Die Verpflichtung zur Entfernung sämtlicher Stieleichen ist dann ermessensfehlerhaft, wenn der dadurch entstehende Eingriff in die Natur- und Pflanzenwelt immens ist und ein milderes, aber gleichermaßen geeignetes Mittel vorhanden ist.

Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Gießen in dem hier vorliegenden Fall die der Stadt Wetzlar auferlegte Verpflichtung zur Entfernung von 4.600 Stieleichen in einem städtischen Auwald für rechtswidrig gehalten. Daher muss sie nicht befolgt werden. Mit Bescheid vom 05.03.2019 hat das Regierungspräsidium Gießen die Stadt Wetzlar dazu verpflichtet, die Stieleichen zu entfernen. Die Stadt hatte sie im Jahr 2016 zur Neuanlage eines Auwaldes im Landschaftsschutzgebiet „Auenverbund Lahn-Dill“ nahe der Lahn in den Gemarkungen Garbenheim, Niedergirmes und Naunheim gepflanzt. Nach der hierfür erteilten Genehmigung waren ausschließlich Pflanzen autochthoner Herkunft zu verwenden.
Im Zuge einer Überprüfung der Anpflanzung durch eine Probeentnahme bei 30 Bäumen im März 2017 wurde sodann festgestellt, dass in einer Größenordnung von unter 20 % Genmaterial vorhanden ist, das nicht der Stieleiche „Westdeutsches Bergland“, sondern der Untersuchung nach Eichen aus Süd- und Osteuropa zugeordnet werden muss. Dieser Umstand führte dazu, dass der Stadt Wetzlar die Entfernung der 4.600 Stieleichen und eine anschließende Neupflanzung aufgegeben wurde. Nach Einschätzung des Regierungspräsidiums Gießen ist die Standortgeeignetheit der nicht dem Herkunftsgebiet „Westdeutsches Bergland“ entsprechenden Stieleichen unbekannt, sodass ein Kümmern oder Absterben dieser Pflanzen drohe wie auch die Verbreitung ungeeigneten Pollens. Es müssten alle 4.600 der im Jahre 2016 eingepflanzten Stieleichen entfernt werden, da eine Genuntersuchung sämtlicher Bäume Kosten von über 100.000 EUR verursachen würde und mithin über 7mal kostenintensiver als deren Beseitigung z.B. durch ein Mulchen des Geländes wäre.
Damit war die Stadt Wetzlar nicht einverstanden und reichte Klage ein. Sie hielt die Entfernung aller Stieleichen für unverhältnismäßig, zumal hierdurch auch die Beseitigung der mit den Stieleichen gemischt angepflanzten 1.200 Buchen unumgänglich sei.
In seiner Urteilsbegründung hat das Verwaltungsgericht Gießen ausgeführt, dass die Verpflichtung zur Entfernung sämtlicher Stieleichen ermessensfehlerhaft sei. Es hielt den bei Umsetzung des Bescheides entstehenden Eingriff in die Natur- und Pflanzenwelt für immens. Mit einer Entfernung nur der herkunftsunsicheren Stieleichen sei ein milderes, aber gleichermaßen geeignetes Mittel vorhanden, auch wenn diese Vorgehensweise mehr Kosten verursachen werde.
Außerdem habe das Regierungspräsidium Naturschutzaspekte nicht hinreichend genug berücksichtigt, da das Gebot zur Entfernung der 4.600 Stieleichen (und 1.200 Buchen) lediglich darauf beruhe, dass 6 von insgesamt 30 getesteten Stieleichen und damit maximal 20% der insgesamt gepflanzten Stieleichen unbekannter Herkunft seien. Die weiteren Auswirkungen dieses unbekannten Materials seien ungewiss und rechtfertigten jedenfalls nicht die Entfernung sämtlicher Stieleichen.
Verwaltungsgericht Gießen, Urteil vom 31. August 2020 – 9 K 1679/19.GI
Bildnachweis:
- Acorn 3694485 1920: Mabel Amber | CC0 1.0 Universal