Fernsehdekoder mit Festplattenfunktion – und der Zoll

Manchmal hat auch eine so dröge Materie wie das Zollrecht einen gewissen Unterhaltungswert. So ging es aktuell vor dem Gerichtshof der Europäischen Union um die Frage, wie Pay-TV-Dekoder zolltariflich einzuordnen sind. Der Spannbreite ist hierbei beachtlich: Als Set-Top-Boxen unterlägen sie einem Zolltarif von 0%, als „Aufzeichnungsgeräte“ dagegen einem solchen von 13,9%. Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied ganz pragmatisch: Der Decoder kann auch ohne Festplatte benutzt werden, aber ohne den Dekoder wäre auch die Festplatte nutzlos. Also ist die Festplatte nur eine Zugabe, die Einreihung hat als „Set-Top-Box“ zu erfolgen. TV-Decoder mit Festplatte sind daher von Zoll befreit und dürfen nicht wie Aufzeichnungsgeräte einem Zolltarif von 13,9% unterworfen werden.

Fernsehdekoder mit Festplattenfunktion – und der Zoll

Das Recht der Europäischen Union legt fest, welche Zollsätze auf Gegenstände angewandt werden, die aus einem Drittland in die Europäische Union eingeführt werden. So findet sich in der jährlich von der Kommission veröffentlichten Kombinierten Nomenklatur ein System zur Tarifierung von Waren und der auf die jeweilige Gruppe anwendbare Tarif. Erläuterungen zu dieser Nomenklatur – ebenfalls von der Kommission veröffentlicht – liefern ergänzende Hinweise zur Tarifierung der Waren. Die Kombinierte Nomenklatur beruht auf dem Harmonisierten System zur Tarifierung der Waren auf internationaler Ebene, dessen Tarifierungspositionen sie weitgehend übernimmt.

British Sky Broadcasting, der größte Anbieter digitaler Satellitenfernsehdienste im Vereinigten Königreich, importiert einen Satellitenfernsehempfänger, der als „Sky+“-STB bezeichnet und von Pace für Sky hergestellt wird. Diese Box, die mit einer Kommunikationsfunktion ausgestattet ist, enthält eine Festplatte, die es dem Endverbraucher ermöglicht, von Sky ausgestrahlte Programme aufzuzeichnen.

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Sky und Pace wandten sich gegen Bescheide der Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs, der britischen Zollbehörde, mit denen diese die „Sky+“-Set-Top-Box gemäß den Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur als Aufzeichnungsgerät tarifiert hatten. Ihrer Ansicht nach ist die „Sky+“-Set-Top-Box als Set-Top-Box mit Kommunikationsfunktion und nicht als Aufzeichnungsgeräte zu tarifieren. Aufzeichnungsgeräte unterliegen einem Zollsatz von 13,9 %, während Set-Top-Boxen von Zoll befreit sind.

Das mit diesen Streitigkeiten befasste britische First-tier Tribunal (Tax Chamber) fragt den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach der zutreffenden Tarifierung der „Sky+“-STB.

Im Wege eines solchen Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.

In seinem heutigen Urteil antwortet der Gerichtshof der Europäischen Union, dass TV-Decoder mit Festplatte wie die „Sky+“-Set-Top-Box als Set-Top-Boxen mit Kommunikationsfunktion und nicht als Aufzeichnungsgeräte zu tarifieren sind. Hierzu weist der Europäische Gerichtshof darauf hin, dass Elektrogeräte, die mehrere Funktionen aufweisen und in verschiedene Gruppen eingereiht werden können, nach der das Gerät kennzeichnenden Hauptfunktion einzureihen sind.
Decoder des Typs „Sky+“-STB werden an Anbieter von Fernsehdiensten wie Sky verkauft, die sie ihren Kunden zur Verfügung stellen, damit diese Zugang zu ihren Programmen erhalten. Ein Verbraucher, der bei einem Anbieter wie Sky ein Abonnement abschließt, lässt sich demnach hauptsächlich von dem Wunsch leiten, Zugang zu den angebotenen Fernsehprogrammen zu erhalten; hierfür muss er sich eine Box wie die „Sky+“-STB anschaffen. Die Möglichkeit, die empfangenen Fernsehprogramme aufzuzeichnen, mit der dieses Modell darüber hinaus ausgestattet ist, stellt nur einen zusätzlichen Dienst dar.

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Wählt der Verbraucher dieses Produkt, sucht er nicht in erster Linie nach einer Aufzeichnungsfunktion, sondern nach einer Funktion zur Entschlüsselung der Fernsehsignale, selbst wenn die Möglichkeit der Aufzeichnung oder die Anzahl an Stunden von Programmen, die aufgezeichnet werden können, seine Wahl beeinflussen kann. Diese Feststellung wird dadurch bestätigt, dass die „Sky+“-STB nicht die Aufzeichnung von Videoinhalten ermöglicht, die von anderen externen Geräten (Fernsehempfangsgeräten, Kameras oder Videorekordern) stammen, dass sie sich nicht zur Wiedergabe von Videoinhalten externer Träger – wie DVDs oder Videobändern – eignet und dass sie keine Videoinhalte auf solchen externen Trägern speichern kann.

Die „Sky+“-STB soll also hauptsächlich für den Empfang von Fernsehsignalen verwendet werden, und diese Funktion wohnt dem Gerät inne. Sie stellt daher seine Hauptfunktion dar, während die Aufzeichnungsfunktion nur zweitrangig ist. Folglich sind die Erläuterungen zur Kombinierten Nomenklatur, an denen die Commissioners ihren Bescheid ausgerichtet haben, in diesem Punkt nicht zu berücksichtigen.

Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil vom 14. April 2011 – C-288/09 und C-289/09 [British Sky Broadcasting Group plc und Pace plc / The Commissioners for Her Majesty’s Revenue & Customs]