Einbürgerung trotz Grundsicherung

Erhält der Einbürgerungsbewerber Leistungen nach dem Zweiten oder Zwölften Buch Sozialgesetzbuch oder hat Anspruch darauf, ist maßgeblich, ob er dies zu vertreten hat. Der Begriff des Vertretenmüssens beschränkt sich nicht auf vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Ausländer durch ein ihm zurechenbares Handeln oder Unterlassen adäquat-kausal die Ursache für den – fortdauernden – Leistungsbezug gesetzt hat.

Einbürgerung trotz Grundsicherung

Der vom Begriff des Vertretenmüssens vorausgesetzte objektive Zurechnungszusammenhang zwischen zu verantwortendem Verhalten und Leistungsbezug erfordert, dass das Verhalten des Verantwortlichen für die Verursachung oder Herbeiführung des in Bezug genommenen Umstandes zumindest nicht nachrangig, sondern hierfür wenn schon nicht allein ausschlaggebend, so doch maßgeblich bzw. prägend ist.

Der Leistungsbezug muss lediglich auf Umständen beruhen, die dem Verantwortungsbereich der handelnden Person zuzurechnen sind1 Der Einbürgerungsbewerber hat eine Obliegenheit, durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft auch langfristig den eigenen Unterhalt sicherzustellen. Für ein Vertretenmüssen i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StAG muss eine Verletzung dieser Obliegenheit nach Art, Umfang und Dauer von einigem Gewicht sein. Die Verhängung von Sperrzeiten durch die Arbeitsverwaltung oder sonstige leistungsrechtliche Reaktionen auf die Verletzung sozialrechtlicher Obliegenheiten können für das Vertretenmüssen eine gewisse Indizwirkung haben.

Beruht der Leistungsbezug auf Umständen, die dem Verantwortungsbereich des Einbürgerungsbewerbers zuzurechnen sind, unterbricht allein der Umstand, dass dieser inzwischen wegen seines Alters und aus gesundheitlichen Gründen seinen Lebensunterhalt nicht selbst durch Einsatz seiner Arbeitskraft bestreiten kann, den einbürgerungshindernden Zurechnungszusammenhang nicht. Nach Ablauf einer Frist von acht Jahren hat ein Einbürgerungsbewerber jedoch für ein ihm zurechenbares und für aktuelle Sozialhilfeleistungen mitursächliches Verhalten nicht mehr einzustehen2.

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Keine Identitätsprüfung bei der Einbürgerung

Ein Vertretenmüssen ist gegeben, wenn sich der Einbürgerungsbewerber nicht oder nicht hinreichend um die Aufnahme einer Beschäftigung bemüht, wenn er durch ihm zurechenbares Verhalten zu erkennen gibt, dass er nicht bereit ist, eine ihm zumutbare Beschäftigung unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes – ggf. auch abweichend von seiner bisherigen Qualifikation und auch zu ungünstigeren Lohn- oder Arbeitsbedingungen – anzunehmen oder wenn es zu einem Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund verhaltensbezogener Ursachen kommt3. Nicht zu vertreten hat ein arbeitsfähiger Einbürgerungsbewerber den Leistungsbezug, wenn er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und sich hinreichend intensiv um Arbeit bemüht, aber aus konjunkturellen Gründen oder deswegen keine nach dem Maßstab der §§ 8 Abs. 1, 10 SGB II zumutbare Beschäftigung findet, weil er objektiv vermittlungshemmende Merkmale, wie Alter, Krankheit, fehlende Qualifikation – deren Eintritt er selbst nicht zurechenbar verursacht hat – aufweist. Ebenso nicht zu vertreten hat der Einbürgerungsbewerber einen Leistungsbezug wegen Verlusts des Arbeitsplatzes aufgrund gesundheitlicher, betriebsbedingter oder konjunktureller Ursachen4.

Die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvertretenmüssen trägt angesichts der gesetzlichen Konstruktion von Regel und Ausnahme – und weil es sich typischerweise um Umstände handelt, die seiner persönlichen Sphäre entstammen – der Einbürgerungsbewerber5.

Zwar darf ein Einbürgerungsbewerber sich grundsätzlich nicht allein auf Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit verlassen, sondern ist auch gehalten, sich aus eigener Initiative um die Aufnahme einer Beschäftigung zu bemühen. Dies gilt jedoch nicht, wenn überhaupt keine realistische Beschäftigungsperspektive gegeben ist.

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Rücknahme einer rechtswidrigen Einbürgerungszusicherung

Verwaltungsgerichtshof Baden -Württemberg, Beschluss vom 12. November 2014 – 1 S 184/14

  1. vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2009 – 5 C 22.08, BVerwGE 133, 153; BayVGH, Beschluss vom 06.07.2007 – 5 ZB 06.1988 – juris; NdsOVG, Beschluss vom 17.12.2013 – 13 LA 179/13 – juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.01.2014 – 1 S 923/13; jeweils m.w.N.[]
  2. vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.[]
  3. vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 12.03.2008 – 13 S 1487/06, NVwZ-RR 2008, 839; NdsOVG, Urteil vom 13.11.2013 – 13 LB 99/12 – juris; Berlit, a.a.O., § 10 StAG Rn. 259 ff.; Hailbronner, in: Hailbronner/Renner/Maaßen, StAR, 5. Aufl., § 10 StAG Rn. 43[]
  4. vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.01.2014, a.a.O. Rn. 27 m.w.N.[]
  5. vgl. BVerwG, Urteil vom 19.02.2009, a.a.O.; NdsOVG, Urteil vom 13.11.2013, a.a.O.; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 22.01.2014, a.a.O. Rn. 28; Berlit, a.a.O., § 10 StAG Rn. 254; a.A. – ohne Begründung – Hailbronner, a.a.O., § 10 StAG Rn. 39[]