Vergütungserwartung für Überstunden

Ist im Arbeitsvertrag die Vergütung von Überstunden weder positiv noch negativ geregelt, kommt als Anspruchsgrundlage dafür nur § 612 Abs. 1 BGB in Betracht. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

Vergütungserwartung für Überstunden

Pauschale Überstundenabgeltung im Arbeitsvertrag[↑]

Die Regelungen des Arbeitsvertrages unterliegen der Kontrolle anhand § 307 BGB, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag vorformuliert, dem Arbeitnehmer in dieser Form angeboten und damit im Rechtssinne gestellt hat. Ob es sich dabei um für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung handelte (§ 305 Abs. 1 BGB), bedarf keiner weiteren Aufklärung, denn der Arbeitsvertrag ist ein Verbrauchervertrag im Sinne von § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB1.

Die im Arbeitsvertrag geregelte Pauschalvergütung von Überstunden ist mangels hinreichender Transparenz unwirksam, § 307 Abs. 3 Satz 2 iVm. Abs. 1 Satz 2 BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine die pauschale Vergütung von Überstunden regelnde Klausel nur dann klar und verständlich, wenn sich aus dem Arbeitsvertrag selbst ergibt, welche Arbeitsleistungen in welchem zeitlichen Umfang von ihr erfasst werden sollen. Der Arbeitnehmer muss bereits bei Vertragsabschluss erkennen können, was ggf. „auf ihn zukommt“ und welche Leistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen muss2.

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Überstundenvergütung - und ihre Verwirkung

Nach diesen Grundsätzen ist die pauschale Überstundenabgeltung im Arbeitsvertrag nicht klar und verständlich, wenn sich der Umfang der davon erfassten Überstunden weder der Klausel selbst noch den arbeitsvertraglichen Bestimmungen im Übrigen entnehmen lässt.

Stillschweigende Vereinbarung einer Überstundenvergütung[↑]

Ist im Arbeitsvertrag die Vergütung von Überstunden weder positiv noch negativ geregelt, kommt als Anspruchsgrundlage dafür nur § 612 Abs. 1 BGB in Betracht. Danach gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Diese Vergütungserwartung ist im Streitfall nicht gegeben.

Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankäme. Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen. Die nach § 612 Abs. 1 BGB erforderliche – objektive – Vergütungserwartung wird deshalb in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein3. Sie wird aber fehlen, wenn arbeitszeitbezogen und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind4, wenn Dienste höherer Art geschuldet sind5 oder insgesamt eine deutlich herausgehobene, die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitende Vergütung gezahlt wird6. Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen einer Vergütungserwartung ist nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der eine Vergütung begehrt.

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Aus dem Sachvortrag des Klägers lässt sich das Bestehen einer Vergütungserwartung nicht begründen. Anders als im „Normalarbeitsverhältnis“ waren die Vertragsbeziehungen der Parteien seit der Ergänzung zum Arbeitsvertrag vom 01.09.2005 im Streitfall dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger für einen Teil seiner Arbeit – nämlich die Vermittlungstätigkeit – eine zusätzliche Vergütung in Form einer Provision erhalten sollte. Bei einer solchen kommt es aber typischerweise (vgl. § 87 Abs. 1 HGB) aus der Sicht der beteiligten Kreise nicht auf die Erfüllung eines Stundensolls, sondern den Erfolg – die vermittelten Geschäfte – an. Erhält der Arbeitnehmer arbeitszeitbezogene Vergütung und zusätzlich für einen Teil seiner Arbeitsaufgaben in nicht unerheblichem Maße Provisionen, lässt sich das Bestehen einer objektiven Vergütungserwartung für Überstunden nicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände oder einer entsprechenden Verkehrssitte begründen. Fehlt es daran, kann eine Überstundenvergütung nur verlangt werden, wenn sie arbeitsvertraglich vereinbart ist.

Besondere Umstände für eine Ausnahme von dieser Regel hat der Kläger nicht vorgebracht. Insbesondere waren die bezogenen Provisionen nicht unerheblich. Nach den unstreitigen Zahlen betrugen sie 2006 knapp 30 %, 2007 rd. 55 % und 2008 rd. 49 % der Festvergütung. Anhaltspunkte für eine die Auffassung des Klägers stützende entsprechende Verkehrssitte hat das Bundesarbeitsgericht nicht.

Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zur Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat bereits zur (Vorgänger-)Richtlinie 93/104/EG entschieden, dass die Arbeitszeitrichtlinie auf die Vergütung der Arbeitnehmer keine Anwendung findet7. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht dargetan, dass eine von den Voraussetzungen des § 612 Abs. 1 BGB losgelöste Vergütungspflicht für Überstunden überhaupt geeignet wäre, den in der Richtlinie 2003/88/EG vorgesehenen Arbeitszeitschutz effektiver als die im Arbeitszeitgesetz normierte Überwachungspflicht der Aufsichtsbehörden (§ 17 ArbZG) und die dortigen Bußgeld- und Strafvorschriften (§§ 22, 23 ArbZG) zu gewährleisten.

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Überstundenvergütung - und die Betriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit und zu Arbeitszeitkonten

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Juni 2012 – 5 AZR 530/11

  1. BAG 19.05.2010 – 5 AZR 253/09, Rn.20 ff., AP BGB § 310 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 310 Nr. 10; 16.05.2012 – 5 AZR 347/11, Rn. 14[]
  2. vgl. dazu BAG 17.08.2011 – 5 AZR 406/10, Rn. 14 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10; 22.02.2012 – 5 AZR 765/10, Rn. 16[]
  3. BAG 17.08.2011 – 5 AZR 406/10, Rn.20 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10[]
  4. BAG 21.09.2011 – 5 AZR 629/10, Rn. 32, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 11[]
  5. BAG 17.08.2011 – 5 AZR 406/10, Rn. 21, aaO[]
  6. BAG 22.02.2012 – 5 AZR 765/10, Rn. 21[]
  7. EuGH 01.12.2005 – C-14/04 [Dellas ua.] Rn. 38, Slg. 2005, I-10253[]