Der pharmazeutische Unternehmer kann sich auch noch nach Ablauf einer Mängelbeseitigungsfrist auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat (§ 105 Abs. 4c AMG) berufen, solange das Nachzulassungsverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist.

Nach § 105 Abs. 4f AMG ist eine (fiktive) Zulassung auf Antrag um fünf Jahre zu verlängern, wenn kein Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 AMG vorliegt. In dem hier vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte die beklagte Behörde einen Versagungsgrund nach § 25 Abs. 2 Nr. 4 AMG angenommen, weil die therapeutische Wirksamkeit auch durch die im Mängelbeseitigungsverfahren nachgereichten Unterlagen nach dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unzureichend begründet worden sei.
Nach § 105 Abs. 4c AMG ist aber die Verlängerung der Zulassung eines Arzneimittels, das bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassen ist, zu erteilen, wenn sich das Arzneimittel in dem anderen Mitgliedstaat im Verkehr befindet, der Antragsteller alle in § 22 Abs. 6 AMG vorgesehenen Angaben macht und die danach erforderlichen Kopien beifügt und schriftlich erklärt, dass die eingereichten Unterlagen nach § 104 Abs. 4 und 4a AMG mit den Zulassungsunterlagen übereinstimmen, auf denen die Zulassung in dem anderen Mitgliedstaat beruht, es sei denn, dass die Verlängerung der Zulassung des Arzneimittels eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit darstellen kann.
Die Annahme, dass der Klägerin die Berufung auf die Zulassung des Arzneimittels in Malta nach Ablauf der Mängelbeseitigungsfrist und dem Erlass des Versagungsbescheids wegen § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG verwehrt sei, ist unzutreffend. Die erstmalige Berufung auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat ist auch noch nach Ablauf einer Mängelbeseitigungsfrist möglich, solange das Nachzulassungsverfahren nicht bestandskräftig abgeschlossen ist.
Nach § 105 Abs. 5 Satz 1 bis 3 AMG hat der Antragsteller bei Beanstandungen innerhalb einer angemessenen Frist, jedoch höchstens innerhalb von zwölf Monaten nach Mitteilung der Beanstandungen, den Mängeln abzuhelfen; die Mängelbeseitigung ist in einem Schriftsatz darzulegen. Wird den Mängeln nicht innerhalb dieser Frist abgeholfen, so ist die Zulassung zu versagen. Nach einer Entscheidung über die Versagung der Zulassung ist das Einreichen von Unterlagen zur Mängelbeseitigung ausgeschlossen.
Nach Wortlaut und Systematik beschränkt diese Präklusionsvorschrift nur die Verteidigung gegen zuvor gerügte Mängel. Die Zulassungsbehörde ist verpflichtet, Zulassungsanträge daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Anforderungen an den Antrag und die einzureichenden Unterlagen erfüllt sind. Ergeben sich Beanstandungen, setzt die Behörde nach § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG eine Frist zu deren Beseitigung oder begnügt sich in geeigneten Fällen damit, die Zulassung des Arzneimittels mit Auflagen zur Mängelbehebung zu verbinden (§ 105 Abs. 5 Satz 4 i.V.m. Abs. 6 AMG). Die ordnungsgemäße Fristsetzung zur Mängelbeseitigung schließt nachträgliche Versuche, die Mängel zu beheben, aus. Präkludiert ist auf diese Weise aber nur das Einreichen von Unterlagen „zur Mängelbeseitigung“ (vgl. § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG), nicht hingegen die Möglichkeit, den Antrag auf Verlängerung der Zulassung zusätzlich oder alternativ auf § 105 Abs. 4c AMG zu stützen.
Die Bezugnahme auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat ist nicht der Versuch einer Beseitigung von zuvor gerügten Mängeln eines auf § 105 Abs. 4f AMG gestützten Zulassungsantrags, sondern die Geltendmachung eines anderen (weiteren) Zulassungsgrundes. § 105 Abs. 4c AMG bildet eine Grundlage für die Nachzulassung eines Arzneimittels, die den Anspruch unter anderen Voraussetzungen gewährt als § 105 Abs. 4f AMG. Zwar trifft es zu, dass Absatz 4c im systematischen Zusammenhang des Nachzulassungsverfahrens steht und sich anschließt an die gesetzlichen Anforderungen in Absatz 4, 4a und 4b der Vorschrift über die in diesem Verfahren geforderten Angaben und Unterlagen. Bei § 105 Abs. 4c AMG belegen aber nicht die (bemängelten) Angaben und Unterlagen nach § 105 Abs. 4 bis 4b AMG den Zulassungsanspruch, sondern der Umstand, dass das Arzneimittel bereits in einem anderen Mitgliedstaat zugelassen worden ist. Anstelle einer eigenen Prüfung soll die Zulassungsbehörde das bereits vorliegende positive Ergebnis der Prüfung in dem anderen Mitgliedstaat der eigenen Entscheidung zugrunde legen. In der Bezugnahme auf eine solche Zulassung liegt weder begrifflich noch systematisch der Versuch einer Beseitigung von Mängeln, die auf die materiellen Versagungsgründe nach § 25 Abs. 2 AMG Bezug nehmen.
Dem steht nicht entgegen, dass sich die Präklusionsvorschrift des § 105 Abs. 5 AMG nach der gesetzlichen Systematik auch auf § 105 Abs. 4c AMG erstreckt. Soweit die Bezugnahme auf eine ausländische Zulassung des Arzneimittels im Sinne des § 105 Abs. 4c AMG ihrerseits Mängel aufweist, etwa weil nicht alle erforderlichen Unterlagen beigebracht oder die notwendigen Erklärungen nicht abgegeben worden sind, kann die Zulassungsbehörde auch auf einen solchen Mangel mit einer Beanstandung und Fristsetzung nach § 105 Abs. 5 Satz 1 AMG reagieren und nach Fristablauf eingereichte Dokumente unberücksichtigt lassen. Daraus folgt aber nicht, dass ein aus anderen Gründen geführtes Mängelbeseitigungsverfahren den Anspruch aus § 105 Abs. 4c AMG präkludiert.
Der Vergleich mit § 25b AMG, der für die Erstzulassung ein gesondertes Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen vorsieht, führt nicht weiter. Der Gesetzgeber hat für die Nachzulassung darauf verzichtet, verschiedene Verfahren vorzusehen; vielmehr hat er die Berufung auf die Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat nur als eine (weitere) Möglichkeit zur Begründung der nach § 105 Abs. 3 AMG gestellten Verlängerungsanträge ausgestaltet. Das spricht indes nicht für, sondern gegen die Ansicht des Berufungsgerichts. Gerade weil kein „eigenständiges“ Verfahren vorgesehen ist, kann ein Antrag auf Verlängerung der Zulassung mit einer ausländischen Zulassung im Sinne des § 105 Abs. 4c AMG begründet werden, solange die durch § 105 Abs. 1 AMG begründete Zulassungsfiktion als Anknüpfungspunkt für die beantragte Verlängerung besteht, also regelmäßig bis zum bestandskräftigen Abschluss des Nachzulassungsverfahrens.
Der Zweck der Vorschriften gebietet kein anderes Verständnis. Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber mit dem Zehnten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes vom 4. Juli 20001, durch das unter anderem Absatz 4c in die Vorschrift des § 105 AMG eingefügt wurde, ausdrücklich eine Beschleunigung der Nachzulassungsverfahren erreichen wollte2. Das rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass mit Ablauf einer (aus anderen Gründen gesetzten) Mängelbeseitigungsfrist auch die Berufung auf eine Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschlossen sein soll. Ein solches Verständnis verbietet sich schon deshalb, weil Präklusionsvorschriften mit Blick auf ihren Ausnahmecharakter und ihre rechtsbeschränkende Wirkung grundsätzlich eng auszulegen sind, um eine eindeutige Vorhersehbarkeit für die Betroffenen zu gewährleisten. Eine über Wortlaut und Systematik hinausgehende Ausdehnung des Anwendungsbereichs unter Berufung auf einen allgemeinen Gesetzeszweck geriete mit diesen rechtsstaatlichen Grundsätzen in Konflikt.
Zudem legt der Gesetzeszweck der Verfahrensbeschleunigung eine solche Ausdehnung des Anwendungsbereichs von § 105 Abs. 5 Satz 3 AMG gerade nicht nahe. Der Gesetzgeber hat sich eine Beschleunigung des Nachzulassungsverfahrens insbesondere durch die Setzung von Fristen versprochen. So hat er die pharmazeutischen Unternehmer in dem ebenfalls mit dem Zehnten Gesetz zur Änderung des Arzneimittelgesetzes in § 105 AMG neu eingefügten Absatz 4a verpflichtet, die dort genannten Unterlagen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt einzureichen; andernfalls erlosch die Zulassung. Das fügt sich in die Regelungsmethode des Nachzulassungsverfahrens, dem Antragsteller für bestimmte Verfahrensschritte Ausschlussfristen vorzuschreiben, so etwa für die erste Anzeige nach § 105 Abs. 2, den anschließenden Antrag auf Verlängerung der Zulassung nach § 105 Abs. 3 und die Vorlage von Unterlagen nach § 105 Abs. 4 Satz 2 AMG. Hätte der Gesetzgeber die Berufung auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat gleichermaßen zeitlich beschränken wollen, hätte es nahe gelegen, eine entsprechende Frist in Absatz 4c aufzunehmen. Das ist jedoch nicht geschehen. Vielmehr sollte die Möglichkeit, sich im Nachzulassungsverfahren unter besonders vereinfachten Voraussetzungen auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat zu berufen, ihrerseits zu einer weiteren Beschleunigung der Nachzulassung beitragen, weil auf diese Weise zeitraubende inhaltliche Prüfungen erspart bleiben. Dazu heißt es in der amtlichen Begründung3: „Zur Beschleunigung der Nachzulassung wird durch die Regelung in Absatz 4c teilweise über die EU-Regelungen über die gegenseitige Anerkennung hinaus vorgesehen, die Nachzulassung auf der Grundlage eines bereits nach EU-Recht in einem anderen Mitgliedstaat zugelassenen gleichen Arzneimittel des Antragstellers oder eines verbundenen Unternehmens oder Lizenznehmers zu erteilen. Damit soll das Prinzip der Zulassungsanerkennung auch für die Nachzulassung genutzt werden. Wegen der Besonderheiten der Nachzulassung, bei der es sich häufig um solche Arzneimittel handelt, die auch in anderen Mitgliedstaaten vor längerer Zeit erstmalig (nach)zugelassen worden sind, wäre es nicht zweckmäßig, das reguläre Verfahren der gegenseitigen Anerkennung (§ 25 Abs. 5a bis 5c) anzuwenden; dies gilt insbesondere für den Beurteilungsbericht, der nicht für alle einschlägigen Fälle der Nachzulassung von den Behörden der anderen Mitgliedstaaten angefordert werden kann.“
Gegenüber dem Gesetzentwurf sind die Voraussetzungen für eine Nachzulassung unter Berufung auf die Zulassung des Arzneimittels in einem anderen Mitgliedstaat im parlamentarischen Verfahren sogar noch weiter reduziert worden4. Der Gesetzgeber hatte deshalb keinen Anlass, die neu geschaffene Zulassungsgrundlage sogleich wieder durch Ausschlussfristen zu beschränken. Vielmehr war ihm daran gelegen, solchen Altmedikamenten, die bereits eine Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat vorweisen können, unter gegenüber dem regulären Anerkennungsverfahren5 reduzierten Voraussetzungen eine Nachzulassung zu ermöglichen.
Daraus folgt zugleich, dass die Klägerin nicht auf das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung nach § 25b Abs. 2 AMG i.V.m. Art. 27 ff. der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel6, als gleichwertige Alternative verwiesen werden kann. Die insoweit geltenden Voraussetzungen, zu denen unter anderem die Vorlage eines Beurteilungsberichts des Referenzstaates zählt, und der gesamte Mechanismus, insbesondere im Falle von Meinungsverschiedenheiten unter den Zulassungsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten (vgl. dazu Art. 29 ff. der Humanarzneimittel-Richtlinie), ermöglichen die Erlangung einer Zulassung nicht auf eine ähnlich einfache Weise. Die Verlängerung einer fiktiven Zulassung unter Berufung auf die Zulassung in einem anderen Mitgliedstaat kann deshalb mit dem gemeinschaftsrechtlich geprägten Verfahren der gegenseitigen Anerkennung nicht gleichgesetzt werden. Die Klägerin darauf zu verweisen, hätte obendrein zur Konsequenz, dass die fiktive Zulassung erlöschen und das Arzneimittel bis zu einer (erneuten) Erstzulassung nicht vertrieben werden dürfte. Diese Folge erscheint in ihrer Tragweite unangemessen im Verhältnis zu dem Aufwand, den die Prüfung der Voraussetzungen des § 105 Abs. 4c AMG verursacht.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 -3 C 11.10
- BGBl I S. 1002[↩]
- vgl. BT-Drs. 14/2292 S. 9[↩]
- BT-Drs. 14/2292 S. 9[↩]
- vgl. dazu BT-Drs. 14/3320 S. 15[↩]
- nach den in der vorstehenden Begründung genannten § 25 Abs. 5a bis 5c AMG in der Fassung des 7. AMG-Änderungsgesetzes vom 25. Februar 1998, BGBl I S. 374; jetzt § 25b AMG[↩]
- ABl Nr. L 311 S. 67, zuletzt geändert durch Richtlinie 2009/120/EG der Kommission vom 14. September 2009, ABl Nr. L 242 S. 3[↩]