Die Klage gegen einen auf 0 € lautenden Steuer- beziehungsweise Steuermessbescheid ist zulässig, wenn geltend gemacht wird, eine den verbleibenden Verlustvortrag beziehungsweise vortragsfähigen Gewerbeverlust erhöhende Besteuerungsgrundlage sei in ihm nicht (mehr) berücksichtigt (Beseitigung der negativen Bindungswirkung)1.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall hatte eine GmbH geklagt. Im Rahmen einer Außenprüfung wurde festgestellt, dass die GmbH im Jahr 2011 eine Rückstellung gebildet und diese unverändert auf die Jahre 2012 und 2013 vorgetragen hatte. Der Nachweis eines Rückstellungsbedarfes oder einer Verbindlichkeit sei nach Auffassung des Außenprüfers indes nicht erbracht worden; nach den Ausführungen im Prüfungsbericht sei die Rückstellung daher im Jahr 2012 gewinnerhöhend aufzulösen. Das Finanzamt folgte der Auffassung des Außenprüfers, erließ geänderte Bescheide über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag und setzte die Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 jeweils auf 0 € fest. Ferner erließ das Finanzamt Änderungsbescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31.12.2012 und zur Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2012 und stellte in beiden Bescheiden den verbleibenden beziehungsweise vortragsfähigen Verlustvortrag neu fest. Die Verlustfeststellungsbescheide sind nach erfolglosem Einspruchsverfahren formell in Bestandskraft erwachsen.
Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat die Klage wegen Körperschaftsteuer 2012 und Gewerbesteuermessbetrag 2012 als unzulässig abgewiesen2. Über die Höhe des Verlustes im Falle der Nullfestsetzung wegen der Regelung in § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG könne ausschließlich im Rahmen eines gegen die Verlustfeststellungsbescheide gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens entschieden werden. Diese Bescheide seien in Bestandskraft erwachsen. Es fehle daher für die Klage gegen die Nullfestsetzungen am Rechtsschutzinteresse. Dies entspreche zwar nicht der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach auch bei einer Nullfestsetzung über die Höhe des Verlustes im Steuerfestsetzungsverfahren und nicht im Verlustfeststellungsverfahren zu entscheiden sei. Dem vermöge aber das Finanzgericht nicht zu folgen.
Auf die Revision der GmbH hob der Bundesfinanzhof das Urteil des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung zurück an das Finanzgericht; das Finanzgericht habe die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen:
Gemäß § 40 Abs. 2 FGO ist eine Anfechtungsklage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Dies ist bei der Anfechtung eines Nullbescheids regelmäßig nicht der Fall3. Ausnahmsweise kann die Klage gegen einen Nullbescheid jedoch zulässig sein, wenn der Bescheid sich für den Kläger deshalb nachteilig auswirkt, weil in ihm angesetzte Besteuerungsgrundlagen im Rahmen anderer Verfahren verbindliche Entscheidungsvorgaben liefern4.
Eine Beschwer liegt vor, wenn die verlusterhöhende Besteuerungsgrundlage im angefochtenen Steuer- beziehungsweise Steuermessbescheid (nach Ansicht des Klägers) nicht oder nicht in vollem Umfang berücksichtigt ist, mithin der Gesamtbetrag der Einkünfte beziehungsweise der Gewerbeertrag zu hoch ist5. Dann entfaltet der Steuerbescheid beziehungsweise Steuermessbescheid für die Verlustfeststellung aufgrund der Verweisung in § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG bzw. in § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) eine negative Bindungswirkung, die es verhindert, den Verlustvortrag beziehungsweise vortragsfähigen Gewerbeverlust in zutreffender Höhe festzustellen. Das Klagebegehren ist in diesem Fall darauf gerichtet, die negative Bindungswirkung zu beseitigen und eine positive Bindungswirkung zu erreichen6.
Bei Anwendung dieser Grundsätze kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Das Finanzgericht hat danach die Klage zu Unrecht für unzulässig erachtet.
Die GmbH hat für ihre Klage gegen die Bescheide über Körperschaftsteuer 2012 und den Gewerbesteuermessbetrag 2012 eine Beschwer in obigem Sinne geltend gemacht. Es geht ihr um die Beseitigung der negativen Bindungswirkung der nämlichen Bescheide gemäß § 10d Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 2 EStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 GewStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO, die es verhindert, den Verlustvortrag aus seiner Sicht in zutreffender Höhe festzustellen6. Entgegen der Rechtsauffassung des Finanzgerichtes stehen die Bestimmungen des § 10d Abs. 4 Satz 5 EStG bzw. § 35b Abs. 2 Satz 3 GewStG der Annahme einer Beschwer nicht entgegen. Denn gerade diese Vorschriften erlauben die Berücksichtigung der zutreffenden Besteuerungsgrundlagen, auch wenn die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung der Festsetzung der Steuer beziehungsweise des Steuermessbetrags unterbleibt7. Der Bundesfinanzhof schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Die Sache war für den Bundesfinanzhof nicht spruchreif und daher an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Das Finanzgericht hat sich mit dem inhaltlichen Vorbringen der Beteiligten nicht befasst. Der Bundesfinanzhof kann mangels hinreichender Feststellungen nicht in der Sache entscheiden8.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 17. Juli 2024 – XI R 18/22
- Anschluss an BFH, Urteil vom 30.06.2020 – IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.05.2022 – 8 K 8168/20, EFG 2022, 1467[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 08.11.1989 – I R 174/86, BFHE 158, 540, BStBl II 1990, 91; vom 30.06.2020 – IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 15; jeweils m.w.N.[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteile vom 07.12.2016 – I R 76/14, BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704, m.w.N.; vom 30.06.2020 – IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 15, m.w.N.; vom 15.03.2023 – I R 41/19, BFHE 280, 131, Rz 16; vom 23.01.2024 – IX R 7/22, BStBl II 2024, 406, Rz 20[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 07.12.2016 – I R 76/14, BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704; vom 28.11.2018 – I R 41/18, BFH/NV 2019, 1109, Rz 19 ff.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 30.06.2020 – IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 18[↩][↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 07.12.2016 – I R 76/14, BFHE 256, 314, BStBl II 2017, 704, Rz 15; vom 10.12.2019 – I R 58/17, BFHE 271, 514, BStBl II 2021, 945; vom 30.06.2020 – IX R 3/19, BFHE 269, 314, BStBl II 2021, 859, Rz 17; vom 03.05.2022 – IX R 7/21, BFHE 277, 158, BStBl II 2023, 104, Rz 15; vom 04.05.2022 – I R 25/19, BFH/NV 2022, 1313, Rz 25[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 04.07.2007 – VIII R 77/05, BFH/NV 2008, 53, unter II. 3.b; vom 22.06.2016 – V R 49/15, BFH/NV 2016, 1754, Rz 23; vom 18.10.2023 – XI R 39/22, BFHE 282, 216, BStBl II 2024, 490, Rz 9[↩]











