Die Verwendung des steuerlichen Einlagekontos ist ungeachtet unterjähriger Zugänge zum steuerlichen Einlagekonto auf den zum Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres festgestellten positiven Bestand des Kontos begrenzt1.

Die Kapitalgesellschaft wird durch die Feststellung des steuerlichen Einlagekontos zum 31.12 2006 auf der Grundlage des rückwirkend bereits für den Veranlagungszeitraum 2006 anwendbaren SEStEG nicht in einer verfassungsrechtlich durch das Rückwirkungsverbot geschützten Rechtsposition verletzt.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 KStG 2002 n.F. haben unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaften die nicht in das Nennkapital geleisteten Einlagen am Schluss jedes Wirtschaftsjahres auf einem besonderen Konto, dem steuerlichen Einlagekonto, auszuweisen. Das steuerliche Einlagekonto dient mit Blick auf die Besteuerung des Anteilseigners dazu, die nicht steuerpflichtige Auskehrung von Einlagen, die von § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. als Einlagenrückgewähr bezeichnet wird, zu identifizieren und von grundsätzlich steuerpflichtigen Gewinnausschüttungen zu separieren. Um dies zu gewährleisten, wird ausgehend von dem Bestand am Ende des vorangegangenen Wirtschaftsjahres das steuerliche Einlagekonto um die jeweiligen Zu- und Abgänge des Wirtschaftsjahres fortgeschrieben (§ 27 Abs. 1 Satz 2 KStG 2002 n.F.) und zum Schluss eines jeden Wirtschaftsjahres gesondert festgestellt (§ 27 Abs. 2 Satz 1 KStG 2002 n.F.). Der Feststellungsbescheid ist Grundlagenbescheid für den Bescheid über die gesonderte Feststellung zum folgenden Feststellungszeitpunkt (§ 27 Abs. 2 Satz 2 KStG 2002 n.F.). Leistungen der Kapitalgesellschaft mit Ausnahme der Rückzahlung von Nennkapital i.S. des § 28 Abs. 2 Satz 2 KStG 2002 n.F. mindern das steuerliche Einlagekonto nach § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. nur, soweit die Summe der im Wirtschaftsjahr erbrachten Leistungen den auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres ermittelten ausschüttbaren Gewinn übersteigt (sog. Differenzrechnung). Leistungen sind dabei alle Auskehrungen an die Gesellschafter, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis haben. Dies können sowohl offene Gewinnausschüttungen als auch verdeckte Gewinnausschüttungen, aber auch andere Auskehrungen aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses wie etwa Auszahlungen aus der Kapitalrücklage oder die Rückzahlung von Nachschüssen sein. Erfasst werden dabei Leistungen, die im Wirtschaftsjahr erbracht, d.h. abgeflossen sind. Als ausschüttbarer Gewinn gilt gemäß § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 n.F. das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos2.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stehen lediglich solche Einlagen, die in dem zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres festgestellten Bestand enthalten sind, zur Finanzierung einer im laufenden Wirtschaftsjahr abgeflossenen Leistung zur Verfügung. Unterjährige Zugänge können damit nicht unmittelbar mit Abgängen desselben Jahres saldiert werden. Zur näheren Begründung verweist der Bundesfinanzhof auf sein Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560, mit dem er die bis dahin kontrovers diskutierte Rechtsfrage entschieden hat.
§ 27 KStG 2002 n.F. ist im Streitjahr 2006 -rückwirkend- anzuwenden (§ 34 Abs. 1 KStG 2002 n.F.).
Zu dieser Fassung des Gesetzes hat der Bundesfinanzhof bereits in seinem Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560 entschieden, dass eine unterjährig erbrachte Einlage als Zugang zum Einlagekonto nicht zur Verfügung steht, um eine im gleichen Wirtschaftsjahr abgeflossene Leistung zu finanzieren.
Es ist nicht erkennbar, dass sich im Hinblick auf die Behandlung der unterjährigen Einlage und die damit korrespondierende Frage, in welcher Höhe Beträge für eine Einlagenrückgewähr zur Verfügung stehen, die Rechtslage durch das Inkrafttreten des SEStEG geändert oder gar verschärft hat.
Der Bundesfinanzhof hat seine Entscheidung hinsichtlich der Behandlung unterjähriger Einlagen auf die dem § 27 Abs. 1 KStG 2002 n.F. zugrunde liegende Vorjahresbetrachtung gestützt. Daraus, so der Bundesfinanzhof, dass der ausschüttbare Gewinn gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 KStG 2002 n.F. auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zu ermitteln sei und als ausschüttbarer Gewinn nach § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 n.F. das um das gezeichnete Kapital geminderte in der Steuerbilanz ausgewiesene Eigenkapital abzüglich des Bestands des steuerlichen Einlagekontos gelte, folge eine Vorjahresbetrachtung auch in Bezug auf den Bestand des steuerlichen Einlagekontos. Dem Bestand des steuerlichen Einlagekontos könne als reine Berechnungsgröße zur Ermittlung des ausschüttbaren Gewinns kein anderer Zeitpunkt als derjenige bei der Ermittlung des ausschüttbaren Gewinns zugrunde gelegt werden, und das sei ebenfalls der Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres.
Eine solche Vorjahresbetrachtung lag auch bereits dem § 27 Abs. 1 KStG 2002 a.F. zugrunde3. Die nahezu inhaltsgleiche Vorschrift sah eine identische Definition des ausschüttbaren Gewinns und dessen Ermittlung auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres vor. Die materiell-rechtlichen Vorgaben für die Bildung und Fortschreibung des steuerlichen Einlagekontos in § 27 Abs. 1 KStG 2002 a.F./n.F. sind im Wesentlichen unverändert geblieben.
Zu einer Veränderung der Rechtslage ist es im Wesentlichen hinsichtlich der Bescheinigungs- und damit zusammenhängenden Haftungsregelungen (§ 27 Abs. 3 bis 5 KStG 2002 a.F./n.F.) gekommen. Deren Prüfung am Maßstab des verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbots ist jedoch nicht im streitgegenständlichen Verfahren, sondern im nachfolgenden Verfahren der Haftung bzw. der Nachforderung von Kapitalertragsteuer vorzunehmen. Bereits aus diesem Grund kommt eine Aussetzung des Revisionsverfahrens betreffend den Feststellungsbescheid gemäß § 27 Abs. 2 KStG 2002 n.F. und eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 des Grundgesetzes nicht in Betracht. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
§ 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 a.F. sah vor, dass die der Bescheinigung zugrunde gelegte Verwendung unverändert bleibt, wenn für die Leistung der Kapitalgesellschaft die Minderung des Einlagekontos bescheinigt worden war. Dies galt sowohl für eine zu niedrig als auch eine zu hoch bescheinigte Minderung des Einlagekontos (sog. Verwendungsfestschreibung)4.
Gemäß § 27 Abs. 5 Satz 1 KStG 2002 a.F. haftete der Aussteller, der eine zu hohe Minderung des Einlagekontos bescheinigt hatte, für die aufgrund der Bescheinigung verkürzten Steuern. Die Haftung konnte auch nicht durch eine Berichtigung der Bescheinigung vermieden werden5. Denn durch die Festschreibung der der Bescheinigung zugrunde gelegten Verwendung gemäß § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 a.F. war die Bescheinigung -obgleich sie an sich die Einlagenrückgewähr zu hoch ausgewiesen hatte- zutreffend6.
Nach § 27 KStG 2002 n.F. führt ein überhöht bescheinigter Betrag der Einlagenrückgewähr nicht zu einer entsprechenden Verwendungsfestschreibung im steuerlichen Einlagekonto7. Es fehlt an einer dem § 27 Abs. 1 Satz 5 KStG 2002 a.F. vergleichbaren Bestimmung. Nach § 27 Abs. 5 Satz 4 KStG 2002 n.F. ist die auf den überhöht ausgewiesenen Betrag der Einlagenrückgewähr entfallende Kapitalertragsteuer verschuldensunabhängig durch Haftungsbescheid geltend zu machen. Der Aussteller kann -zur Vermeidung einer Haftungsinanspruchnahme- die Bescheinigung allerdings berichtigen (§ 27 Abs. 5 Satz 5 KStG 2002 n.F.)8.
Im Streitfall wurde die GmbH mit Bescheid vom 08.06.2010 zur Kapitalertragsteuer herangezogen. Zur Begründung führte das Finanzamt an, dass die GmbH rechtsfehlerhaft das Einlagekonto als für die Ausschüttung verwendet bescheinigt hatte.
Ob sich das geänderte Bescheinigungs- und Haftungsregime des § 27 KStG 2002 a.F./n.F. „per Saldo“ tatsächlich zu Lasten der GmbH rückwirkend geändert hat, kann im vorliegenden Verfahren dahinstehen. Selbst wenn im Streitfall -angesichts fehlender tatrichterlicher Feststellungen- unterstellt würde, dass die GmbH den Betrag der Einlagenrückgewähr zu hoch bescheinigt hatte, die bescheinigte Verwendung im steuerlichen Einlagekonto dementsprechend festzuschreiben wäre und deswegen dem Klageantrag der GmbH auf der Basis des § 27 Abs. 1 KStG 2002 a.F. zu entsprechen gewesen wäre, ergäbe sich hieraus keine Verletzung des grundrechtlich verbürgten Vertrauensschutzes der GmbH, die im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen wäre.
Denn die GmbH wird durch eine (fehlerhafte) Feststellung des steuerlichen Einlagekontos nicht in einer verfassungsrechtlich durch das Rückwirkungsverbot geschützten Rechtsposition verletzt. Das steuerliche Einlagekonto hat allein Bedeutung für die Besteuerung der Anteilseigner. Es ist deshalb nicht ersichtlich, wie durch eine im Vergleich zu § 27 KStG 2002 a.F. höhere Feststellung des Endbestands des steuerlichen Einlagekontos Grundrechte der GmbH verletzt werden könnten9. Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass der Bundesfinanzhof der Kapitalgesellschaft mit Rücksicht auf ihre Stellung als Vergütungsschuldner und der damit verbundenen Haftungsrisiken auf der Ebene des einfachen Rechts die Klagebefugnis i.S. des § 40 Abs. 2 FGO eingeräumt hat, damit diese gegen die an sie gerichteten Feststellungsbescheide gemäß § 27 Abs. 2 KStG 2002 n.F. vorgehen kann10.
Vielmehr ergibt sich auch hieraus, dass die GmbH nur mit Rücksicht auf dieses Haftungsrisiko in einer grundrechtlich geschützten Position verletzt worden sein konnte. Und auch nur hinsichtlich des Haftungsregimes -nicht aber hinsichtlich der materiell-rechtlichen Vorgaben für das steuerliche Einlagekonto- ist es zu einer rückwirkenden, möglicherweise verschärfenden und die GmbH möglicherweise auch selbst belastenden Rechtsänderung durch das SEStEG gekommen. Es kann daher auch nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Nachforderungsbescheid über Kapitalertragsteuer vom 08.06.2010 geklärt werden, ob die GmbH auf der Grundlage des § 27 KStG 2002 n.F. einem Zahlungsanspruch ausgesetzt ist, dem sie auf der Grundlage des § 27 KStG 2002 a.F. nicht oder nicht in dieser Höhe ausgesetzt gewesen wäre, und ob in diesem Fall schutzwürdiges Vertrauen in das zum Zeitpunkt der Disposition geltende Recht in nicht zu rechtfertigender Weise enttäuscht wurde.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. Juli 2017 – I R 96/15
- Bestätigung von BFH, Urteil vom 30.01.2013 – I R 35/11, BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560[↩]
- zum Vorstehenden BFH, Urteil vom 30.01.2013 – I R 35/11, BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560, m.w.N.[↩]
- vgl. hierzu bereits BFH, Urteil vom 19.05.2010 – I R 51/09, BFHE 230, 128, BStBl II 2014, 937[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.06.2009 – I R 10/09, BFHE 225, 384, BStBl II 2009, 974; BFH, Beschluss vom 03.02.2010 – I B 32/09, BFH/NV 2010, 1128; Gosch/Bauschatz, KStG, 3. Aufl., § 27 Rz 100; Blümich/Oellerich, § 27 KStG Rz 60[↩]
- Gosch/Bauschatz, a.a.O., § 27 Rz 111 f.[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2010, 1128[↩]
- Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, § 27 KStG Rz 118; Gosch/Bauschatz, a.a.O., § 27 Rz 101; Blümich/Oellerich, § 27 KStG Rz 61[↩]
- Berninghaus in Herrmann/Heuer/Raupach, a.a.O., § 27 KStG Rz 130; Gosch/Bauschatz, a.a.O., § 27 Rz 110[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560, Rz 13[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 240, 304, BStBl II 2013, 560[↩]