Drittortauseinandersetzungen – und die Datei „Gewalttäter Sport“

Allein der Umstand, dass der Betroffene sich mehrfach an so gen. Drittortauseinandersetzungen beteiligt hat und deshalb in der Datei Gewalttäter Sport eingetragen ist, rechtfertigt die Verhängung eines für das Umfeld des Stadions bzw. der Innenstadt geltenden Betretungs- und Aufenthaltsverbots nicht.

Drittortauseinandersetzungen – und die Datei „Gewalttäter Sport“

Das Aufenthalts- und Betretungsverbot ist auf § 27a Abs. 2 PolG BW gestützt. Nach § 27a Abs. 2 Satz 1 PolG kann die Polizei einer Person verbieten, einen bestimmten Ort, ein bestimmtes Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder ein Gemeindegebiet zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird (Aufenthaltsverbot). Das Aufenthaltsverbot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken und darf räumlich nicht den Zugang zur Wohnung der betroffenen Person umfassen (Satz 2). Es darf die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten (Satz 3).

Die Behörde stützt die gegen den Hooligan verhängten Aufenthalts- und Betretungsverbote auf Erkenntnisse der Polizei. Danach sei der Hooligan dem erweiterten Umfeld der Fer Problemfanszene (Drittortszene) zuzurechnen, die sich aus Personen der „ABC“ und „DEF“ zusammensetze. Auch wenn der Hooligan keiner der Gruppen zuzuordnen sei, beteilige er sich vorsätzlich und willentlich an geplanten Schlägereien. In den Jahren 2012/13 habe er sich an zwei Drittortauseinandersetzungen beteiligt; weitere Drittortauseinandersetzungen, an denen der Hooligan habe teilnehmen wollen, seien aus verschiedenen Gründen abgesagt worden. Mitglieder der Fer Ultraszene seien an Gewaltdelikten und anderen Straftaten beteiligt gewesen (Zünden von Pyrotechnik im Stadion, körperliche Auseinandersetzungen mit gegnerischen Problemfans im Bereich des Stadions oder der Innenstadt, Beschädigung von Sitzschalen, Widerstand gegen Polizeibeamte etc.). Der Umstand, dass der Hooligan sich nachweislich in der Saison 2012/13 an Drittortauseinandersetzungen beteiligt habe, zeige seinen Hang zur Gewalt und dazu, bei Fußballbegegnungen die Konfrontation zu gegnerischen Fans erneut bewusst zu suchen. Es sei, so die Polizei, nicht auszuschließen, dass sich der Betroffene bei Fußballspielen aufhalte und hier eine körperliche Konfrontation mit gegnerischen Fans suche.

Die Behörde hatte keinen Grund, an der Richtigkeit der schriftlich vorgelegten Erkenntnisse der polizeilichen szenekundigen Beamten zu zweifeln. Durch jahrelange Beobachtung der Hooliganszene sowie durch die Sachbearbeitung aller Delikte rund um Fußballspiele verfügen szenekundige Beamte über eine umfassende Personenkenntnis und sind in der Lage, Problemfans differenziert zu beurteilen. Für ihre Informationsgewinnung greifen sie auf die Zentrale Informationsstelle Sportveranstaltungen zurück, bei welcher sämtliche Hinweise aus allen Bundesligastandorten zentral gebündelt und von dort wieder an die einzelnen Dienststellen und hier an die szenekundigen Beamten weitergegeben werden. Außerdem stehen sie untereinander in ständigem Kontakt und beobachten die Hooliganszene anlässlich von Fußballspielen. Aus der Bündelung dieser Informationen wird das Erkenntnismaterial gewonnen, das zur Beurteilung der Gefahrenprognose bei präventiven Maßnahmen zu Grunde gelegt wird1.

Diese polizeiliche Auswertung der Sachlage und Gefahreneinschätzung, die in der mündlichen Verhandlung von Herrn K vom Polizeirevier F-Süd weiter erläutert wurde, rechtfertigt zur Überzeugung der Verwaltungsgericht ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot gegen den Hooligan für Bereiche der Innenstadt bzw. um das Stadion herum nicht. Vielmehr fehlte es insoweit im Herbst 2014 an Tatsachen, die die Annahme rechtfertigten, dass der Hooligan gerade in den vom Aufenthaltsverbot betroffenen Bereichen – und nur hierauf kommt es an – eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen werde, so dass bereits der Tatbestand des § 27a Abs. 2 PolG nicht erfüllt gewesen ist.

Zwar ist die Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Frage, wann gegen ein Mitglied einer gewaltbereiten Fangruppierung bzw. einer Hooligangruppe ein Aufenthalts- und Betretungsverbot erlassen werden kann, weil Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person in dem vom Aufenthaltsverbot erfassten Bereich eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird, relativ großzügig. So wird zu Recht nicht verlangt, dass dem Betroffenen im Einzelnen eine konkrete Tatbegehung nachgewiesen werden kann2; selbst der Nachweis der Zugehörigkeit zum Kernbereich der gewalttätigen Fan- bzw. Hooliganszene wird als nicht erforderlich erachtet3. Begründet wird dies überzeugend damit, dass eine von einem Mitglied einer gewaltbereiten Gruppierung ausgehende Gefahr schon darin besteht, dass dieser durch seine zum Ausdruck gebrachte Zugehörigkeit zu dieser Gruppe die Gewaltbereitschaft fördert und für diejenigen, die persönlich Gewalt anwenden, eine zumindest psychologische Stütze darstellt. Die von Hooligans oder gewaltbereiten Fans etwa einer Ultra-Gruppierung begangenen Straftaten haben ein typisches Erscheinungsbild und stellen sich als Deliktstyp dar, der aus der homogenen Gruppe heraus initiiert und gesteigert wird. Die gewaltbereite Szene benötigt ein unterstützendes Umfeld; schon die bloße Anwesenheit von Gleichgesinnten trägt zur Gewaltbereitschaft derjenigen bei, die ihrem Kernbereich zuzurechnen sind und aus der Anonymität der Gruppe heraus agieren.

Andererseits lassen sich Maßnahmen auf Grundlage des § 27a Abs. 2 PolG nicht auf reine Vermutungen stützen; vielmehr müssen aussagekräftige, tatsächliche Hinweise dafür vorliegen, dass der Betreffende nicht nur allgemein, sondern gerade dort, wo das Aufenthaltsverbot gelten soll, eine Straftat verüben wird4.

An derartigen aussagekräftigen Hinweisen dafür, dass der Hooligan zukünftig in den vom Aufenthalts- und Betretungsverbot erfassten Bereichen eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen würde, aber fehlt es nach Auffassung des Verwaltungsgerichts. Wie Herr K vom Polizeirevier F Süd und später auch der szenekundige Beamte M anlässlich seiner Angaben im Verfahren 4 K 3074/14 ausgeführt haben, ist der Hooligan nicht deshalb ins Visier der Polizei geraten, weil er bereits in der Vergangenheit im Bereich des Stadions oder der Innenstadt als zur Gewalt neigend oder auch nur als Mitglied einer Ultra-Gruppierung aufgefallen wäre; tatsächlich hat der Hooligan, der auch nach Informationen der Polizei keiner Ultra-Gruppierung zuzuordnen war, auch nach eigenen Angaben nur selten eine Fußballbegegnung im Stadion verfolgt. Ein Aufenthalts- und Betretungsverbot wurde gegen ihn letztlich (nur) deshalb verhängt, weil er nachweislich an Drittortauseinandersetzungen mit Fans rivalisierender Vereine teilgenommen hat. So hat er sich am 13.10.2012 an einer Drittortauseinandersetzung mit einer Gruppierung aus Nancy in L in Frankreich und am 12.04.2013 an einer Auseinandersetzung mit einer Gruppierung aus H in der Nähe von T beteiligt und war darüber hinaus ausweislich der im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erfolgten Rekonstruktion eines SMS-Verlaufs auf dem iPhone von R an Planungen hinsichtlich einer geplanten Drittortauseinandersetzung mit einer Gruppierung aus Ulm in der Nähe von Pforzheim im März 2013 sowie einer weiteren Auseinandersetzung gegen München in Friedrichshafen /Bodensee im Mai 2013 beteiligt bzw. wurde insoweit angefragt, sagte aber jeweils ab. Damit hat sich der Hooligan mehrfach der (gefährlichen) Körperverletzung schuldig gemacht5. Allerdings gab und gibt es für die Polizei keinen Hinweis darauf, dass der Hooligan im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit Fußballbegegnungen – und damit außerhalb von Drittortauseinandersetzungen, die im gegenseitigen Einverständnis stattfinden und nach gewissen Regeln ablaufen – gegnerische Fans provoziert oder angegangen oder zur Begehung von Straftaten durch andere gewaltbereite Fans in irgendeiner Weise beigetragen hätte. Zwar hat der Polizeibeamte M ausgeführt, es spreche einiges dafür, dass jemand, der sich bereits außerhalb des Stadions körperlich mit gegnerischen Fans gemessen habe, auch bei kritischen Situationen im Stadionbereich eher die körperliche Auseinandersetzung suche als jemand, der Gewalt für sich vollständig ablehne. Unabhängig davon, ob diese Überlegungen grundsätzlich als konkreter Anhaltspunkt für die Begehung von Straftaten dienen und damit ein Aufenthalts- und Betretungsverbot rechtfertigen können, ist ein solcher Schluss im Zusammenhang mit dem Hooligan bereits deshalb unzulässig, weil er auch nach Informationen der Polizei im Vorfeld der Verhängung der Aufenthalts- und Betretungsverbote gerade nicht zum engeren Kreis der Ultra-Fans gehörte und sich auch nur gelegentlich – und wenn, dann offenbar für die Polizei unauffällig – im Stadion aufhielt. Allein aus der Beteiligung an Drittortauseinandersetzungen aber wird lässt sich gerade nicht herleiten, dass der betreffende Fußballfan bewusst auch im engeren oder weiteren Umfeld von Stadien die tätliche Auseinandersetzung mit anderen Fußballfans suchen wird6. Auch der Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ ist als solcher keine Tatsache, die im Sinne von § 27a Abs. 2 PolG die Annahme der Begehung von Straftaten rechtfertigt, sondern allenfalls ein Hinweis auf das Vorliegen entsprechender Tatsachen; er enthebt die Behörde daher nicht davon, ihre Einschätzung, der Betreffende werde in einem bestimmten Bereich eine Straftat begehen, auf konkret belegbare Ereignisse zu stützen7. Schließlich schätzte auch die Polizei die Lage offenbar nicht so ein, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestanden hat, der Hooligan werde in den vom Aufenthaltsverbot betroffenen Bereichen Straftaten begehen oder zu ihrer Begehung beitragen. Vielmehr ist in den polizeilichen Stellungnahmen zur Person des Hooligans lediglich davon die Rede, der Hooligan sei dem „erweiterten Umfeld der Fer Problemfanszene (Drittortszene) zuzurechnen“ und es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Betroffene bei Fußballspielen aufhält und hier eine körperliche Konfrontation mit gegnerischen Fans sucht“. Es folgt eine Chronologie der Ereignisse, an denen die Ultragrupperungen „ABC“ und „DEF“ beteiligt waren, jedoch ohne Anhaltspunkte dafür, dass der Hooligan an einer der Aktionen beteiligt oder auch nur dabei anwesend war. Allein die abstrakte, von allgemeinen Erfahrungswerten gestützte Möglichkeit, der Hooligan könne in Zukunft in Abweichung von seinem bisherigen Verhalten auch im Bereich des Stadions oder der Innenstadt auffällig werden und bei künftigen Spielen dort sicherheitsrelevante Störungen verursachen, aber genügt nicht für die Erfüllung des Tatbestands des § 27a Abs. 2 PolG.

.03.3 Auch die Meldeauflage ist als rechtswidrig zu qualifizieren.

Eine Meldeauflage zielt darauf, dass die betreffende Person sich bei einer bestimmten polizeilichen Dienststelle zu einem bestimmten Zeitpunkt „melden“ muss. Im Gegensatz zu einem Aufenthalts- und Betretungsverbot regelt sie unmittelbar nicht das „Wegbleiben“ vom einem bestimmten Ort, sondern das „Hinkommen“ zu einer Polizeidien8. Mangels spezialgesetzlicher Grundlage lässt sich eine derartige Meldeauflage auf die polizeiliche Generalklausel (§§ 1, 3 PolG) stützen9. Voraussetzung für den Erlass einer Meldeauflage ist danach das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wobei eine objektive ex-ante-Sicht maßgeblich ist. Die Behörde hat den Erlass der Meldeauflage damit begründet, dass der Hooligan von einer Anreise zum Auswärtsspielort des SC Freiburg und dadurch von der Teilnahme an hooligantypischen Auseinandersetzungen bei Auswärtsspielen habe abgehalten werden sollen. Damit lässt sich jedoch der Erlass einer Meldeauflage nicht rechtfertigen. Ebenso wenig nämlich wie konkrete Anhaltspunkte dafür bestanden, der Hooligan werde im Bereich des Stadions Straftaten begehen, bestand eine hinreichend konkrete Gefahr dafür, dass der Hooligan bei Auswärtsspielen am Auswärtsspielort straffällig werden würde. Denn der Hooligan war in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt am Auswärtsspielort einer Mannschaft des SC Freiburg auffällig geworden; es fehlte darüber hinaus bereits an Anhaltspunkten dafür, dass er sich überhaupt an Auswärtsspieltagen am Auswärtsspielort des SC Freiburg aufhalten würde. Aber auch der für eine Eignung der verhängten Maßnahme zur Verhinderung von Straftaten erforderliche zeitliche Zusammenhang zwischen Auswärtsspielen des SC Freiburg und Drittortauseinandersetzungen war nicht gegeben. So fand etwa die Auseinandersetzung in T am 12.04.2013 im Zusammenhang mit einem Heimspiel des SC Freiburg statt, die Drittortauseinandersetzung bei H am 11.08.2012 stand gar nicht im Zusammenhang mit einer Partie der ersten oder zweiten Mannschaft des SC Freiburg, und die für den 10.03.2013 geplante Auseinandersetzung gegen U wurde mangels Beteiligung kurzerhand auf den 23.03.2013 verschoben.

Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 25. September 2015 – 4 K 35/15

  1. VG Minden, Urteil vom 29.06.2005 – 11 K 2952/04; VG Braunschweig, Beschluss vom 08.06.2006 – 5 B 173/06; VG München, Urteil vom 25.02.2010 – M 22 K 08.203; VG Meiningen, Urteil vom 08.02.2011 – 2 K 453/09 Me[]
  2. VG Minden, Beschluss vom 02.10.2014 – 11 L 763/14; VG Arnsberg, Beschluss vom 01.07.2009 – 3 L 345/09; VG Aachen, Beschluss vom 26.04.2013 – 6 L 170/13; VG Hannover, Beschluss vom 21.07.2011 – 10 B 2096/11[]
  3. VG Braunschweig, Beschluss vom 08.06.2006 – 5 B 173/06[]
  4. VG Stuttgart, Beschluss vom 08.06.2006 – 5 K 2106/06; VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 15.07.2014 – 5 K 996/13.NW; Wolf/Stephan/Deger, PolG BW, 6. Aufl., § 27a Rn. 11; Belz/Mussmann/Kahlert/Sander, PolG BW, 8. Aufl., § 27a Rn. 10; Siegel, NJW 2013, 1035[]
  5. vgl. zur Strafbarkeit verabredeter Schlägereien konkurrierender Gruppierungen BGH, Urteil vom 22.01.2015 – 3 StR 233/14[]
  6. vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 08.06.2006 – 5 K 2106/06 und Urteil vom 14.09.2009 – 5 K 2929/08[]
  7. OVG Bremen, Beschluss vom 10.02.2010 – 1 B 30/10; VG Hamburg, Urteil vom 02.10.2012 – 5 K 1236/11; VG Neustadt (Weinstraße), Urteil vom 15.07.2014 – 5 K 996/13.NW[]
  8. Siegel, NJW 2013, 1035[]
  9. BVerwG, Urteil vom 25.07.2007 – 6 C 39/06; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 15.06.2000 – 1 S 1271/00[]