Der weiter schwelende Streit um die 1%-Regelung bei der Einnahmen-Überschuss-Rechnung

Hat der Bundesfinanzhof in einer früheren Entscheidung begründet, warum er eine Norm nicht für verfassungswidrig hält, muss in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt werden, warum eine erneute Klärung der Frage geboten ist. Dies gilt auch im Hinblick auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG und das diese bejahende BFH-Urteil vom 15.05.20181.

Der weiter schwelende Streit um die 1%-Regelung bei der Einnahmen-Überschuss-Rechnung

Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hat der Beschwerdeführer im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde die Voraussetzungen der von ihm geltend gemachten Zulassungsgründe aus dem Katalog des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO darzulegen. Es sind für die Prüfung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur solche Zulassungsgründe beachtlich, die innerhalb der Begründungsfrist hinreichend dargelegt werden. Nach Ablauf der Begründungsfrist können keine weiteren Zulassungsgründe nachgeschoben werden. Maßgeblich ist vielmehr -abgesehen von schlichten Erläuterungen bzw. die Zulässigkeitsfrage unberührt lassenden Ergänzungen des fristgemäßen Vorbringens- der Inhalt der innerhalb der Begründungsfrist eingereichten Beschwerdeschrift2. Im Streitfall fehlt es danach an der fristgemäßen ordnungsgemäßen Darlegung eines Zulassungsgrunds.

Im vorliegenden Verfahren, in dem die Verfassungswidrigkeit der 1%-Regelung im Fall einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG (Einnahmen-Überschuss-Rechnung) geltend gemacht wurde, sah der Bundesfinanzhof die Darlegungsanforderungen  nicht erfüllt:

Die Kläger erläutern in diesem Schriftsatz, dass sie die rechtliche Würdigung des Finanzgerichts im Rahmen der Prüfung, ob die pauschalierende Ermittlung von Entnahmen nach der 1 %-Regelung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG bei Gewinnermittlern nach § 4 Abs. 3 EStG gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wegen des vom Finanzgericht gewählten Vergleichspaars für methodisch und inhaltlich unzutreffend halten. Zur Erläuterung ihrer Auffassung, dass ein Gleichheitsverstoß vorliegt, verweisen sie zudem auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.

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Der Bundesfinanzhof geht zugunsten der Kläger davon aus, dass sie die Frage, ob die pauschalierende Bemessung der Nutzungsentnahme für Privatfahrten nach der sog. 1 %-Regelung bei Gewinnermittlern nach § 4 Abs. 3 EStG gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG gegen den Gleichheitssatz verstößt, wenn kein Fahrtenbuch geführt wird, für grundsätzlich bedeutsam i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO erachten, auch wenn dieser Zulassungsgrund von den Klägern nicht ausdrücklich erwähnt wird. Die Kläger erläutern jedoch in diesem Schriftsatz nicht, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung nach diesem Zulassungsgrund erfüllt sein könnten.

Wirft ein Beschwerdeführer -wie die Kläger im Streitfall- mit der Nichtzulassungsbeschwerde verfassungsrechtliche Fragen als Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf, so erfordert die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung eine substantiierte, an den Vorgaben des GG und der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesfinanzhofs orientierte Auseinandersetzung mit der Problematik3. Hat der Bundesfinanzhof in einer früheren Entscheidung begründet, warum er eine Norm nicht für verfassungswidrig hält, muss in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde dargelegt werden, warum eine erneute Klärung der Frage geboten ist4.

Diesen Anforderungen werden die Ausführungen im Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten vom 17.03.2022 nicht gerecht. Es fehlt darin jegliche Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu der aufgeworfenen Rechtsfrage. Die von den Klägern aufgeworfene Rechtsfrage ist zudem insbesondere im BFH-Urteil vom 15.05.20181 bereits dahingehend beurteilt worden, dass weder die pauschalierende Bemessungsgrundlage der Entnahme nach der 1 %-Regelung noch der Aufwand, den die Führung eines ordnungsgemäßen Fahrtenbuchs verlangt, um zu einer niedrigeren Bewertung zu gelangen, Gesichtspunkte sind, die zur Gleichheitswidrigkeit der Regelungen in § 6 Abs. 1 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG führen. Insoweit genügt auch der Verweis auf das erstinstanzliche Vorbringen der Kläger  nicht, um die Voraussetzungen des Zulassungsgrunds nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO darzulegen. Die Kläger machen im Schriftsatz vom 17.03.2022 zwar deutlich, dass sie das BFH-Urteil in BFHE 261, 492, BStBl II 2018, 712 für grob fehlerhaft halten. Sie zeigen aber keine neuen Argumente auf, die eine erneute Befassung des Bundesfinanzhofs mit dieser Frage als erforderlich erscheinen lassen. Der von den Klägern in den Vordergrund gestellte Aspekt, die Bewertung eines Nutzungsvorteils für privat veranlasste Fahrten nach der 1 %-Regelung sowohl beim Arbeitnehmer als auch bei der Entnahmebewertung der privaten Nutzung eines dem Betriebsvermögen zugeordneten PKW aufgrund der unterschiedlichen Kostentragung seien nicht miteinander vergleichbar, ist jedenfalls kein neuer Gesichtspunkt. In Rz 29 des BFH-Urteils in BFHE 261, 492, BStBl II 2018, 712 hat der X. Senat ausgeführt, dass § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 EStG insoweit zwar eine Sonderrolle im System der Besteuerung privater Nutzungsentnahmen zukomme, indem die Nutzungsentnahme nicht nach dem anteiligen Aufwand der Nutzung, sondern wie bei Arbeitnehmern am Maßstab eines Nutzungsvorteils bemessen wird. Er hat die Atypik der Regelung mithin erkannt und diese stark pauschalierende Bewertung der Nutzungsentnahme als verfassungsrechtlich zulässig angesehen. Die Kläger machen nicht deutlich, welches neue Argument dafür sprechen könnte, die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG erneut zu überprüfen.

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Im Schriftsatz vom 23.05.2022 sprechen die Kläger den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung zwar ausdrücklich an. Zur Begründung nehmen sie darin zudem auf die Gesetzesbegründung Bezug und setzen sich insbesondere mit den BFH-Urteilen vom 24.02.20005 und vom 21.03.20136 auseinander. Zudem verdeutlichen sie, dass nach ihrer Auffassung der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.12.19817 noch keine Entscheidung der Frage beinhalte, ob das Führen eines Fahrtenbuchs zumutbar sei, um die Bewertung der Nutzungsentnahme nach der 1 %-Regelung zu vermeiden. Ferner heben sie darauf ab, dass die aufgeworfene Rechtsfrage für die Allgemeinheit von Bedeutung sei.

In diesen Ausführungen zu den Voraussetzungen des Zulassungsgrunds in § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist aber keine zulässige Vertiefung eines vorherigen fristgemäß eingegangenen Vortrags, sondern eine erstmalige Stellungnahme zu den Voraussetzungen des Zulassungsgrunds zu sehen, die erst nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist eingegangen ist. Die mangels fristgemäßer Darlegung des Zulassungsgrunds innerhalb der Begründungsfrist unzulässige Beschwerde kann hierdurch nicht in die Zulässigkeit hineinwachsen. Ob die Revision nach dem Vortrag in diesem Schriftsatz wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen sein könnte, hat der Bundesfinanzhof inhaltlich nicht geprüft und bedarf keiner weiteren Ausführungen.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 7. März 2023 – VIII B 9/22

  1. BFH, Urteil vom 15.05.2018 – X R 28/15, BFHE 261, 492, BStBl II 2018, 712[][]
  2. ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH, Beschlüsse vom 11.01.2016 – X B 153/14, BFH/NV 2016, 928, Rz 17; vom 20.09.2022 – VIII B 65/21, BFH/NV 2022, 1281, Rz 3[]
  3. ständige Rechtsprechung; vgl. BFH, Beschlüsse vom 13.11.2019 – VIII B 42/19, BFH/NV 2020, 234, Rz 5; vom 13.06.2020 – VIII B 166/19, BFH/NV 2020, 1255, Rz 10[]
  4. BFH, Beschluss vom 06.03.2019 – VIII B 94/18, BFH/NV 2019, 935, Rz 4[]
  5. BFH, Urteilen vom 24.02.2000 – III R 59/98, BFHE 191, 286, BStBl II 2000, 273[]
  6. BFH, Urteile vom 21.03.2013 – VI R 49/11, BFH/NV 2013, 1399; und VI R 31/10, BFHE 241, 167, BStBl II 2013, 700[]
  7. BVerfG, Beschluss vom 07.12.1981 – 2 BvR 1172/81, Der Betrieb 1992, 278[]
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