Der in § 9 Nr. 3 GewStG verwendete Begriff der Betriebsstätte bestimmt sich nicht nach der Definition des jeweils einschlägigen DBA, sondern nach innerstaatlichem Recht1.

Der Gewerbesteuer unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG), d.h. soweit für ihn im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird (§ 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG). Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind im Streitfall erfüllt. Dies war zwischen den Beteiligten in der Vorinstanz auch nicht streitig. Nach den Feststellungen der Vorinstanz, die für das Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend sind, unterhielt die Unternehmerin am Sitz ihrer Geschäftsleitung eine Betriebsstätte i.S. von § 12 AO. Soweit die Unternehmerin in ihrer Revisionsbegründung nunmehr ausführt, dass von dort aus eine „operative Geschäftstätigkeit nicht betrieben worden sei“, ist dieser Vortrag neu und kann deshalb im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden.
Gemäß § 7 Satz 1 GewStG ist Gewerbeertrag der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb, der bei der Ermittlung des Einkommens für den dem Erhebungszeitraum entsprechenden Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist, vermehrt oder vermindert um die in den §§ 8 und 9 GewStG bezeichneten Beträge. Der Gewerbeertrag entspricht somit, abgesehen von den gewerbesteuerlichen Zu- und Abrechnungen, grundsätzlich dem Gewinn aus Gewerbebetrieb, der der Bemessung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zugrunde zu legen ist. Zur Bemessungsgrundlage der Einkommen- und Körperschaftsteuer und damit auch zum Gewerbeertrag gehören nicht Einnahmen, die aufgrund besonderer gesetzlicher Vorschriften als steuerfrei behandelt werden2.
Hiernach sind im vorliegend entschiedenen Streitfall im Ausgangspunkt die Einnahmen aus dem in der Türkei belegenen Einkaufsbüro in die Ermittlung des Gewerbeertrages nach § 7 Satz 1 GewStG3 einbezogen. Die Voraussetzungen der abkommensrechtlich (also bilateral) vereinbarten (sachlichen) Steuerfreistellung im Rahmen der Ermitt-lung des zu versteuernden Einkommens liegen nicht vor. Das Einkaufsbüro in der Türkei ist nicht als Betriebsstätte anzusehen, da Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985 ausdrücklich anordnet, dass“eine feste Geschäftseinrichtung, die ausschließlich zu dem Zweck unterhalten wird, für das Unternehmen Güter oder Waren einzukaufen“, nicht als Betriebsstätte gilt.
Die demnach allein streitige Frage, ob die Einnahmen aus dem in der Türkei belegenen Einkaufsbüro nach § 7 Satz 1 i.V.m. § 9 Nr. 3 Satz 1 GewStG zu kürzen sind, ist dagegen nach Ansicht des Bundesfinanzhofs zu bejahen.
Nach dieser Vorschrift wird die Summe des Gewinns und der Hinzurechnungen um den Teil des Gewerbeertrags eines inländischen Unternehmens gekürzt, der auf eine nicht im Inland belegene Betriebsstätte entfällt. So verhält es sich im hier entschiedenen Fall: Das in der Türkei belegene Einkaufsbüro erfüllt die Voraussetzungen des Betriebsstättenbegriffs gemäß § 12 Satz 2 Nr. 6 AO, nach dem als Betriebsstätte insbesondere auch Ein- oder Verkaufsstellen anzusehen sind.
Soweit das Finanzgericht Köln4 -hieran anknüpfend- vertreten hat, dass der Betriebsstättenbegriff im DBA-Türkei 1985 den nationalen Betriebsstättenbegriff nach § 12 AO -sei es als lex specialis oder als vorrangige völkerrechtliche Vereinbarung i.S. von § 2 Abs. 1 AO- verdrängt, folgt dem der Bundesfinanzhof nicht5.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs legen die Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (DBA) lediglich fest, in welchem Umfang die nach innerstaatlichem Recht bestehende Steuerpflicht entfallen soll. Die in den einzelnen DBA vorgenommene Bestimmung des Begriffs „Betriebsstätte“ ist deshalb grundsätzlich nur im Rahmen der DBA anwendbar6. Letzteres ergibt sich ausdrücklich aus den in den Abkommen häufig verwendeten Formulierungen „Für die Anwendung dieses Abkommens gilt folgendes …“ oder -wie im Einleitungssatz von Art. 3 Abs. 1 DBA-Türkei 1985- aus der Wendung „Im Sinne dieses Abkommens … bedeutet der Ausdruck …“7. Die Frage, ob im Ausland erzielte Einnahmen bei der Ermittlung der Einkünfte zu kürzen sind und auf welche Fälle sich die Möglichkeit einer solchen Kürzung erstrecken soll, ist dagegen eine Angelegenheit des innerstaatlichen Rechts.
Das so verstandene „Nebeneinander“ bilateraler Vereinbarungen in Form eines DBA und nationaler Steuernormen bedingt zugleich ein Nebeneinander der tatbestandlichen Voraussetzungen mit der Folge, dass die im Abkommen -abweichend von den nationalen Vorschriften- definierten Begriffe abkommensautonom auszulegen sind8.
Zwar ist der Gesetzgeber nicht gehindert, dieses „Nebeneinander“ selbständiger Rechtskreise aufzuheben9. Dies ist indes vorliegend nicht geschehen; § 9 Nr. 3 GewStG lässt eine abkommensrechtliche Verknüpfung nicht erkennen10.
Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber der Regelung des § 9 Nr. 3 GewStG allein den innerstaatlich definierten Begriff zugrunde legen wollte. Denn durch die Kürzungsvorschrift des § 9 Nr. 3 GewStG soll letztendlich die Konsequenz aus § 2 Abs. 1 Sätze 1 und 3 GewStG gezogen werden; danach unterliegt der Gewerbesteuer jeder stehende Gewerbebetrieb, soweit er im Inland betrieben wird. Damit wird -wie auch die Überschrift des § 2 GewStG verdeutlicht- das Objekt der Steuerpflicht umschrieben. § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG bringt zugleich zum Ausdruck, dass sich die Steuerpflicht auf den Gewerbebetrieb nicht erstreckt, soweit er im Ausland betrieben wird. Für den Bundesfinanzhof ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber bei der hierdurch bedingten Kürzung von einem einheitlichen Verständnis der ausländischen Betriebsstätte abweichen und zwischen DBA- und Nicht-DBA-Fällen unterscheiden wollte11.
Eine von der Vorinstanz angenommene „Normenkonkurrenz“ zwischen § 12 AO und den jeweiligen abkommensrechtlichen Bestimmungen -im Streitfall Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985- besteht daher nicht. Insofern stellt sich auch nicht die Frage nach dem Verhältnis von Abkommensrecht und (unilateralem) nationalen Steuerrecht12.
Ferner kommt den vom Finanzgericht Köln13 als maßgeblich angesehenen unterschiedlichen Funktionen und Inhalten der Betriebsstättenbegriffe in § 9 Nr. 3 GewStG sowie Art. 5 Abs. 3 Buchst. d DBA-Türkei 1985 auf der einen Seite und in § 12 AO auf der anderen Seite keine Bedeutung zu. Nichts anderes lässt sich daraus ableiten, dass sich der Anwendungsbereich des DBA-Türkei 1985 nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. b Doppelbuchst. dd DBA-Türkei 1985 ausdrücklich auch auf die Gewerbesteuer erstreckt.
Weiterhin kann -abgesehen davon, dass eine Nichtbesteuerung der streitigen Einkünfte nur in Bezug auf die Gewerbesteuer erfolgt- auch nicht die Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung als Abkommensziel gegen dieses Ergebnis angeführt werden. Zwar findet sich eine solche Zielsetzung z.B. in der (ministeriellen) „Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen“14; im DBA-Türkei 1985 hat sie aber keinen Niederschlag gefunden15.
Dem Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) zu § 12 Tz. 416, wonach § 12 AO nicht anzuwenden ist, soweit andere Rechtsvorschriften (z.B. DBA) abweichende Regelungen zum Begriff „Betriebsstätte“ enthalten, kommt als bloßer Verwaltungsanweisung keine die Gerichte bindende Wirkung zu17.
Schließlich weicht der Bundesfinanzhof mit dem so verstandenen „Nebeneinander“ bilateraler Vereinbarungen und (rein) nationaler Steuernormen nicht von seinem Urteil vom 14.08.199718 ab. Dieses Urteil ist zum Investitionszulagengesetz 1986 ergangen. Der Bundesfinanzhof hat in seinen Entscheidungsgründen zwar ausgeführt, dass die Bestimmungen der DBA das Körperschaftsteuergesetz ergänzten und daher bei der Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1986 zu berücksichtigen seien. Er hat dies aber ausgerichtet an der Entstehungsgeschichte und dem Zweck der sog. Forschungs- und Entwicklungszulage und insbesondere getragen von den „Elemente(n) der Ausgestaltung der Investitionszulage im (damaligen) Streitjahr 1998“ befürwortet. Vor diesem Hintergrund vermag der Bundesfinanzhof einen Widerspruch zu seiner eigenen Rechtsprechung nicht zu erkennen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. Juli 2016 – I R 50/15
- Bestätigung von BFH, Urteil vom 05.06.1986 – IV R 268/82, BFHE 146, 447, BStBl II 1986, 659; Abweichung von AEAO zu § 12 Tz. 4; BMF, Schreiben vom 31.01.2014, BStBl I 2014, 290, zuletzt geändert durch BMF, Schreiben vom 26.01.2016, BStBl I 2016, 155[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12.01.1978 – IV R 84/74, BFHE 124, 204, BStBl II 1978, 267; BFH, Urteil vom 08.05.1991 – I R 33/90, BFHE 165, 191, BStBl II 1992, 437[↩]
- i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG[↩]
- FG Köln, Urteil vom 07.05.2015 – 10 K 73/13[↩]
- gl.A. Lüdicke, IStR 2015, 770; Kahlenberg, ISR 2015, 380; derselbe, Internationale Wirtschaftsbriefe 2015, 940; Hielscher, Betriebs-Berater 2015, 2088; Becker/Loose, Die Unternehmensbesteuerung 2015, 520; van der Ham/Retzer, DStR 2015, 2650; speziell zum Gewerbesteuergesetz: Roser in Lenski/Steinberg, Gewerbesteuergesetz, § 9 Nr. 3 Rz 6; Keß in Lenski/Steinberg, a.a.O., § 2 Rz 2512; Schnitter in Frotscher/Drüen, KStG/GewStG/UmwStG, § 9 GewStG Rz 162; Blümich/Gosch, § 9 GewStG Rz 218; Güroff in Glanegger/Güroff, GewStG, 8. Aufl., § 9 Nr. 3 Rz 2a; Deloitte/Ziehr, GewStG, § 9 Nr. 3 Rz 4; unklar Keß in Lenski/Steinberg, a.a.O., § 2 Rz 2511 und 2825; speziell zu § 12 AO: Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 12 AO Rz 49; wohl auch Buciek in Beermann/Gosch, AO § 12 Rz 4; Klein/Gersch, AO, 13. Aufl., § 12 Rz 19; unklar und teilweise widersprüchlich Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 12 AO Rz 44; speziell zum Abkommensrecht: Wassermeyer in Wassermeyer MA Art. 5 Rz 8; Hruschka in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 5 Rz 25[↩]
- BFH, Urteil vom 05.06.1986 – IV R 268/82, BFHE 146, 447, BStBl II 1986, 659; BFH, Urteile vom 26.11.1986 – I R 256/83, BFH/NV 1988, 82; vom 05.10.1977 – I R 90/75, BFHE 124, 29, BStBl II 1978, 205; vom 07.03.1979 – I R 145/76, BFHE 127, 517, BStBl II 1979, 527; vom 02.04.2014 – I R 68/12, BFHE 245, 98, BStBl II 2014, 875; vom 11.03.2015 – I R 10/14, BFHE 249, 241, BStBl II 2015, 1049; vom 22.12 2015 – I R 40/15, BFHE 253, 174, BStBl II 2016, 537[↩]
- vgl. hierzu auch Lüdicke, IStR 2015, 770[↩]
- Gosch, ISR 2013, 87; derselbe in Lüdicke, Vermeidung der Doppelbesteuerung und ihre Grenzen, Forum der Internationalen Besteuerung, Bd. 42, 1 ff.; Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Grundlagen Rz 113b, m.w.N.; aus der Bundesfinanzhofsrechtsprechung z.B. BFH, Beschluss vom 11.12 2013 – I R 4/13, BFHE 244, 1, BStBl II 2014, 791, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 146, 447, BStBl II 1986, 659[↩]
- vgl. Kahlenberg, ISR 2015, 380 unter Hinweis auf § 50d Abs. 9 und 11 des Einkommensteuergesetzes[↩]
- vgl. Lüdicke, IStR 2015, 770[↩]
- s. dazu BVerfG, Beschluss vom 15.12 2015 – 2 BvL 1/12, DStR 2016, 359, Rz 48[↩]
- FG Köln, aaO[↩]
- BMF, Schreiben vom 17.04.2013, Stand: 22.08.2013; abgedruckt in IStR, Beihefter 10/2013 unter II. und berichtigt in IStR 2013, 440[↩]
- vgl. auch Lüdicke, IStR 2015, 770[↩]
- BMF, Schreiben vom 31.01.2014, BStBl I 2014, 290; zuletzt geändert durch das BMF, Schreiben vom 26.01.2016, BStBl I 2016, 155[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 24.07.2013 – I R 40/12, BFHE 242, 139, BStBl II 2014, 272[↩]
- BFH, Urteil vom 14.08.1997 – III R 55/95, BFHE 185, 86, BStBl II 1998, 355[↩]