Überzogene Substantiierungsanforderungen

Da die Handhabung der Substantiierungsanforderungen durch das Gericht dieselben einschneidenden Folgen hat wie die Anwendung von Präklusionsvorschriften, verletzt sie Art. 103 Abs. 1 GG bereits dann, wenn sie offenkundig unrichtig ist1.

Überzogene Substantiierungsanforderungen

So lag es im hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall:

Im Ausgangspunkt zutreffend ging in der Vorinstanz das Berliner Kammergericht2 von der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu der Berechnung eines Schadens aus, der wegen einer Pflichtverletzung bei Vertragsschluss (§ 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) zu ersetzen ist. Danach wird der Geschädigte dann, wenn er – wie hier – an dem Kaufvertrag festhalten will, so behandelt, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Vertrag zu einem niedrigeren Preis abzuschließen; als Schaden ist der Betrag anzusehen, um den der Geschädigte den Kaufgegenstand zu teuer erworben hat3.

Die Auffassung, die Klägerin habe einen solchen Schaden nicht hinreichend dargelegt, ist offenkundig unrichtig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Vortrag schlüssig und ausreichend substantiiert, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen4. Kommt es auf den Verkehrswert einer Sache an, ist es grundsätzlich ausreichend, wenn die darlegungspflichtige Partei einen bestimmten Wert behauptet und durch Sachverständigengutachten unter Beweis stellt. Unbeachtlich ist eine solche Behauptung nur dann, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich aufs Geratewohl, gleichsam „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist; bei der Annahme eines solchen rechtmissbräuchlichen Verhaltens ist allerdings Zurückhaltung geboten5.

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Hieran gemessen überspannt das Berufungsgericht die Anforderungen an das Vorbringen der Klägerin.

Davon, dass der genannte Minderwert von 300.000 € als unbeachtliche Behauptung aufs Geratewohl zu werten ist, geht das Berufungsgericht selbst nicht aus. Es hält vielmehr den Bezugspunkt der Schadensberechnung für falsch. Die Klägerin vergleiche den Wert des Objekts mit ausbaufähigem Dachgeschoss mit demjenigen ohne ausbaufähiges Dachgeschoss. Damit lasse sie außer Acht, dass die Genehmigungsfähigkeit sowohl in dem Exposé als auch nach den Äußerungen des Beklagten offen geblieben sei. Insoweit rügt die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht, dass das Berufungsgericht ihren Vortrag nicht richtig zur Kenntnis genommen hat. Sie hat nämlich in dem in Bezug genommenen Schriftsatz ausdrücklich ausgeführt, das Objekt habe „mit der Möglichkeit – oder der ‚Chance‘, wobei die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit bei Vertragsschluss nicht bekannt war – des Ausbaus des Dachgeschosses in zweiter Ebene im Jahr 2010 einen Wert von ca.02.475.000 €“ gehabt, während sich der Wert mit dem wertlosen, da nicht ausbaufähigen Dachgeschoss auf 2.167.500 € belaufen habe. Der rechtlichen Unsicherheit soll ihrer Ansicht nach durch einen Abschlag von rund 30 % von dem Wert eines genehmigten Ausbaus Rechnung getragen werden. Damit hat sie substantiiert dargelegt, dass der Verkehrswert der rechtlich noch ungesicherten Ausbaumöglichkeit 300.000 € beträgt; zugleich hat sie Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten. Ob ihre Behauptung richtig und der Wert zutreffend veranschlagt oder ob ein höherer Abschlag angezeigt ist, muss im Wege der Beweiserhebung geklärt werden.

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Selbst wenn man den Vortrag der Klägerin deshalb anders verstehen wollte, weil sie – worauf das Berufungsgericht entscheidend abstellt – die Angemessenheit eines Abschlags von 30 % mit dem Wert eines ausbau- und genehmigungsfähigen Dachgeschosses begründet, rechtfertigte dies keinesfalls die vollständige Abweisung der Klage. Da es gerade um die Bewertung einer rechtlichen Unsicherheit geht, wird der Wert des Dachgeschosses mit einem rechtlich ungesicherten Ausbau von dieser Schadensberechnung zumindest als „Minus“ umfasst. Infolgedessen wäre es Aufgabe des Gerichts, dem angebotenen Beweis nachzugehen und mit sachverständiger Hilfe zu klären, welchen Wert der Verkehr einem Dachgeschoss mit einer rechtlich ungesicherten Chance auf Genehmigung beimisst, und ob etwa wegen erhöhter Risiken der Genehmigungsfähigkeit ein höherer Abschlag angezeigt ist, wenn es sich um ein denkmalgeschütztes Objekt handelt.

Der Verstoß gegen den Anspruch der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs ist auch entscheidungserheblich, weil die Annahme des Berufungsgerichts, der Klägerin stehe dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist. Infolgedessen ist das Berufungsurteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und die Sache zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. Oktober 2017 – V ZR 17/17

  1. vgl. BGH, Beschluss vom 12.06.2008 – V ZR 221/07, WM 2008, 2068 Rn. 5 mwN[]
  2. KG, Urteil vom 14.12.2016 – 11 U 21/14[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 19.05.2006 – V ZR 264/05, BGHZ 168, 35 Rn. 22 mwN[]
  4. vgl. nur BGH, Beschluss vom 02.04.2009 – V ZR 177/08, NJW-RR 2009, 1236 Rn. 10; Beschluss vom 12.06.2008 – V ZR 221/07, WM 2008, 2068 Rn. 6 mwN[]
  5. BGH, Beschluss vom 02.04.2009 – V ZR 177/08, NJW-RR 2009, 1236 Rn. 11 mwN[]
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Der erforderliche Berufungsantrag