 – VII ZR 28/13, NJW-RR 2014, 1431 Rn. 10 ff.; Rimmelspacher, aaO, § 522 Rn. 27; Ball in Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl., § 522 Rn. 27b[↩]
- vgl. BGH, Beschluss vom 03.11.2008 – II ZR 236/07, NJW-RR 2009, 332 Rn. 8; Urteil vom 27.01.2010 XII ZR 148/07, NJW-RR 2010, 1508 Rn.20; Beschluss vom 17.07.2012 – VIII ZR 273/11, NJW 2012, 3787 Rn. 9; BVerfGE 69, 141, 144[↩]