Bei der Prozessfähigkeit handelt es sich um eine Sachurteilsvoraussetzung, die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu klären ist. Bestehen begründete Zweifel an der Prozessfähigkeit einer Partei beziehungsweise sind die zur Verfügung stehenden Aufklärungsmöglichkeiten noch nicht erschöpft, darf deshalb ein gegen sie gerichtetes Versäumnisurteil nicht ergehen1.

Dass sich die Beklagte auf ihre (möglicherweise) fehlende Prozessfähigkeit beruft, steht der Zulässigkeit ihres Rechtsmittels nicht entgegen2. Das Rechtsmittel einer Partei, die sich dagegen wendet, von der Vorinstanz zu Unrecht entweder als prozessfähig oder als prozessunfähig behandelt worden zu sein, ist ohne Rücksicht darauf zulässig, ob die für die Prozessfähigkeit erforderlichen Voraussetzungen festgestellt werden können3. Die potentiell prozessunfähige Partei kann daher # entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung # auch bis zur abschließenden Klärung dieser Frage materiellrechtlich wirksam Prozessvollmacht erteilen4.
Die Revision ist auch begründet. Das gegen die Beklagte gerichtete zweite Versäumnisurteil hätte nach dem damaligen Verfahrensstand nicht erlassen werden dürfen. Es ist nicht in gesetzlicher Weise ergangen.
Der Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils ist zurückzuweisen, wenn die erschienene Partei die vom Gericht wegen eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Umstands erforderte Nachweisung nicht zu beschaffen vermag (§ 335 Abs. 1 Nr. 1 iVm § 525 ZPO). Hierzu gehört die Prozessfähigkeit der Parteien. Diese ist zwingende und unverzichtbare Prozessvoraussetzung5. Unerheblich ist, ob dem Gericht die Umstände, die dem Erlass eines Versäumnisurteils entgegenstehen, bekannt waren6. Bevor die Frage der Prozessfähigkeit der Parteien nicht in dem Sinne geklärt ist, dass diese besteht, darf eine Sachentscheidung nicht ergehen7. Gegen einen prozessunfähigen Beklagten darf mithin kein Versäumnisurteil erlassen werden.
Geschäfts# und damit prozessunfähig ist, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (§ 104 Nr. 2 BGB, § 51 Abs. 1, § 52 ZPO)8.
Sind konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben, dass Prozessunfähigkeit einer Partei vorliegen könnte, so hat das Gericht # das heißt die jeweils mit der Sache befasste Instanz # wegen dieser eine Prozessvoraussetzung betreffenden Frage von Amts wegen (vgl. § 56 Abs. 1 ZPO) Beweis zu erheben, wobei es nicht an die förmlichen Beweismittel der Zivilprozessordnung gebunden ist, weil der Grundsatz des Freibeweises gilt9. Für den Eintritt in die Beweisaufnahme genügt, dass nach dem Tatsachenvortrag die Möglichkeit der Prozessunfähigkeit nicht von der Hand zu weisen ist10.
Sollte sich die Prozessfähigkeit der Beklagten auch nach ihrer persönlichen Begutachtung und der etwaigen Auswertung weiterer Vorbefunde nicht klären lassen, kann # soweit nach Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisse hinreichende Anhaltspunkte für eine Prozessunfähigkeit verbleiben # nach ständiger Rechtsprechung die Prozessfähigkeit nicht bejaht werden, was zulasten der ein Sachurteil erstrebenden Partei zur Abweisung der Klage durch Prozessurteil führt11. Ist nach der Prüfung trotz Erschöpfung aller erschließbaren Erkenntnisquellen die Prozessfähigkeit weder klar zu bejahen noch eindeutig zu verneinen, bleiben aber ernsthafte und begründete Zweifel an der Prozessfähigkeit bestehen, so kann das Verfahren nicht auf die Gefahr seiner Mangelhaftigkeit und der sich daraus möglicherweise später ergebenden Rechtsfolgen hin fortgesetzt werden12. Die Beweislastregelung, wie sie im bürgerlichen Recht hinsichtlich der Voraussetzungen des § 104 Nr. 2 BGB gilt, findet bei Entscheidungen über die Prozessfähigkeit keine Anwendung13.
Sollten im neuen Berufungsverfahren begründete Zweifel an der Prozessfähigkeit der Beklagten verbleiben, ist es Sache des Oberlandesgerichts, den Parteien Gelegenheit zu geben, für eine ordnungsgemäße Vertretung der Beklagten # gegebenenfalls im Wege der Betreuung (§ 1896 BGB) # zu sorgen, die es ermöglicht, ein Sachurteil zu erlassen, oder der Beklagten in entsprechender Anwendung des § 57 ZPO einen Prozesspfleger zu bestellen14. Kommt dies allerdings nicht zustande, wird auch das erste Versäumnisurteil aufzuheben und die Klage durch Prozessurteil abzuweisen sein.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 8. Juli 2021 – III ZR 344/20
- Fortführung von BGH, Urteil vom 10.10.1985 # – IX ZR 73/85, NJWRR 1986, 157[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.10.1985 # – IX ZR 73/85, NJWRR 1986, 157, 158[↩]
- vgl. zB BGH, Urteil vom 04.11.1999 # – III ZR 306/98, BGHZ 143, 122, 123, 127[↩]
- vgl. Schulze in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 52 Rn. 23[↩]
- vgl. zB BGH, Beschluss vom 14.02.2017 # – XI ZR 283/16 13; Urteil vom 04.05.2004 # – XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94, 98[↩]
- BGH, Urteil vom 05.10.1961 # – VII ZR 201/58, NJW 1961, 2207[↩]
- BGH, Urteil vom 10.10.1985 aaO[↩]
- vgl. auch BGH, Urteil vom 04.11.1999 aaO S. 125[↩]
- vgl. zB Bundesgerichtshof aaO S. 124; BGH, Urteil vom 09.01.1996 # – VI ZR 94/05, NJW 1996, 1059, 1060[↩]
- BGH, Urteil vom 10.10.1985 aaO S. 157 und Beschluss vom 14.02.2017 aaO Rn. 15[↩]
- BGH, Urteile vom 09.11.2010 # – VI ZR 249/09, NJWRR 2011, 284 Rn. 4; vom 09.01.1996 aaO S. 1060; vom 23.02.1990 # – V ZR 188/88, BGHZ 110, 294, 297 f; vom 22.12.1982 # – V ZR 89/80, BGHZ 86, 184, 189; vom 09.05.1962 # – IV ZR 4/62, NJW 1962, 1510; und vom 24.09.1955 # – IV ZR 162/54, BGHZ 18, 184, 189 f[↩]
- BGH, Urteil vom 09.05.1962 aaO[↩]
- BGH, Urteil vom 24.09.1955 aaO S.190[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.02.1990 # – V ZR 188/88, NJW 1990, 1734, 1736; insoweit nicht in BGHZ 110, 294 ff abgedruckt[↩]