Die Körperschaftsteuerpflicht einer Stiftung beginnt mit dem Tode des Stifters. Eine Ausdehnung der Rückwirkungsfiktion des § 84 BGB auf die in § 5 Abs 1 Nr. 9 KStG angeordnete Steuerbefreiung kommt ohne eigenständige steuerrechtliche Anordnung der Rückwirkung nicht in Betracht.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 KStG sind juristische Personen des privaten Rechts, die ihre Geschäftsleitung oder ihren Sitz im Inland haben, unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Die Steuerpflicht beginnt mit der zivilrechtlich wirksamen Gründung1. Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung sind gemäß § 80 Abs. 1 BGB das Stiftungsgeschäft und die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll.
Das ist vor dem Tod des Stiferts zwar noch nicht der Fall. Die Stiftung gilt aber als juristische Person „Stiftung“ schon vor dem Tode des Stifters entstanden. Denn nach § 84 BGB gilt eine Stiftung, die -wie hier- erst nach dem Tode des Stifters als rechtsfähig anerkannt wird, für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden. Damit ermöglicht es das Gesetz der Stiftung mit Blick auf § 1923 Abs. 1 BGB, als Erbin Vermögen vom Stifter im Erbgang zu erwerben. Sie ist hinsichtlich des Vermögensanfalls so zu behandeln, als habe sie im Todeszeitpunkt des Stifters bereits existiert und wird durch die gesetzliche Fiktion mit der staatlichen Genehmigung rückwirkend zur Vollerbin. Anders als bei Kapitalgesellschaften, bei denen das Vermögen erst im Zeitpunkt der Anmeldung zur Eintragung vorliegen muss (vgl. etwa § 7 Abs. 2 und 3 GmbHG), ist es bei Stiftungen von Todes wegen bereits mit dem Tod des Stifters vorhanden und bedarf einer entsprechenden Zuordnung, die § 84 BGB mit seiner Rückwirkungsfiktion vornimmt.
Diese gilt auch im Steuerrecht2. Deshalb beginnt die Körperschaftsteuerpflicht der Stiftung rückwirkend schon mit dem Tode des Stifters.
Die Stiftung ist in den Streitjahren nicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit. Nach dieser Vorschrift sind Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO), von der Körperschaftsteuer befreit.
§ 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG nimmt unmittelbar Bezug auf §§ 51 bis 68 AO. Gemäß § 59 AO wird die Steuervergünstigung gewährt, wenn sich aus der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung (Satzung im Sinne dieser Vorschriften) ergibt, welchen Zweck die Körperschaft verfolgt, dass dieser Zweck den Anforderungen der §§ 52 bis 55 AO entspricht und dass er ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird. Die tatsächliche Geschäftsführung muss diesen Satzungsbestimmungen entsprechen. § 61 Abs. 1 AO schreibt vor, dass eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) nur dann vorliegt, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zweckes verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt wird, dass auf Grund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist. Dabei muss die Satzung gemäß § 60 Abs. 2 AO den vorgeschriebenen Erfordernissen bei der Körperschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift während des ganzen Veranlagungs- oder Bemessungszeitraums entsprechen. Eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut und Wortsinn des Gesetzestextes ist nicht möglich3. Eine Satzung, die diesen Anforderungen entspricht, lag in den Streitjahren nicht vor. Sie existiert erst nach Anerkennung der Stiftung durch die zuständige Behörde ab dem Jahr 2012.
Die Voraussetzung einer Satzung in den Veranlagungszeiträumen der Streitjahre ist auch nicht mit der Anerkennung der Stiftung als rechtsfähige Stiftung rückwirkend für die Streitjahre erfüllt. Die Rückwirkungsfiktion des § 84 BGB wirkt sich nicht auf die in § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG geregelten Voraussetzungen der Steuerbefreiung aus. § 84 BGB fingiert das Entstehen der Stiftung als juristische Person nur „für die Zuwendungen des Stifters“ vor dem Tode des Stifters. Eine Ausdehnung dieser Fiktion auf die in § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG angeordnete Steuerbefreiung kommt ohne eigenständige steuerrechtliche Anordnung der Rückwirkung nicht in Betracht4. Vielmehr muss der nach § 60 Abs. 2 AO steuererhebliche Sachverhalt während des ganzen Veranlagungszeitraums gegeben sein. Damit wirkt sich die Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts (Satzung infolge der Anerkennung) nicht in der Vergangenheit in einer Weise aus, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist5. Es ist demnach zu unterscheiden: Zurück wirkt das Gesetz nur für die Zuwendungen des Stifters, nicht aber für weitere Erfordernisse der Anerkennung.
Zwar mag davon auszugehen sein, dass bei der Stiftung während des Anerkennungsverfahrens eine Gefahr für die Vermögensbindung nicht besteht (vgl. § 83 BGB). Das berechtigt aber nicht, den gesetzlichen Tatbestand des § 60 Abs. 2 AO außer Acht zu lassen. Das Gesetz enthält die klare und eindeutige Anordnung, dass die Satzung während des ganzen Veranlagungszeitraums den vorgeschriebenen Erfordernissen entsprechen muss. Das tut sie aber nicht, wenn sie erst nach dem streitigen Veranlagungszeitraum und ohne zurückzuwirken wirksam erlassen wird.
Dieses Ergebnis wird durch § 38 AO bestätigt. Danach entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verwirklichung des im Gesetz geregelten Tatbestandes. Tatbestand in diesem Sinne ist die Einheit aller materiell-rechtlichen, normativen Merkmale, die nach Maßgabe der Steuergesetze erfüllt sein müssen, damit die Steuer in einem bestimmten zeitlichen Abschnitt entsprechend dem Periodizitätsprinzip (§ 8 Abs. 1 KStG, § 2 Abs. 7 des Einkommensteuergesetzes) entsteht; hierzu gehören auch die Regelungen über Steuerbefreiungen6. Steuertatbestände müssen so bestimmt sein, dass der Steuerpflichtige die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann7. Das ist in den Streitjahren nicht gewährleistet, weil ohne Kenntnis der Satzung nicht beurteilt werden kann, ob diese die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllt.
Dem entspricht der Sinn und Zweck des Gesetzes, wie er sich auch in der Rechtsentwicklung und der Streichung des § 62 AO a.F. durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12 20088 zeigt. Nach § 62 AO a.F. brauchte u.a. bei staatlich beaufsichtigten Stiftungen die Vermögensbindung in der Satzung nicht festgelegt zu werden. Hintergrund dieser Regelung war, dass die Vermögensbindung durch staatliche Aufsicht sichergestellt werden konnte9. Durch die Streichung des § 62 AO wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bei allen unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaften davon abhängt, dass die Vermögensbindung in deren Satzung genau bestimmt ist10. Hierfür aber muss in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum eine derartige Satzung vorliegen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. Juni 2019 – V R 50/17
- BFH, Urteil vom 13.12 1989 – I R 98, 99/86, BFHE 159, 452, BStBl II 1990, 468[↩]
- BFH, Urteil vom 17.09.2003 – I R 85/02, BFHE 204, 72, BStBl II 2005, 149; Gosch, KStG, § 1 Rz 83a[↩]
- BFH, Urteile vom 14.11.2018 – II R 34/15, Deutsches Steuerrecht 2019, 687; vom 15.02.2012 – XI R 24/09, BFHE 236, 267, BStBl II 2013, 712; BFH-EuGH-Vorlage vom 10.07.2012 – XI R 22/10, BFHE 238, 551, BStBl II 2013, 291[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 204, 72, BStBl II 2005, 149[↩]
- vgl. dazu grundlegend BFH, Beschluss vom 19.07.1993 – GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 05.03.1997 – II R 92/94, BFH/NV 1997, 551; Klein/Ratschow, 14. Aufl.2018, AO § 38 Rz 5; Koenig/Koenig, 3. Aufl.2014, AO § 38 Rz 7[↩]
- BFH, Urteil vom 18.03.2010 – IV R 88/06, BFHE 228, 519, BStBl II 2010, 991, Rz 36; BFH, Beschluss vom 16.06.2005 – VII R 10/03, BFH/NV 2005, 1876[↩]
- BGBl I 2008, 2794[↩]
- vgl. dazu Leisner-Egensperger in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 62 AO Rz 34[↩]
- BT-Drs. 16/11108, S. 46 zu Nr. 6[↩]