Verzicht auf mündliche Verhandlung – und die Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen

Ein Verzicht auf mündliche Verhandlung, der für den Fall erklärt wird, dass sich die Beteiligten außergerichtlich nicht auf bestimmte Punkte einigen können, ist unwirksam.

Verzicht auf mündliche Verhandlung – und die Bedingungsfeindlichkeit von Prozesshandlungen

Entscheidet das Finanzgericht gleichwohl ohne mündliche Verhandlung, verletzt dessen Entscheidung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 96 Abs. 2 FGO) und stellt eine Rechtsverletzung i.S. von § 119 Nr. 3 und Nr. 4 FGO dar. Das Finanzgericht hätte nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, weil insbesondere der Kläger nicht wirksam sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hat (§ 90 Abs. 2 FGO).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist ein Verfahrensmangel i.S. der vorgenannten Vorschriften u.a. dann anzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine Entscheidung des Finanzgericht ohne mündliche Verhandlung nach § 90 Abs. 1 und Abs. 2 FGO nicht gegeben sind1.

Im Streitfall fehlt es bereits an einer wirksamen Verzichtserklärung des Klägers.

Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist eine Prozesshandlung; bei ihrer Auslegung und Beurteilung ist der Bundesfinanzhof nicht an die Feststellungen des Finanzgericht gebunden2. Als Prozesshandlung muss der Verzicht klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden3. In Zweifelsfällen ist die Verzichtserklärung wegen der damit verbundenen weitreichenden Folgen für die Beteiligten eher restriktiv auszulegen4.

Vorliegend fehlt es an einer klaren, eindeutigen und insbesondere vorbehaltlosen Verzichtserklärung. Der Kläger hat seinen Verzicht nur für den Fall erklärt, dass keine Einigung zwischen den Beteiligten zustande kommt. Zum einen lässt diese Erklärung schon nicht hinreichend klar und eindeutig erkennen, welche Beteiligten (der Kläger und/oder die Beigeladene mit dem Finanzamt oder der Kläger mit der Beigeladenen) sich einigen sollen. Ferner wird nicht klar, worüber sich die Beteiligten einigen sollen. Auch ist der Begriff Zahlungsmodalitäten völlig unbestimmt und kann sich etwa sowohl auf eine für den Feststellungsbescheid relevante Sachverhalts- und/oder Rechtsfrage (z.B. Zahlungsvorgänge bei der Auseinandersetzung der Gesellschafter) als auch auf mit einem Folgebescheid zusammenhängende Erhebungsfragen (Stundung der sich bei Anerkennung des Feststellungsbescheids ergebenden Einkommensteuerschuld) beziehen. Zum anderen ist die Verzichtserklärung nicht vorbehaltlos erfolgt, sondern wurde erkennbar an eine außergerichtlich zwischen einzelnen oder allen Beteiligten zu erzielende Einigung geknüpft. Insoweit handelt es sich um eine unzulässige echte und nicht nur um eine ausnahmsweise zulässige innerprozessuale Bedingung5.

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Selbst wenn man aber -wie das Finanzgericht- von einer ursprünglich wirksamen Verzichtserklärung ausginge, wäre diese spätestens aufgrund der am 7.11.2014 durchgeführten und mit einem Vertagungsbeschluss beendeten mündlichen Verhandlung wirkungslos geworden.

Insoweit ist zum einen zu berücksichtigen, dass der Kläger jedenfalls mit seinem im Schreiben vom 05.05.2014 gestellten Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung seine Verzichtserklärung widerrufen hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die für die Wirksamkeit einer solchen Widerrufserklärung geforderte wesentliche Änderung der Prozesslage6 im Streitfall tatsächlich vorlag, auch wenn dafür einiges spricht, da das Finanzgericht nach der Verzichtserklärung weitere rechtliche Hinweise erteilt und auch selbst weiteren Aufklärungsbedarf gesehen hat. Denn für den Kläger wurde jedenfalls nicht erkennbar, ob das Finanzgericht dessen Widerruf als wirksam erachtete oder nur von seinem Ermessen Gebrauch machte, eine mündliche Verhandlung trotz vorliegender Verzichtserklärungen durchzuführen. Der Kläger durfte daher davon ausgehen, dass seine Verzichtserklärung keine weitere Wirkung mehr entfaltete.

Zum anderen hat das Finanzgericht durch seinen Vertagungsbeschluss selbst zum Ausdruck gebracht, dass es eine weitere mündliche Verhandlung für erforderlich hält. Eine Vertagung beinhaltet die Bestimmung eines neuen Termins nach Beginn eines Termins7. Selbst wenn das Finanzgericht den Begriff der Vertagung nicht in diesem Sinne verstanden haben sollte, hätte es berücksichtigen müssen, dass es bei der Auslegung auf die Sicht der Beteiligten ankommt und diese die Bestimmung eines neuen Termins erwarten konnten. Um hier Klarheit zu schaffen, hätte das Gericht von sich aus eine erneute mündliche Verhandlung durchführen oder einen (erneuten) Verzicht nach § 90 Abs. 2 FGO herbeiführen müssen8.

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Ist eine Verzichtserklärung nach den vorstehenden Maßstäben wirkungslos (geworden), ist eine gleichwohl ohne mündliche Verhandlung ergehende Entscheidung zugleich wegen eines Mangels der Vertretung verfahrensfehlerhaft i.S. des § 119 Nr. 4 FGO9.

Aufgrund der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und des gleichzeitig vorliegenden Mangels der Vertretung war im hier entschiedenen Fall das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Der Verfahrensfehler ist ein absoluter Revisionsgrund, bei dem gemäß § 119 Nr. 3, Nr. 4 FGO davon auszugehen ist, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. Eine Sachentscheidung ist dem Bundesfinanzhof verwehrt10.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12. Oktober 2017 – III B 32/17

  1. vgl. BFH, Beschlüsse vom 20.06.2016 – VI B 115/15, BFH/NV 2016, 1482; und vom 23.06.2014 – X B 167/13, BFH/NV 2014, 1566, jeweils m.w.N.[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 20.06.1984 – I R 22/80, BFHE 142, 32, BStBl II 1985, 5[]
  3. ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss vom 09.01.2006 – XI B 176/04, BFH/NV 2006, 1105, m.w.N.[]
  4. BFH, Beschluss in BFH/NV 2006, 1105[]
  5. zur Abgrenzung s. etwa BFH, Beschlüsse vom 18.06.2002 – IX B 163/01, BFH/NV 2002, 1330; in BFH/NV 2006, 1105, und BFH, Urteil vom 25.07.1997 – VI R 109/96, BFH/NV 1998, 183, m.w.N.[]
  6. z.B. BFH, Urteil vom 11.05.2010 – IX R 28/09, BFH/NV 2010, 2076[]
  7. BFH, Beschluss vom 10.03.2005 – X B 182/03, BFH/NV 2005, 1068[]
  8. BFH, Beschluss in BFH/NV 2005, 1068[]
  9. BFH, Urteil vom 31.08.2010 – VIII R 36/08, BFHE 231, 1, BStBl II 2011, 126, m.w.N.; BFH, Beschluss vom 10.03.2011 – VI B 147/10, BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556[]
  10. BFH, Beschluss in BFHE 232, 322, BStBl II 2011, 556, m.w.N.[]
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