Gefährderabschiebung – und der einstweilige Rechtsschutz

Ein Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG anzuordnen, über den das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO zu entscheiden hat, ist zulässig.

Gefährderabschiebung – und der einstweilige Rechtsschutz

Er ist insbesondere statthaft.

In Bezug auf die Abschiebungsanordnung folgt dies aus § 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG.

Die Statthaftigkeit in Bezug auf die Anordnung und die Bestimmung der Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots folgt aus § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG analog.

Nach der letztgenannten Bestimmung haben Widerspruch und Klage gegen die Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 AufenthG keine aufschiebende Wirkung. Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG sind erfüllt. Der Wortlaut der Norm regelt allein die Befristung, nicht hingegen – insoweit im Unterschied zu § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AufenthG – auch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots. Diese Regelungslücke ist planwidrig. Zwar war dem Gesetzgeber im Rahmen seiner Befassung spätestens mit dem Zweiten Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht bewusst, dass ein unionsweites Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht kraft Gesetzes entsteht, sondern im Einklang mit Art. 3 Nr. 6 RL 2008/115/EG durch behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme anzuordnen ist1; dass Anordnung und Befristung nach nationalem Recht untrennbare Teile eines einheitlichen Verwaltungsakts sind, ist indes höchstrichterlich erst nach Abschluss dieses Gesetzgebungsvorhabens geklärt worden2.

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Hätte der Gesetzgeber von dieser Rechtsprechung bereits im Rahmen der Beratung des Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht Kenntnis nehmen können, so hätte es sich im Lichte der gerade mit diesem Gesetz verfolgten Ziele, die Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht effizienter zu gestalten3 und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Rechnung zu tragen4 aufgedrängt, in § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG in erster Linie die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots zu erwähnen, bewirkt doch die gesetzliche Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit gerade, dass dem Ausländer nach einer Beendigung des Aufenthalts während des Rechtsbehelfsverfahrens eine Wiedereinreise untersagt ist. Bedenken hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Interessenlage in Bezug auf die Befristung einerseits und die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots andererseits bestehen nicht5.

Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17. Mai 2023 – 1 VR 1.23

  1. vgl. BT-Drs.19/10506 S. 8 und 11[]
  2. BVerwG, Urteile vom 07.09.2021 – 1 C 47.20, Buchholz 402.242 § 11 AufenthG Nr.19 Rn. 10; und vom 16.02.2022 – 1 C 6.21, BVerwGE 175, 16 Rn.19[]
  3. BT-Drs.19/10047 S. 25[]
  4. BT-Drs.19/10047 S. 31[]
  5. im Ergebnis ebenso VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – InfAuslR 2020, 106 <111> nachfolgend auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 18.03.2021 – 8 ME 146/20 9; VG Darmstadt, Beschluss vom 27.04.2021 – 6 L 1229/20.DA 40; VG Kassel, Beschluss vom 08.09.2021 – 4 L 1411/21.BVerwG 21; VG München, Beschlüsse vom 22.02.2021 – M 4 S 20.6589 27; und vom 30.07.2021 – M 10 S 21.17 56 18; VG Wiesbaden, Beschluss vom 12.01.2021 – 4 L 893/20.WI 20; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl.2022, § 11 AufenthG Rn. 134; Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl.2022, Vorbemerkung §§ 53 bis 56 AufenthG Rn. 162; Zimmerer, in: Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.01.2023, § 84 AufenthG Rn. 15; Hoppe, in: Dörig, Handbuch Migrations- und Integrationsrecht, 2. Aufl.2020, § 7 Rn. 172; a. A. Funke-Kaiser, in: Berlit, Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Stand Mai 2023, § 84 AufenthG Rn. 56[]
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