Welches bereinigte Nettoeinkommen ist von einem nicht gesundheitlich eingeschränkt Arbeitsfähigen mittleren Alters ohne formelle Berufsqualifikation erzielbar? Das Oberlandesgericht Celle legt hier für das Jahr 2014 aus einer möglichen Tätigkeit als Bauhelfer rund 1.280 € zugrunde [1].

Der Vater ist seinen minderjährigen unverheirateten Kindern gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert unterhaltsverpflichtet, muß also in jeder ihm möglichen und zumutbaren Art und Weise zu deren (Mindest-) Unterhalt beitragen. Nach ständiger Rechtsprechung ist dabei für seine Leistungsfähigkeit nicht allein auf die tatsächlichen, sondern vielmehr auch auf erzielbare Einkünfte abzustellen, soweit seine Erwerbsbemühungen nicht ausreichend sind und für ihn eine hinreichend reale Beschäftigungsmöglichkeit besteht [2].
Der Unterhaltspflichtige trägt die volle Darlegungs- und Beweislast für eine geltend gemachte vollständige oder teilweise Leistungsunfähigkeit; diese ihm obliegende Darlegungs- und Beweislast erstreckt sich ausdrücklich auch auf ein behauptetes Fehlen einer entsprechenden realen Beschäftigungschance [3]. Dabei sind an die Feststellung, daß für einen Unterhaltsschuldner keine reale Beschäftigungschance besteht, strenge Maßstäbe anzulegen. Es bestehen selbst in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit und für ungelernte Kräfte regelmäßig auch keine Erfahrungssätze etwa dahin, daß ein gesunder Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsaltern nicht – ggf. auch erstmalig – in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln wäre [4]. Ohne Rückgriffsmöglichkeit auf einen derartigen Erfahrungssatz kann das Fehlen realer Erwerbsmöglichkeiten für eine Vollzeittägigkeit allerdings nur durch den Nachweis geführt werden, daß der Unterhaltspflichtige sich hinreichend um eine Erwerbstätigkeit bemüht hat [5].
Nach diesen Grundsätzen ist im hier vom OLG Celle entschiedenen Fall für den Vater, bei dem es sich um einen gesunden Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter handelt, in jedem Fall von der realen Möglichkeit der Aufnahme einer abhängigen Vollzeitbeschäftigung auszugehen. Offen bleibt insofern allenfalls noch, welche Art von Tätigkeit dabei für den konkreten Vater zugrunde gelegt werden kann.
Unter den Umständen des Streitfalles ist jedenfalls von der Möglichkeit einer Tätigkeit als Gebäudereiniger auszugehen. Dies würde unter Berücksichtigung der in den jeweils für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen geregelten Stundenlöhne bereits jedenfalls zu einem für den Kindesunterhalt maßgeblichen monatlichen Nettoeinkommen des Vaters von 1.031,75 € im Jahr 2012 (Stundenlohn 8,82 €), von 1.055,03 € im Jahr 2013 (Stundenlohn 9,00 €) sowie von 1.087,94 € im Jahr 2014 (Stundenlohn 9,31 €) führen.
Unter den Umständen des Streitfalles ist es allerdings auch durchaus gerechtfertigt, von einer möglichen Tätigkeit als Helfer im Bauhauptgewerbe auszugehen. Gesichtspunkte, die der Ausübung einer derartigen Tätigkeit durch den Vater entgegenstehen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich; er verfügt sogar – wie in entsprechenden Stellenangeboten teilweise im Hinblick auf den Einsatz an wechselnden Baustellen erwünscht – über eine Fahrerlaubnis. Das Oberlandesgericht hat sich schließlich – nicht zuletzt bereits anläßlich früherer Verfahren – durch Recherchen im Internet davon überzeugen können, daß auch in Hannover und dem entsprechenden Umfeld durchaus Vollzeitstellen als Bauhelfer angeboten werden.
Auch im Bereich des Bauhauptgewerbes besteht für die gesamte verfahrensgegenständliche Zeit ein für allgemeinverbindlich erklärter Lohntarifvertrag [6]. Dieser sieht für die – auch für Helfer maßgebliche – Lohngruppe 1 Mindestlöhne von 11,05 € (2012 und 2013) bzw. 11,10 € (2014) vor. Auf der Grundlage dieser Stundenlöhne ergibt sich bei Berücksichtigung der für den Vater maßgeblichen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Abzüge sowie pauschalierter berufsbedingter Aufwendungen sogar ein für den Kindesunterhalt maßgebliches monatliches Nettoeinkommen von 1.260,36 € im Jahr 2012, von 1.270 € im Jahr 2013 und von 1.279,99 € im Jahr 2014.
Oberlandesgericht Celle, Beschluss vom 22. August 2014 – 10 UF 180/14
- Fortführung OLG Celle, Beschluss vom 20.03.2013 – 10 UF 33/13 , FamRZ 2013, 1752 ff. = NJW-RR 2013, 838 ff.[↩]
- vgl. zuletzt etwa BGH – Beschluss vom 22.01.2014 – XII ZB 185/12 , FamRZ 2014, 637 ff. = MDR 2014, 347 ff. = NJW 2014, 932 ff. 9] m.w.N.[↩]
- BGH a.a.O. [Tz 11] m.w.N.[↩]
- BGH a.a.O. [Tz 13] m.w.N.[↩]
- BGH a.a.O. [Tz 17] m.w.N.[↩]
- Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 28.04.2011 i.V.m. Achte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 24.10.2011 – BAnz.2011, 3865 ff; Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 03.05.2013 i.V.m. Neunte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe vom 16.10.2013 – BAnz.2013, AT 18.10.2013 V1[↩]