Mit den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 GG an den Schutz von Arbeitsplätzen bei Betriebsübergängen (§ 613a BGB) hatte sich aktuell das Bundesverfassungsgericht zu befassen:

Aus Art. 12 Abs. 1 GG ergeben sich verfassungsrechtliche Anforderungen an das Verständnis der wirtschaftlichen Einheit als Voraussetzung für einen Betriebsübergang nach § 613a BGB.
Abs. 1 Satz 1 GG garantiert neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. So wie sich die freie Berufswahl nicht in der Entscheidung zur Aufnahme eines Berufs erschöpft, sondern auch die Fortsetzung und Beendigung eines Berufs umfasst, bezieht sich die freie Arbeitsplatzwahl neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch auf den Willen Einzelner, diese beizubehalten oder aufzugeben. Jedoch ist mit dieser Wahlfreiheit weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden. Das Grundrecht verleiht keinen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes aufgrund privater Dispositionen. Insoweit obliegt dem Staat lediglich eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht, der die geltenden Kündigungsvorschriften Rechnung tragen1. Soweit der Gesetzgeber zulässt, dass die Arbeitgeberseite durch Rechtsgeschäft ohne Zustimmung der Beschäftigten ausgewechselt wird, trifft ihn daher auch eine Schutzpflicht, damit das Interesse der Arbeitnehmerseite an der Erhaltung der Arbeitsplätze trotz Arbeitgeberwechsels hinreichend Beachtung findet2. Dem trägt der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Anordnung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB Rechnung, dass bei einem Betriebsübergang die Übernehmerseite in die Rechte und Pflichten der bestehenden Arbeitsverhältnisse eintritt. Systematisch gehört § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB zum Kündigungsschutzrecht und hat damit in Art. 12 Abs. 1 GG eine grundrechtliche Basis.
Dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse der Arbeitnehmerseite an einer Erhaltung des Arbeitsplatzes steht das ebenfalls grundrechtlich geschützte Interesse der Arbeitgeberseite gegenüber, im Unternehmen nur Arbeitskräfte zu beschäftigen, die ihren Vorstellungen entsprechen, und ihre Zahl auf das von ihr bestimmte Maß zu beschränken. Damit stellt sich ein Problem praktischer Konkordanz: Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden3. Geht es um die Auslegung und Anwendung von arbeitsrechtlichen Kündigungsvorschriften, müssen die Gerichte den Schutzgehalt des Art. 12 Abs. 1 GG beachten. Das Grundrecht wird verletzt, wenn Bedeutung und Tragweite bei der Auslegung und Anwendung der arbeitsrechtlichen Vorschriften grundsätzlich verkannt werden. Dagegen ist es nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts, zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz im Einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert4.
Davon ausgehend werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben aus Art. 12 Abs. 1 GG durch das angegriffene Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht verletzt.
Das Bundesarbeitsgericht geht in durch das Bundesverfassungsgericht nicht zu beanstandender Weise und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union davon aus, hinsichtlich des Vorliegens einer wirtschaftlichen Einheit, die nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB übergehen kann, komme es im Rahmen einer Gesamtabwägung insbesondere auf die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, den etwaigen Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude oder bewegliche Güter, den Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, den etwaigen Übergang der Kundschaft sowie den Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit an5. Diese Kriterien ermöglichen eine Konkretisierung des Begriffs der wirtschaftlichen Einheit, die der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflicht in Bezug auf einen möglichen Verlust des Arbeitsplatzes bei Betriebsübergang im Grundsatz Rechnung trägt. Soweit das Bundesarbeitsgericht die materiellen Betriebsmittel, die für einen möglichen Betriebsübergang entscheidend sein können, für die Konstellation der Auftragsnachfolge nach dem Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs bestimmt6, bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Vorliegend entspricht auch die konkrete Anwendung dieser allgemeinen Grundsätze den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG an den Schutz von Arbeitsplätzen bei Betriebsübergängen stellt. Dies gilt unabhängig von der einfachrechtlichen Frage, ob die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, die Immobilie sei vorliegend kein Betriebsmittel, zwingend so zu beantworten war. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Aufgabe, die Auslegung einfachen Rechts im Einzelfall zu kontrollieren. Jedenfalls vor dem Hintergrund, dass die übernehmende Stadt überwiegend keine Vermietung mehr durchführt und sich der Zweck der Verwaltung und die dort anfallenden Aufgaben damit verändert haben, hält sich das angegriffene Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 1 BvR 2796/13
- vgl. BVerfGE 84, 133, 146 f.; 97, 169, 175; 128, 157, 176 f.[↩]
- vgl. BVerfGE 128, 157, 177[↩]
- vgl. BVerfGE 97, 169, 176[↩]
- vgl. BVerfGE 92, 140, 152 f.; 96, 152, 164[↩]
- vgl. BAG, Urteil vom 26.05.2011 – 8 AZR 37/10 32; dazu EuGH, Urteil vom 15.12 2005, Güney-Görres, – C-232/04 und – C-233/04, – C-232/04, – C-233/04, Slg. 2005, I-11237, Rn. 33[↩]
- vgl. BAG, Urteil vom 02.03.2006 – 8 AZR 147/05 22; Urteil vom 22.08.2013 – 8 AZR 521/12 42[↩]