Läßt ein Wahlvorstand bei einer Betriebsratswahl die Stimmabgabe im Wahllokal entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 12 Abs. 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes (Wahlordnung – WO) ohne Verwendung von Wahlumschlägen durchführen, verstößt er damit gegen wesentliche Wahlvorschriften. Dieser Verstoß ist geeignet, das Wahlergebnis beeinflussen. Dies materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG liegen damit vor.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 WO erfolgt die Stimmabgabe durch Abgabe von Stimmzetteln in den hierfür bestimmten Umschlägen (Wahlumschlägen). Nach § 12 Abs. 3 WO gibt die Wählerin oder der Wähler ihren oder seinen Namen an und wirft den Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, in die Wahlurne ein, nachdem die Stimmabgabe in der Wählerliste vermerkt worden ist. Danach schreibt die Wahlordnung die Verwendung von Wahlumschlägen bei der Stimmabgabe vor. Diese Wahlumschläge sind vom Wahlvorstand den Wählern bereitzustellen1.
Die Regelungen in § 11 Abs. 1 Satz 2, § 12 Abs. 3 WO sind wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG2. Es handelt sich um zwingende Bestimmungen der Wahlordnung, die dem elementaren Grundsatz der geheimen Wahl (§ 14 Abs. 1 BetrVG) dienen.
Nach dem Grundsatz der geheimen Wahl darf die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden. Dies dient dem Zweck, den Wähler vor jeglichem sozialen Druck zu schützen3. Dadurch wird sichergestellt, dass jeder Arbeitnehmer seine Wahl in Ansehung der ihm bekannten Tatsachen und Meinungen nach seiner freien Überzeugung treffen kann4. Diese Grundsätze sind insbesondere durch das Verfahren über die Stimmabgabe, den Wahlvorgang und die Stimmauszählung in §§ 11 ff. WO formalisiert und unabdingbar ausgestaltet5. Bei der Stimmabgabe wird die Wahrung des Wahlgeheimnisses dadurch gewährleistet, dass der Wähler den Stimmzettel unbeobachtet persönlich kennzeichnet und in den Wahlumschlag einlegt6. Damit wird verhindert, dass das Stimmverhalten bei der Stimmabgabe sichtbar wird.
Dem steht nicht entgegen, dass bei anderen als Betriebsratswahlen – etwa bei Bundestagswahlen und den Wahlen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat – keine Wahlumschläge mehr verwendet werden. Bei diesen Wahlen wird auf andere Weise, nämlich durch das Erfordernis der Faltung des Stimmzettels, dem Grundsatz der geheimen Wahl Rechnung getragen. So sieht § 56 Abs. 4 Satz 2 BWO in der seit dem 21.02.2002 geltenden Fassung vor, dass der gefaltete Stimmzettel in die Wahlurne eingeworfen wird. Der Wahlvorstand hat nach § 56 Abs. 6 Nr. 5 BWO einen Wähler ua. dann zurückzuweisen, wenn er seinen Stimmzettel so gefaltet hat, dass seine Stimmabgabe erkennbar ist. Vergleichbares gilt für die Stimmabgabe nach den Wahlordnungen zum Mitbestimmungsgesetz, zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz und zum Drittelbeteiligungsgesetz (vgl. etwa § 17 Abs. 3 der Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz; § 14 Abs. 3 der Verordnung zur Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Drittelbeteiligungsgesetz; § 15 Abs. 3 der Wahlordnung zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz). Danach erfolgt die Stimmabgabe durch Einwurf des gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne; der Wähler hat den Stimmzettel in der Weise zu falten, dass seine Stimmabgabe nicht erkennbar ist. Demgegenüber hat der Verordnungsgeber der Wahlordnung zum Betriebsverfassungsgesetz § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 12 Abs. 3 WO nicht geändert, so dass bei Betriebsratswahlen das Wahlgeheimnis nicht durch die Faltung von Stimmzetteln, sondern durch Verwendung von Wahlumschlägen zu wahren ist. Damit wird auch gewährleistet, dass bei der Auszählung Briefwahlstimmen, die im ungeöffneten Wahlumschlag in die Wahlurne einzulegen sind (§ 26 Abs. 1 Satz 2 WO), und persönlich abgegebene Stimmen nicht zu unterscheiden sind.
Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts Köln7 stellt die Berücksichtigung der ohne Wahlumschläge abgegebenen Stimmen bei der Ermittlung des Wahlergebnisses im vorliegenden Fall keinen eigenständigen Wahlrechtsverstoß dar. Es handelt sich nur um eine Konsequenz der vom Wahlvorstand veranlassten Durchführung der persönlichen Stimmabgabe ohne Wahlumschläge.
Dieser Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Satz 2, § 12 Abs. 3 WO konnte das Wahlergebnis beeinflussen.
Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Betriebsratswahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre8.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis bei Verwendung von Wahlumschlägen anders ausgefallen wäre, denn es ist nicht undenkbar, dass Wählerinnen und Wähler sich bei der Stimmabgabe von der Annahme beeinflussen ließen, ihr Stimmverhalten könnte mangels Verwendung von Wahlumschlägen bekannt werden. Soweit der Betriebsrat geltend macht, es sei nicht dargelegt, dass Wähler konkret oder abstrakt eine Verletzung ihres Wahlgeheimnisses gefürchtet hätten, verkennt er, dass die fehlende Kausalität eines Verstoßes gegen wesentliche Wahlvorschriften für das Wahlergebnis positiv festzustellen ist.
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 20. Januar 2021 – 7 ABR 3/20
- Fitting BetrVG 30. Aufl. § 11 WO Rn. 4; Forst in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 11 WO Rn. 2[↩]
- Forst in Richardi BetrVG 16. Aufl. § 11 WO Rn. 2; HWGNRH-Huke/Nicolai BetrVG 10. Aufl. Anhang II Rn. 89; Jacobs GK-BetrVG 11. Aufl. § 11 WO Rn. 7[↩]
- BAG 2.08.2017 – 7 ABR 42/15, Rn. 32, BAGE 160, 27; 12.06.2013 – 7 ABR 77/11, Rn.20, BAGE 145, 225[↩]
- BAG 25.10.2017 – 7 ABR 10/16, Rn. 17, BAGE 161, 1[↩]
- BAG 12.06.2013 – 7 ABR 77/11, Rn.20, aaO[↩]
- vgl. zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung BAG 21.03.2018 – 7 ABR 29/16, Rn. 31[↩]
- LAG Köln 22.11.2019 – 9 TaBV 30/19[↩]
- st. Rspr., vgl. etwa BAG 16.09.2020 – 7 ABR 30/19, Rn. 28; 18.07.2012 – 7 ABR 21/11, Rn. 30 mwN[↩]