Der Umzug des Betreuten

Wird ein Betreuungsverfahren wegen einer Änderung des gewöhnlichen Aufenthalts des Betreuten nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG an ein anderes Amtsgericht abgegeben, ist die Abgabeentscheidung nicht selbständig anfechtbar.

Der Umzug des Betreuten

Inwieweit ein Abgabebeschluss nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG angefochten werden kann, ist im Schrifttum umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass der Abgabebeschluss nach § 4 Satz 1 FamFG trotz seines Charakters als Zwischenentscheidung selbständig mit der Beschwerde angefochten werden könne1. Dies ergebe sich aus der Gesetzesbegründung zu § 4 FamFG, die ausdrücklich von der Möglichkeit einer Überprüfung der Abgabeentscheidung im Beschwerdeweg ausgehe2.

Nach anderer Auffassung soll der Abgabebeschluss nach § 4 Satz 1 FamFG nicht selbständig mit der Beschwerde angefochten, sondern nur nach § 58 Abs. 2 FamFG innerhalb eines gegen die Endentscheidung gerichteten Rechtsmittels überprüft werden können3.

Der Bundesgerichtshof schließt sich für den Fall der Abgabeentscheidung im Betreuungsverfahren nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG der letztgenannten Auffassung an.

Nach der Neugestaltung des Rechtsmittelsystems durch das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)4 findet die Beschwerde in Angelegenheiten nach diesem Gesetz nur noch gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (§ 58 Abs. 1 FamFG). Nach der in § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG enthaltenen Definition liegt eine Endentscheidung vor, wenn durch die Entscheidung der Verfahrens-gegenstand ganz oder teilweise erledigt wird. Mit der Beschwerde anfechtbar sind daher nur Beschlüsse, die ein auf Antrag (§ 23 FamFG) oder von Amts wegen (§ 24 FamFG) eingeleitetes Verfahren insgesamt erledigen oder seine Anhängigkeit hinsichtlich eines der selbständigen Erledigung zugänglichen Teils des Verfahrensgegenstandes (§ 301 ZPO analog) beenden5.

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Diese Voraussetzung erfüllt die Abgabeentscheidung nach §§ 4 Satz 1, 273 Satz 1 FamFG nicht. Die Abgabe kann, sofern die Voraussetzungen dafür vorliegen, jederzeit bis zum Abschluss eines laufenden Verfahrens erfolgen6. Mit der Abgabeentscheidung wird das laufende Verfahren weder ganz noch teilweise beendet. Es werden nur die die Angelegenheit betreffenden Geschäfte auf das übernehmende Gericht übertragen, von dem das Verfahren dann fortgeführt wird7. Bei der Abgabeentscheidung handelt es sich daher um eine Zwischenentscheidung, die nach dem Rechtsmittelsys-tem des FamFG grundsätzlich nur dann selbständig angefochten werden kann, wenn dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist (§ 58 Abs. 1 Halbsatz 2 FamFG). Fehlt eine solche Regelung, kann die Zwischenentscheidung gemäß § 58 Abs. 2 FamFG nur im Rahmen eines gegen die Endentscheidung gerichteten Rechtsmittels inzident überprüft werden8.

Etwas anderes lässt sich auch nicht den Gesetzesmaterialien zu § 4 FamFG entnehmen. Dort wird zwar ausgeführt, dass Vormund, Betreuer und Betroffener die Möglichkeit haben, die Abgabeentscheidung im Beschwerdeweg überprüfen zu lassen9. Ob damit eine selbständige Anfechtbarkeit der Abgabeentscheidung gemeint ist, erscheint jedoch zweifelhaft10. Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber gerade bei der Anfechtbarkeit der Abgabeentscheidung nach § 4 Satz 1 FamFG von der Systematik des neu konzipierten Rechtsmittelrechts abweichen wollte. In der weiteren Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit11 wird an mehreren Stellen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nach dem zukünftigen Rechtsmittelrecht Zwischenentscheidungen entweder überhaupt nicht oder aber nur zusammen mit der Hauptsacheentscheidung anfechtbar seien12. Nicht instanzbeendende Beschlüsse sollten nur dann einer selbständigen Anfechtung unterliegen, wenn dies gesetzlich vorgesehen sei13. Als statthaftes Rechtsmittel für die isolierte Anfechtung einer Zwischenentscheidung sah die Entwurfsbegründung zudem nicht die Beschwerde nach § 58 FamFG, sondern die sofortige Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 ZPO vor14. Dieser gesetzgeberische Wille ist in den Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) dadurch umgesetzt worden, dass die Anfechtbarkeit von Zwischenentscheidungen in den allgemeinen Vorschriften der §§ 1 bis 22 a FamFG differenziert geregelt wurde. Für bestimmte Zwischenentscheidungen wird angeordnet, dass die Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 der Zivilprozessordnung anfechtbar ist (vgl. §§ 6 Abs. 2, 7 Abs. 5 Satz 2, 21 Abs. 2 FamFG). Andere Zwischenentscheidungen werden ausdrücklich für unanfechtbar erklärt (vgl. §§ 3 Abs. 3 Satz 1, 5 Abs. 3, 19 Abs. 2 FamFG). Daraus folgt, dass der Gesetzgeber dort, wo er die Notwendigkeit für eine selbständige Anfechtung einer Zwischenentscheidung gesehen hat, auf die Vorschriften über die sofortige Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 ZPO verwiesen hat und er es bei Zwischenentscheidungen, bei denen diese Verweisung fehlt, die aber auch nicht für unanfechtbar erklärt wurden, bei der Anfechtbarkeit nach den allgemeinen Regeln (§ 58 Abs. 2 FamFG) belassen wollte.

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Da im Falle der Abgabe nach § 4 Satz 1 FamFG eine sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der ZPO als selbständiges Rechtsmittel nicht vorgesehen ist, die Entscheidung aber auch nicht für unanfechtbar erklärt wurde, kann die Abgabeentscheidung nach dem Willen des Gesetzgebers allenfalls gemäß § 58 Abs. 2 FamFG im Rahmen eines Rechtsmittels gegen die Endentscheidung überprüft werden15.

Darüber hinaus ist eine selbstständige Anfechtbarkeit der Abgabeentscheidung nach § 4 FamFG auch verfassungsrechtlich nicht geboten.

Zwar wird durch die Abgabeentscheidung nach § 4 Satz 1 FamFG der Schutzbereich des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG berührt, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf16. Die Möglichkeit, die Abgabeentscheidung nach § 58 Abs. 2 FamFG gerichtlich überprüfen zu lassen, genügt jedoch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen fachgerichtlichen Rechtsschutz bei einer möglichen Verletzung von Verfahrensgrundrechten.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Plenarbeschluss vom 30. April 200317 aus dem verfassungsrechtlich garantierten Justizgewährungsanspruch abgeleitet, dass bei einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ein fachgerichtlicher Rechtsschutz durch förmliche, in der Verfahrensordnung geregelte Rechtsbehelfe gewährleistet sein muss. Unabhängig von der Frage, ob dieser zu Art. 103 Abs. 1 GG entwickelte Grundsatz auch auf die Verletzung anderer Verfahrensgrundrechte übertragen werden kann, wären die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen fachgerichtlichen Rechtsschutz durch die Regelungen des FamFG gewahrt. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem Plenarbeschluss vom 30. April 2003 ausgeführt, dass dem Gesetzgeber ein weiter Ermessensspielraum zukomme, wie er den verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutz sicherstelle. Ausreichend sei, wenn die Überprüfung der behaupteten Gehörsverletzung im Rahmen eines anderen ordentlichen Rechtsbehelfs möglich sei. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze gebietet das Verfassungsrecht somit keine selbständige Anfechtbarkeit des Abgabebeschlusses nach § 4 Satz 1 FamFG. Die Möglichkeit, die Abgabeentscheidung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens gerichtlich überprüfen zu lassen, genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz bei einer möglichen Verletzung von Verfahrensgrundrechten.

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Dass eine Abgabeentscheidung abweichend vom Willen des Gesetzgebers isoliert anfechtbar ist, folgt entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch nicht daraus, dass bei fehlender Anfechtbarkeit das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt wäre. Denn durch die Abgabeentscheidung eines Richters wäre der Betroffene nur dann in seinem Verfahrensgrundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt, wenn sie willkürlich erfolgt ist18. Eine im Rahmen der Anfechtung der Hauptsache etwa gebotene verfassungskonforme – einschränkende – Auslegung des § 65 Abs. 4 FamFG, wonach die Beschwerde nicht darauf gestützt werden kann, dass das erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat, bleibt demnach jedenfalls auf Fälle der Willkür beschränkt19.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 1. Dezember 2010 – XII ZB 227/10

  1. Bassenge/Roth/Gottwald FamFG/RpflG 12. Aufl. § 4 Rn. 6; Friederici/Kemper Familienverfahrensrecht § 4 Rn. 12; Prütting in Prütting/Helms FamFG § 4 Rn. 30; Jansen/Müller-Lukoschek FGG 3. Aufl. § 46 Rn. 64[]
  2. vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 176[]
  3. MünchKommZPO/Papst 3. Aufl. § 4 Rn. 34; Schulte-Bunert/Weinreich/Schöpflin FamFG § 4 Rn. 27; Jurgeleit/Bu?i? Betreuungsrecht 2. Aufl. § 273 FamFG Rn. 15; Fröschle in Fröschle (Hrsg.) Betreuungs- und Unterbringungsverfahren 2. Aufl. § 4 Rn. 18; Bumiller/Harders FamFG 9. Aufl. § 4 Rn. 14; Jacoby in Bork/Jacoby/Schwab FamFG § 4 Rn. 9; Heiderhoff in Bork/Jacoby/Schwab FamFG § 273 Rn. 5; Bahrenfuss in Bahren-fuss (Hrsg.) FamFG § 4 Rn. 8[]
  4. vom 17. Dezember 2008, BGBl. I S. 2568[]
  5. Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 58 Rn. 16[]
  6. Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 4 Rn. 9[]
  7. Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 4 Rn. 37[]
  8. Keidel/Meyer-Holz FamFG 16. Aufl. § 58 Rn. 24[]
  9. BT-Drs. 16/6308 S. 176 li. Sp.[]
  10. vgl. Zimmermann Das neue FamFG [2009] Rn. 16[]
  11. FGG-Reformgesetz – FGG-RG – vom 07.09.2007, BT-Drs. 16/6308[]
  12. BT-Drs. 16/6308 S. 166 re. Sp., 203 re. Sp.[]
  13. BT-Drs. 16/6308 S. 166 re. Sp.[]
  14. BT-Drs. 16/6308 S. 203 re. Sp.[]
  15. Schulte-Bunert/Weinreich/Schöpflin FamFG § 4 Rn. 27; Bumiller/Harders FamFG 9. Aufl. § 4 Rn. 14; Bahrenfuss in Bahrenfuss (Hrsg.) FamFG § 4 Rn. 8[]
  16. vgl. Zimmermann Das neue FamFG [2009] Rn. 16 unter Verweis auf Vorwerk, Stellungnahme in der 86. Sitzung des Rechtsausschusses vom 11.02.2008; vgl. auch BVerfGE 118, 212, 240[]
  17. BVerfGE 107, 395, 407[]
  18. vgl. dazu BVerfGE 42, 237, 241 mwN[]
  19. vgl. BGH, Beschluss vom 14.03.2007 – XII ZB 201/06, FamRZ 2007, 1002, 1003 f. zu §§ 19, 20 FGG; MünchKommZPO/Rimmelspacher 3. Aufl. § 513 Rn. 19 für die Berufung; MünchKommZPO/Lipp 3. Aufl. § 571 Rn. 9 für die Beschwerde[]
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