Informationspflichten in der Verwaltungsreform

Der mit der Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände in Baden-Württemberg verbundene Übergang von Aufgaben auf die Stadt- und Landkreise und den Kommunalverband für Jugend und Soziales zum 1. Januar 2005 begründet zwischen den beteiligten Körperschaften weder drittbezogene Amtspflichten noch ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, die bei Fehlern zu Schadensersatzansprüchen der einen gegen die andere Körperschaft führen könnten (hier: unterlassene Information über ein anhängiges Gerichtsverfahren).

Informationspflichten in der Verwaltungsreform

Wird eine gesetzliche Aufgabe – wie hier – auf einen neuen Träger übertragen, ist es selbstverständlich, dass der bisherige Aufgabenträger alles tun muss, damit der neue Träger seine Tätigkeit aufnehmen kann. Dazu gehört insbesondere die vollständige Übergabe von solchen Akten, die noch nicht abgeschlossen sind oder in denen ein späteres Tätigwerden des neuen Trägers erforderlich wird.

Aus der Verletzung der vorstehend erörterten Informationspflicht folgt indessen keine Schadensersatzpflicht der Beklagten.

Eine Haftung nach Amtshaftungsgrundsätzen kommt nicht in Betracht. Denn der neue Verwaltungsträger ist schon nicht geschützter Dritter im Sinne des § 839 BGB.

Ob der durch eine Amtspflichtverletzung Geschädigte Dritter ist, bestimmt sich danach, ob die Amtspflicht – wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch – den Zweck hat, gerade sein Interesse wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der besonderen Natur des Amtsgeschäftes ergibt, dass der Geschädigte zu dem Personenkreis zählt, dessen Belange nach dem Sinn und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert werden sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Hingegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Ersatzpflicht nicht begründet. Es muss mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten bestehen1.

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Der Umstand, dass der neue Verwaltungsträger eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist, steht seiner Einbeziehung in den Schutzbereich allerdings nicht von vornherein entgegen. Zwar werden im Allgemeinen die zwischen verschiedenen Körperschaften des öffentlichen Rechts bestehenden Pflichten lediglich solche sein, die eine ordentliche Verwaltung gewährleisten. Der Amtsträger handelt insoweit in Wahrnehmung des allgemeinen öffentlichen Interesses an einer rechtmäßig funktionierenden Verwaltung. Auch dann, wenn der Dienstherr des Amtsträgers und eine andere Körperschaft bei der Erfüllung einer ihnen gemeinsam übertragenen Aufgabe gleichsinnig und nicht in Vertretung einander widerstreitender Interessen derart zusammenwirken, dass sie im Rahmen dieser Aufgabe als Teil eines einheitlichen Ganzen erscheinen, können jene Pflichten, die dem Amtsträger im Interesse der Förderung des gemeinsam angestrebten Ziels obliegen, nicht als drittgerichtete Amtspflichten angesehen werden, deren Verletzung außenrechtliche Amtshaftungsansprüche der geschädigten Körperschaft auslöst. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann aber dann Dritte sein, wenn sie der Anstellungskörperschaft des Amtsträgers in der Weise gegenüber steht, wie es für das Verhältnis zwischen dem Dienstherrn des Amtsträgers und dem Bürger, der sich auf die Verletzung einer ihm gegenüber bestehenden Amtspflicht beruft, charakteristisch ist. Die Ersatz verlangende Körperschaft muss der Anstellungskörperschaft des die Amtspflicht verletzenden Bediensteten im Hinblick auf die wechselseitigen – widerstreitenden und vom Amtsträger eben um des Schutzes der anderen Körperschaft willen zu wahrenden – Interessen der Beteiligten gewissermaßen als „Gegner“ gegenüberstehen2.

Gemessen an diesen Maßstäben kann von einer solchen „Gegnerstellung“ nicht die Rede sein.

Soweit es um das Verhältnis des bisherigen zum neuen Verwaltungsträger geht, übernahm dieser Aufgaben in der Eingliederungshilfe, die zuvor durch jenen wahrzunehmen waren. Ein reibungsloser Aufgabenübergang war vor allem im Hinblick auf die auf diese Hilfeleistungen angewiesenen Menschen notwendig. Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf den Gesetzentwurf der Landesregierung hervorhebt, § 12 Abs. 3 des Gesetzes zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände solle eine zuständigkeitsbezogene Rechnungsabgrenzung für zum Zeitpunkt des Aufgabenübergangs bestehende Forderungen und Verbindlichkeiten sicherstellen3 und ihn dementsprechend von einer Auferlegung von Verbindlichkeiten verschonen, die in die Zeit der Tätigkeit des bisherigen Verwaltungsträgers fielen, wird mit dieser Bestimmung nur eine rasche Rechnungsabgrenzung beabsichtigt, ohne dass sie den neuen Trägern insoweit bestimmte Rechte einräumen würde. In dieser Bestimmung, die einen kurzen Übergangszeitraum für die Abwicklung bestehender Forderungen und Verbindlichkeiten vorsieht, ist vielmehr angelegt, dass auf die neuen Träger Forderungen und Verbindlichkeiten übergehen, die nicht in der Zeit bis zum 30.06.2005 auf Rechnung der Landeswohlfahrtsverbände abzuwickeln waren.

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Was den Landeswohlfahrsverband angeht, ist zunächst anzumerken, dass dessen Verbandsvorsitzender nach § 3 Abs. 3 des Gesetzes zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände die Aufgaben der Verbandsdirektoren der nach ihrer Auflösung während der Dauer der Abwicklung noch als fortbestehend geltenden Landeswohlfahrtsverbände wahrzunehmen hatte. In dieser Beziehung tritt er aus den bereits angeführten Gründen in keine Stellung ein, in der ihn gegenüber den neuen Aufgabenträgern drittbezogene Amtspflichten treffen. Im Übrigen ist der Landeswohlfahrsverband mit Wirkung ab 1.01.2005, soweit es um die hier in Rede stehenden Aufgaben geht, nach § 3 Abs. 4 Nr. 1 JSVG zuständig für die Beratung und Unterstützung der örtlichen Träger beim Abschluss von Leistungs, Vergütungs, Qualitäts- und Prüfungsvereinbarungen im Rahmen des Achten, Elften und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch, wobei er nach § 3 Abs. 5 JSVG – wie durch die Kommunale Vereinbarung geschehen – mit der Erledigung von weiteren in die Zuständigkeit des örtlichen Trägers fallenden Aufgaben betraut werden kann, wenn diese in fachlichem Zusammenhang mit den ihm durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben stehen und keine Rechtsvorschriften entgegenstehen. Hinter diesen Bestimmungen steht die Vorstellung, dass der Kommunalverband für Jugend und Soziales, der insoweit Aufgaben der Landeswohlfahrtsverbände übernimmt, den örtlichen Trägern seine vorhandene Beratungskompetenz und Erfahrung im Sinne eines „Kompetenzzentrums“ unterstützend zur Verfügung stellt, auf eine vergleichbare Hilfeinfrastruktur in den Bereichen der Behinderten, Alten- und Jugendhilfe hinwirkt und die örtliche Ebene darin unterstützt, die zur Ausführung von Sozialleistungen erforderlichen sozialen Dienste und Einrichtungen rechtzeitig, ausreichend und regional ausgewogen zur Verfügung zu stellen4. Es geht damit um eine – in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs so bezeichnete – gleichsinnige Erfüllung einer dem Kläger und dem Beklagten zu 2 gemeinsam übertragenen Aufgabe, die ihnen Pflichten im Interesse der ihnen anvertrauten Hilfebedürftigen auferlegt, nicht aber zwischen ihnen selbst mit der Folge möglicher Amtshaftungsansprüche.

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Haftungsgrundlage ist auch nicht ein verwaltungsrechtliches (gesetzliches) Schuldverhältnis, das durch den Übergang von Aufgaben der Landeswohlfahrtsverbände auf die Stadt- und Landkreise und den Kommunalverband für Jugend und Soziales begründet worden wäre.

Die sinngemäße Anwendung des vertraglichen Schuldrechts als Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken auch auf öffentlichrechtliche Verhältnisse entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wenn ein besonders enges Verhältnis des Einzelnen zum Staat oder zur Verwaltung begründet worden ist und mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein Bedürfnis für eine angemessene Verteilung der Verantwortung innerhalb des öffentlichen Rechts vorliegt5. Nach diesen Maßstäben hat der Bundesgerichtshof wegen Pflichtverstößen von Bediensteten des Strafvollzugs gegenüber Strafgefangenen lediglich Amtshaftungsansprüche für möglich gehalten und entschieden, dass die nur als Nebenpflicht bestehende Fürsorgepflicht des Staates keinen Anlass bietet, ein öffentlichrechtliches Schuldverhältnis zum Strafgefangenen anzunehmen6. Vertragsähnliche Beziehungen, die die Anwendung des vertraglichen Schuldrechts erlauben, hat der Bundesgerichtshof hingegen im Verhältnis eines Anschlussnehmers zur Gemeinde hinsichtlich des Betriebs einer gemeindlichen Abwasserkanalisation7, beim Betrieb der Wasserversorgung als öffentliche Einrichtung8, für ein anstaltliches Nutzungsverhältnis zwischen dem Benutzer und dem hoheitlichen Träger eines kommunalen Schlachthofs9, für das Verhältnis eines Beregnungswasser für die Landwirtschaft bereitstellenden Wasser- und Bodenverbandes zu den Landwirten als seinen Mitgliedern10, für das Verhältnis eines Straßenbaulastträgers zu einem Eisenbahnunternehmer in Bezug auf die Unterhaltung einer Kreuzungsanlage11 und für das Rechtsverhältnis zwischen dem Bund und dem Träger der Beschäftigungsstelle angenommen, das mit der Anerkennung einer privatrechtlich organisierten Beschäftigungsstelle des Zivildienstes nach § 4 ZDG begründet wird12.

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Gemessen an diesen Entscheidungen ist hier ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis nicht anzuerkennen. Nicht ohne Grund sind die meisten Fälle, in denen die Rechtsprechung bisher ein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis anerkannt hat, durch Leistungsbeziehungen geprägt, die im Verhältnis einer Stelle der öffentlichen Hand zu einer Privatperson bestehen, so dass es nahe liegt, bei entsprechenden Leistungsstörungen auf das bürgerliche Recht zurückzugreifen. Lediglich für den Zivildienstbereich hat die Rechtsprechung auch der öffentlichen Hand Rechte gegenüber der privaten Beschäftigungsstelle zugestanden, die sich aus der ergänzenden Anwendung schuldrechtlicher Grundsätze ergaben, weil diese Rechtsbeziehung in besonderem Maße von der weitgehenden Übertragung hoheitlicher Befugnis auf einen privaten Träger beim gleichzeitigen Verbleiben von Verantwortlichkeiten des Bundes gekennzeichnet war.

Eine vergleichbare Konstellation, in der ein Bedürfnis für eine ergänzende Verteilung der Verantwortung zwischen den beteiligten Körperschaften des öffentlichen Rechts bestünde, ist hier nicht gegeben.

Soweit es um das Verhältnis des bisherigen zum neuen Verwaltungsträger geht, sind schon keine Berührungspunkte in der jeweiligen Aufgabenwahrnehmung zu erkennen, die über die oben erörterte Selbstverständlichkeit hinausgingen, dass der neue Verwaltungsträger über laufende und anhängige Verwaltungsverfahren informiert wird. Die mit dem Aufgabenübergang zusammenhängenden Fragen hat der Gesetzgeber geregelt. Er hat einen Wechsel der Zuständigkeit von einem Tag auf den anderen vorgesehen und sich hinsichtlich der Abwicklung von Altfällen für eine Lösung entschieden, die mit der in § 12 Abs. 3 des Gesetzes zur Auflösung der Landeswohlfahrtsverbände bestimmten Frist von sechs Monaten zu einer raschen Umsetzung der neuen Verwaltungsstrukturen führen sollte. Dabei ist ihm mit Sicherheit bewusst gewesen, dass es auch Fälle geben könne, in denen die Abwicklung in dieser Frist noch nicht erledigt sein würde. Zugleich hat er auch den interkommunalen Finanzausgleich in Art. 12 VRG neu geordnet. Neben der den Stadt- und Landkreisen einen (allgemeinen) Ausgleich für die die Übernahme von Aufgaben der Landeswohlfahrtsverbände verschaffenden Bestimmung des § 22 FAG hat der Gesetzgeber mit § 21a FAG einen speziell auf die Eingliederungshilfe zugeschnittenen Ausgleichstatbestand normiert, der im Fall des Klägers mit Rücksicht auf seine – aus der mangelnden Abwicklung der Jahre 2002 bis 2004 beruhende – besondere Belastung zu Ausgleichszahlungen geführt hat, hinsichtlich deren der Kläger die Hauptsache einseitig für erledigt erklärt hat.

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Es kann nicht angenommen werden, dass es dem Gesetzgeber darauf angekommen wäre, über die erörterten klaren und praktikablen Regelungen hinaus eine andere Art der Abwicklung vorzusehen, weil es im Zuge des Aufgabenübergangs unvermeidlich zu dem einen oder anderen Versehen der beteiligten Körperschaften kommen konnte.

Auch eine Schadensersatzpflicht des Landeswohlfahrsverband nach § 678 BGB entsprechend kommt vorliegend nicht in Betracht. Der Landeswohlfahrsverband war der – rechtsirrigen – Auffassung, bezüglich der in Rede stehenden Pflegesatzstreitigkeiten wäre er allein und nicht (auch) die Städte und Landkreise Rechtsnachfolger des bisherigen Verwaltungsträgers geworden. Mithin hat der Landeswohlfahrsverband die Prozesse in der Meinung fortgeführt, dies sei ausschließlich sein eigenes und nicht (auch) ein fremdes Geschäft (vgl. § 687 Abs. 1 BGB). Mag der Rechtsirrtum des Landeswohlfahrsverbands auch vermeidbar gewesen sein, so war ihm doch keinesfalls bewusst, ein in Wahrheit fremdes Geschäft zu führen. Damit liegt auch keine – den Anwendungsbereich des § 678 BGB (ebenfalls) eröffnende – angemaßte Eigengeschäftsführung im Sinne des § 687 Abs. 2 BGB vor.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 13. Oktober 2011 – III ZR 126/10

  1. vgl. BGH, Urteile vom 16.01.1997 – III ZR 117/95, BGHZ 134, 268, 276; vom 18.02.1999 – III ZR 272/96, BGHZ 140, 380, 382, jeweils mwN[]
  2. st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteile vom 21.06.2001 – III ZR 34/00, BGHZ 148, 139, 147; vom 12.12.2002 – III ZR 201/01, BGHZ 153, 198, 201 f; vom 05.06.2008 – III ZR 225/07, BGHZ 177, 37 Rn. 11; vom 22.10.2009 – III ZR 295/08, VersR 2010, 346 Rn. 21[]
  3. vgl. LT-Drucks. 13/3201 S. 430[]
  4. vgl. LT-Drucks. 13/3201 S. 431[]
  5. BGH, Urteil vom 09.07.1956 – III ZR 320/54, BGHZ 21, 214, 218 ff[]
  6. aaO S. 220[]
  7. BGH, Urteile vom 30.09.1970 – III ZR 87/69, BGHZ 54, 299, 303; vom 14.12.2006 – III ZR 303/05, NJW 2007, 1061 Rn. 9[]
  8. Urteil vom 04.10.1972 – VIII ZR 117/71, BGHZ 59, 303, 305[]
  9. BGH, Urteile vom 17.05.1973 – III ZR 68/71, BGHZ 61, 7, 11, vom 20.06.1974 – III ZR 97/72, NJW 1974, 1816[]
  10. BGH, Urteil vom 08.03.2007 – III ZR 55/06, VersR 2007, 1705 Rn. 9[]
  11. BGH, Urteil vom 11.01.2007 – III ZR 294/05, NJW-RR 2007, 457 Rn. 9[]
  12. BGH, Urteil vom 15.05.1997 – III ZR 250/95, BGHZ 135, 341, 344 ff[]
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