Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz (NS-VEntschG) für den verfolgungsbedingten Entzug von Aktien ist ausgeschlossen, wenn die geschädigten Aktieninhaber oder ihre Rechtsnachfolger für diesen Vermögensverlust bereits Wiedergutmachungsleistungen nach dem Bundesrückerstattungsgesetz (BRüG) geltend gemacht und erhalten haben.

In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall war dem 1938 von Leipzig nach Palästina ausgewanderten jüdischen Ehepaar L. während des NS-Regimes ihre Unternehmensbeteiligung an der Görlitzer Waggon- und Maschinenbau AG mit Aktien im Wert von nominal 11 000 Reichsmark entzogen worden. Die Klägerin, ein internationaler Zusammenschluss jüdischer Organisationen mit Sitz in New York, ist nach deutschem Recht berechtigt, Entschädigungsansprüche jüdischer Opfer des NS-Regimes, die diese nicht selbst geltend gemacht haben, im eigenen Namen durchzusetzen und nach satzungsgemäßen Vorgaben zu verwerten. Sie begehrt die Feststellung, dass ihr wegen des verfolgungsbedingten Entzugs der in den Aktien verbrieften Unternehmensbeteiligung der Eheleute L. ein Anspruch auf Entschädigung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG gegen den Entschädigungsfonds zusteht.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat den Antrag der Klägerin mit der Begründung abgelehnt, eine solche Entschädigung sei nach § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG ausgeschlossen, weil dieser Vermögensverlust bereits in einem von den Erben der Eheleute L. eingeleiteten Verfahren nach dem Bundesrückerstattungsgesetz durch einen Teilvergleich im Jahre 1970 wiedergutgemacht worden sei1. Die dagegen gerichtete Revision der Klägerin blieb vor dem Bundesverwaltungsgericht ebenfalls ohne Erfolg:
Der geltend gemachte Anspruch bezieht sich auf denselben von den Eheleuten L. im NS-Régime erlittenen Vermögensverlust, für den deren Rechtsnachfolgern bereits Leistungen nach dem Bundesrückerstattungsgesetz erbracht wurden. Dieser Vermögensverlust bestand im Entzug der in den Aktien verkörperten Beteiligung an der Aktiengesellschaft. Hierfür, nicht aber, wie die Klägerin meint, für den Verlust von Aktien in ihrer Funktion als Wertpapiere, wurde 1970 die Entschädigung nach dem Rückerstattungsrecht gewährt. Eine Aktie ist der Inbegriff sämtlicher Rechte und Pflichten, die einem Aktionär auf Grund seiner durch die Aktie vermittelten Beteiligung an der Aktiengesellschaft zustehen. Ihre Funktion als Wertpapier begründet keinen weiteren eigenständigen Vermögenswert, sondern erhöht durch eine Verbriefung die Verkehrsfähigkeit der Beteiligung an der Aktiengesellschaft.
Nach dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Ausschlussregelung (§ 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG) soll es bei einem erlittenen (identischen) Vermögensverlust mit den erbrachten rückerstattungsrechtlichen Leistungen unabhängig von ihrer Höhe sein Bewenden haben. Dadurch soll sichergestellt werden, dass solche Fälle nicht nochmals entschädigungsrechtlich aufgegriffen werden müssen. Der Gesetzgeber wollte mit den Regelungen des NS-VEntschG erreichen, dass NS-Geschädigte im Beitrittsgebiet nicht schlechter gestellt werden, als sie bei Anwendbarkeit des im übrigen Bundesgebiet geltenden Rückerstattungsrechts gestanden hätten. Die Ausschlussregelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 NS-VEntschG verletzt nicht das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. März 2015 – 8 C 5.2014 -
- VG Berlin, Urteil vom 16.01.2014 – 29 K 120.12[↩]