Die Pflicht zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gilt nicht nur bei einer Änderung der Sachlage, sondern auch bei einer Änderung der Rechtslage, wenn der Gesetzgeber die Rechtslage nicht nur mit Wirkung für die Zukunft neu gestaltet hat, sondern die Regelung ausnahmsweise auch für bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren Geltung beansprucht und diese Rückwirkung mit der Verfassung in Einklang steht (hier: verneint für die Regelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG).

Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen.
Beruht die Flüchtlingsanerkennung – wie vorliegend – auf einem gerichtlichen Verpflichtungsurteil, ist maßgeblicher Bezugspunkt für eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse der Zeitpunkt des Ergehens des rechtskräftig gewordenen Urteils1. Seinerzeit waren subjektive Nachfluchtgründe nur bei der Asylanerkennung regelmäßig unbeachtlich. Dies hat sich erst mit Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes am 1.01.2005 geändert. Seitdem stehen in einem Folgeverfahren subjektive Nachfluchtgründe, die der Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung seines früheren Asylantrags geschaffen hat, auch einer Flüchtlingsanerkennung in der Regel entgegen.
Nicht jede Rechtsänderung zu Lasten des Betroffenen führt jedoch dazu, dass das Bundesamt die Flüchtlingsanerkennung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AufenthG widerrufen muss. Für die Ausschlussgründe wegen Asylunwürdigkeit hat der Senat entschieden, dass Altanerkennungen, die vor Einführung dieser Ausschlussgründe ausgesprochen wurden, jedenfalls nach Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG wegen der unionsrechtlich nunmehr zwingend gebotenen Beachtung dieser Ausschlussgründe zu widerrufen sind2. Vergleichbare unionsrechtliche Vorgaben fehlen beim Regelausschlussgrund der selbstgeschaffenen Nachfluchtgründe im Folgeverfahren nach § 28 Abs. 2 AsylVfG. Nach Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG können die Mitgliedstaaten unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention festlegen, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat. Die Richtlinie gebietet daher weder die Berücksichtigung selbstgeschaffener Nachfluchtgründe im Folgeverfahren noch steht sie einer einschränkenden nationalen Regelung entgegen.
Auch in Fällen, in denen eine nachträgliche Änderung der Rechtslage – wie hier – nicht auf zwingenden unionsrechtlichen Vorgaben beruht, ist die Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht von vornherein ausgeschlossen. Dafür spricht der Wortlaut der Vorschrift, der – anders als bei der allgemeinen Widerrufsregelung in § 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und 4 VwVfG – nicht zwischen nachträglich eingetretenen Tatsachen und geänderten Rechtsvorschriften differenziert, sondern nur verlangt, dass die „Voraussetzungen“ für die Anerkennung nicht mehr vorliegen. Auch den Gesetzesmaterialien zu § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kann eine Beschränkung auf tatsächliche Änderungen nicht entnommen werden.
Wenngleich der Widerruf damit im Grundsatz nicht auf nachträgliche Änderungen der Sachlage beschränkt ist, bedeutet dies aber nicht, dass jede Änderung der Rechtslage das Bundesamt nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zur Einleitung eines Widerrufsverfahrens berechtigt und verpflichtet. Ein Widerruf wegen einer nachträglichen Änderung der Rechtslage setzt vielmehr voraus, dass der Gesetzgeber die Rechtslage nicht nur mit Wirkung für die Zukunft neu gestaltet hat, sondern die Regelung ausnahmsweise auch für bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren Geltung beansprucht und diese Rückwirkung mit der Verfassung in Einklang steht. Bezüglich des zum 1.01.2005 eingefügten § 28 Abs. 2 AsylVfG fehlt es indes an Anhaltspunkten, dass sich diese nachträgliche Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen nach dem Willen des Gesetzgebers auch auf bestandskräftig abgeschlossene Flüchtlingsanerkennungen erstrecken sollte.
Nach der Gesetzesbegründung zum Zuwanderungsgesetz ging es dem Gesetzgeber mit der Neuregelung in § 28 Abs. 2 AsylVfG darum, dass künftig auch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft regelmäßig ausgeschlossen ist, wenn nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags ein Folgeverfahren auf selbst geschaffene Nachfluchtgründe gestützt wird. Hierdurch sollte der bislang bestehende Anreiz genommen werden, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenem Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylfolgeverfahren zu betreiben. Zugleich wurde davon ausgegangen, dass durch diese Maßnahme die hohe Anzahl der beim Bundesamt anhängigen (Folge-)Verfahren langfristig reduziert wird3. Dem ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber mit der Verschärfung der Anerkennungsvoraussetzungen beim Flüchtlingsschutz zukunftsgerichtet auf das Verhalten der Asylsuchenden einwirken wollte. Es fehlt jeder Anhalt, dass die Regelung auch auf bestandskräftig anerkannte Flüchtlinge Anwendung finden und das Bundesamt zur Einleitung von Widerrufsverfahren verpflichtet werden sollte. Dies würde im Übrigen auch der vom Gesetzgeber angestrebten Entlastung des Bundesamts entgegenlaufen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 10.11