Abfindungsausschluss im Sozialplan beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente

Arbeitnehmer können von Sozialplanleistungen ausgenommen werden, wenn sie wegen des Bezugs einer befristeten vollen Erwerbsminderungsrente nicht beschäftigt sind und mit der Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit auch nicht zu rechnen ist.

Abfindungsausschluss im Sozialplan beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente

Sozialpläne unterliegen, wie andere Betriebsvereinbarungen, der gerichtlichen Rechtmäßigkeitskontrolle. Sie sind daraufhin zu überprüfen, ob sie mit höherrangigem Recht, wie insbesondere dem betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 75 Abs. 1 BetrVG), vereinbar sind. Danach haben Arbeitgeber und Betriebsrat darüber zu wachen, dass jede Benachteiligung von Personen aus den in dieser Vorschrift genannten Gründen unterbleibt. § 75 Abs. 1 BetrVG enthält nicht nur ein Überwachungsgebot, sondern verbietet zugleich Vereinbarungen, durch die Arbeitnehmer aufgrund der dort aufgeführten Merkmale benachteiligt werden. Der Gesetzgeber hat darin die in § 1 AGG geregelten Benachteiligungsverbote übernommen1. Dazu gehört auch das Verbot der Benachteiligung wegen einer Behinderung.

Der in § 75 Abs. 1 BetrVG enthaltene Begriff der Benachteiligung und die Zulässigkeit einer unterschiedlichen Behandlung richten sich nach den Vorschriften des AGG2. Eine unmittelbare Benachteiligung liegt dabei gemäß § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Benachteiligungsgrundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Dagegen handelt es sich nach § 3 Abs. 2 AGG um eine mittelbare Benachteiligung, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

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Der Ausschluß der Sozialplanabfindung bei bestimmten Fällen der Erwerbsminderung führt zu einer unmittelbaren Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG.

Eine unmittelbare Ungleichbehandlung liegt nicht nur vor, wenn die weniger günstige Behandlung ausdrücklich wegen eines in § 1 AGG aufgeführten Grundes erfolgt. Von § 3 Abs. 1 AGG wird vielmehr auch eine sog. verdeckte unmittelbare Ungleichbehandlung erfasst, bei der die Differenzierung zwar nicht ausdrücklich wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt, sondern an ein in dieser Vorschrift nicht enthaltenes Merkmal anknüpft, das jedoch in einem untrennbaren Zusammenhang mit einem in dieser Vorschrift genannten Grund steht3.

Dementsprechend führt diese Regelung des Sozialplans zu einer unmittelbaren Ungleichbehandlung iSd. § 3 Abs. 1 AGG. Die zum Ausschluss von Sozialplanleistungen führenden Gründe stehen in einem untrennbaren Zusammenhang mit der nach § 1 AGG verbotenen Differenzierung wegen einer Behinderung.

Nach der Gesetzesbegründung zu § 1 AGG sind entsprechend der in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX enthaltenen Begriffsbestimmung Menschen behindert, wenn ihre körperlichen Funktionen, geistigen Fähigkeiten oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist4. Das steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, nach der eine Behinderung iSd. Richtlinie 2000/78/EG eine wahrscheinlich längere Zeit andauernde Einschränkung ist, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet5.

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Gemäß den Bestimmungen des Sozialplans sind nicht anspruchsberechtigt Arbeitnehmer, die am 4.10.2006 unter Bezug einer befristeten vollen Erwerbsminderungsrente nicht beschäftigt waren und bei denen aus anderen Gründen damit zu rechnen ist, dass die mit der Erwerbsminderung einhergehende Arbeitsunfähigkeit auf Dauer fortbesteht oder zumindest in absehbarer Zeit nicht behoben werden kann und damit einen Grund zur personenbedingten, da krankheitsbedingten Kündigung gem. § 1 Abs. 2 KSchG vorliegt. Die Betriebsparteien sind dabei davon ausgegangen, dass diese Anforderungen bei einer die Rente wegen voller Erwerbsminderung begleitenden Arbeitsunfähigkeit von mehr als drei Jahren oder einer entsprechenden Bewilligung von voller Erwerbsminderungsrente für mehr als drei Jahre erfüllt sind. Soweit in dem Sozialplan auf den Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsminderung abgestellt wird, müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI erfüllt sein. Danach sind Versicherte voll erwerbsgemindert, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.

Die Gegenüberstellung der Merkmale des Begriffs der Behinderung und der tatbestandlichen Anforderungen des Sozialplans macht deutlich, dass diese in einem untrennbaren Zusammenhang mit der nach § 1 AGG verbotenen Differenzierung wegen einer Behinderung stehen. Ein Arbeitnehmer, der den AusschlussTatbestand des Sozialplans erfüllt, ist in der Teilhabe am Berufsleben längere Zeit eingeschränkt. Daher hat die Regelung eine unmittelbare Ungleichbehandlung des Klägers wegen einer Behinderung zur Folge.

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Diese Ungleichbehandlung stellt jedoch keine unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 AGG dar, denn der Kläger wird durch den Ausschlusstatbestand in dem Sozialplan nicht gegenüber Personen in einer „vergleichbaren Situation“ benachteiligt.

Eine unmittelbare Benachteiligung iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG setzt voraus, dass eine Person eine weniger günstige Behandlung, als eine andere Person in vergleichbarer Situation erfährt. Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit die Bestimmung des Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG, die ebenfalls eine vergleichbare Situation voraussetzt, unverändert umgesetzt. Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine unmittelbare Benachteiligung nur dann vorliegt, wenn sich die betroffenen Personen in einer vergleichbaren Lage befinden6. Die Situationen müssen nicht identisch, sondern nur vergleichbar sein. Dies ist nicht allgemein und abstrakt, sondern spezifisch und konkret von den nationalen Gerichten im Einzelfall anhand des Zwecks und der Voraussetzungen für die Gewährung der fraglichen Leistungen festzustellen7. Danach ist unionsrechtlich geklärt, dass ein letztentscheidungsbefugtes nationales Gericht unter Zugrundelegung des vom Gerichtshof entwickelten Vergleichsmaßstabs selbst zu prüfen hat, ob sich der Betroffene in einer vergleichbaren Situation mit anderen befindet. Die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV war deshalb nicht geboten.

Nach diesen Grundsätzen besteht zwischen dem Kläger und den nach dem Sozialplan anspruchsberechtigten Arbeitnehmern keine vergleichbare Situation.

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Sozialpläne haben nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion. Die in ihnen vorgesehenen Leistungen sollen gem. § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die künftigen Nachteile ausgleichen oder abmildern, die den Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung entstehen können8. Die Sozialplanleistungen stellen kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste dar9.

Hiervon ausgehend sind nicht alle Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung verloren haben, bereits aus diesem Grund in einer „vergleichbaren Situation“ iSd. § 3 Abs. 1 AGG. Die Vergleichbarkeit bestimmt sich vielmehr nach der zukunftsbezogenen Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion des Sozialplans. Dementsprechend kommt es darauf an, ob sich der Kläger und die vom Sozialplan begünstigten Arbeitnehmer in Bezug auf ihre durch die Betriebsstilllegung verursachten wirtschaftlichen Nachteile in einer vergleichbaren Situation befinden.

Danach besteht zwischen dem Kläger und den anspruchsberechtigten Arbeitnehmern keine vergleichbare Situation. Während diese infolge der Betriebsschließung und dem damit verbundenen Verlust der Arbeitsplätze ihren Arbeitsverdienst verloren haben, erhielt der Kläger bereits vor der Betriebsschließung kein Arbeitsentgelt mehr, sondern eine Erwerbsminderungsrente. Hieran hat sich durch die Betriebsstilllegung nichts geändert. Der Kläger verkennt, dass die Sozialplanabfindung keine Belohnung für die Dienste in der Vergangenheit ist, sondern eine zukunftsgerichtete Hilfe, die dazu dient, künftige Nachteile auszugleichen oder zu mildern, die als Folge einer Betriebsänderung entstehen. Entgegen der Auffassung der Revision kommt es für die Vergleichbarkeit der Situationen nicht darauf an, ob ein Arbeitnehmer nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses möglicherweise einen Anspruch auf Auszahlung einer Kapitallebensversicherung hat und hierdurch finanziell abgesichert ist. Diese auf privaten Dispositionen des Einzelnen beruhende wirtschaftliche Absicherung steht in keinem Zusammenhang mit dem Verlust des Arbeitsplatzes infolge einer Betriebsänderung und der damit einhergehenden Verdiensteinbuße. Den nach dem Sozialplan anspruchsberechtigten Arbeitnehmern entstehen deshalb auch dann wirtschaftliche Nachteile, wenn sie Leistungen aus einer privaten Kapitallebensversicherung beziehen können. Derartige Nachteile treten beim Kläger nicht ein.

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Der Sozialplan verstößt nicht gegen den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG, soweit nach dem Sozialplan auch Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht, wie beispielsweise während der Elternzeit, dem Mutterschutz oder dem Wehr- und Zivildienst, anspruchsberechtigt sind.

Der auf den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zurückzuführende betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, eine Gleichbehandlung von Personen in vergleichbaren Sachverhalten sicherzustellen und eine gleichheitswidrige Gruppenbildung auszuschließen. Maßgeblich für das Vorliegen eines die Bildung unterschiedlicher Gruppen rechtfertigenden Sachgrundes ist vor allem der mit der Regelung verfolgte Zweck10.

Danach ist die von den Betriebsparteien vorgenommene Gruppenbildung nicht zu beanstanden. Die Betriebsparteien durften in Bezug auf die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis ruht, davon ausgehen, dass sie nach Beendigung des Ruhenstatbestands in den Betrieb zurückkehren und dort wieder arbeiten und entlohnt werden. Dieser Personenkreis hat damit infolge der Betriebsänderung einen wirtschaftlichen Nachteil erlitten. Dagegen konnten die Betriebsparteien davon ausgehen, dass die von dem AusschlussTatbestand des Sozialplans erfassten Personen nicht wieder arbeiten werden und damit auch kein Erwerbseinkommen erzielen können. Folglich fehlt es bei diesem Personenkreis an einem ausgleichsfähigen wirtschaftlichen Nachteil.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 7. Juni 2011 – 1 AZR 34/10

  1. BAG 12.04.2011 – 1 AZR 764/09, Rn. 10 f.[]
  2. BT-Drucks. 16/1780 S. 56[]
  3. BT-Drucks. 16/1780 S. 32; dazu auch BVerfG 28.04.2011 – 1 BvR 1409/10, Rn. 54, ZTR 2011, 434[]
  4. BT-Drucks. 16/1780 S. 31[]
  5. 11.07.2006 – C13/05 – [Chacon Navas] Rn. 43 ff., Slg.2006, I6467[]
  6. vgl. 10.05.2011 – C147/08 – [Römer] Rn. 41, ZTR 2011, 437; 18.11.2010 – C356/09 – [Kleist] Rn. 32 ff., EzA EGVertrag 1999 Richtlinie 76/207 Nr. 8; 1.04.2008 – C267/06 – [Maruko] Rn. 72 f., Slg.2008, I1757; 9.12.2004 – C19/02 – [Hlozek] Rn. 44 ff., Slg.2004, I11491 zu Art. 141 EG sowie 1.03.2011 – C236/09 – [TestAchats] Rn. 28 f. zu Art. 5 der Richtlinie 2004/113/EG[]
  7. EuGH 10.05.2011 – C147/08 – [Römer] Rn. 52; 1.04.2008 – C267/06 – [Maruko] Rn. 73, aaO[]
  8. BAG 18.05.2010 – 1 AZR 187/09, Rn. 22 mwN, AP BetrVG 1972 § 112 Nr.209 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 38[]
  9. BAG 26.05.2009 – 1 AZR 198/08, Rn. 23, BAGE 131, 61[]
  10. BAG 14.12.2010 – 1 AZR 279/09, Rn. 15, NZARR 2011, 182[]
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