Vorsteuerberichtigung bei Berufung auf eine Steuerfreiheit nach dem Unionsrecht

Die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse (steuerpflichtige Verwendungsumsätze) ändern sich i.S. des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG, wenn sich der Steuerpflichtige nachträglich innerhalb des Berichtigungszeitraums auf die Steuerfreiheit seiner Verwendungsumsätze gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG beruft.

Vorsteuerberichtigung bei Berufung auf eine Steuerfreiheit nach dem Unionsrecht

Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 i.d.F. des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 20011 für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen.

Diese Regelung gilt nach § 27 Abs. 8 UStG i.d.F. des StÄndG 20032 auch für Zeiträume vor dem 1.01.2002 und damit auch für das Streitjahr 1998. Die rückwirkende Anwendung des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 in der durch das StÄndG 2001 geänderten Fassung ist ferner verfassungsrechtlich unbedenklich3.

Die Voraussetzungen des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG 1999 i.d.F. des StÄndG 2001 sind erfüllt.

Die Klägerin hat im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall in den Abzugsjahren 1995 bis 1997 wegen der Absicht, die Eingangsleistungen für nach nationalem Recht- steuerpflichtige Ausgangsumsätze zu verwenden, den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 und 2 UStG und Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG zu Recht in Anspruch genommen. Die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit waren nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG in der bis zum 5.05.2005 geltenden Fassung steuerpflichtig.

Die spätere Berufung der Klägerin auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung für nachfolgende Besteuerungszeiträume im Zuge der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Sachen „Linneweber und Akritidis“4 und der hierzu ergangenen Nachfolgeentscheidung des Bundesfinanzhofs5 lässt den Vorsteuerabzug in den Besteuerungszeiträumen des Leistungsbezugs 1995 bis 1997 bestehen6.

Diese für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse haben sich im Berichtigungszeitraum geändert.

Zutreffend geht die Vorentscheidung davon aus, dass ähnlich wie bei der Rückgängigmachung des Verzichts auf eine Steuerbefreiung nach § 9 UStG- eine Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse eintritt, wenn sich der Unternehmer nachträglich auf eine Steuerfreiheit seiner Umsätze nach Unionsrecht beruft7. Da sich die Klägerin im November 2003 für das Streitjahr 1998 auf die Steuerfreiheit ihrer Ausgangsumsätze nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie 77/388/EWG berufen hat, ist mithin innerhalb des nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG vorgesehenen Berichtigungszeitraums von fünf Jahren eine Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eingetreten. Denn ihre Ausgangsumsätze aus Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit sind nunmehr im Streitjahr 1998 als steuerfrei zu behandeln8. Aus Aufwendungen für Eingangsleistungen, die in direktem und unmittelbarem Zusammenhang mit steuerfreien Ausgangsumsätzen stehen, kommt ein Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 und 2 UStG und Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG nicht in Betracht9.

Im Streitfall liegt keine rechtsfehlerhafte Beurteilung des Vorsteuerabzugs in den Abzugsjahren 1995 bis 1997 vor. Die Berichtigung ist entgegen der Auffassung der Klägerin- nicht auf die Abzugsjahre beschränkt und kann im Streitjahr 1998 vorgenommen werden.

Entspricht das nationale Recht nicht dem Unionsrecht, kann sich zwar der Steuerpflichtige auf unionsrechtliche Bestimmungen berufen10.

Für das Finanzamt besteht diese Möglichkeit jedoch nicht. Nur der Steuerpflichtige hat das Recht, sich für die Anwendung des gegenüber den Regeln im nationalen Recht günstigeren Unionsrechts zu entscheiden11. Das Finanzamt wäre daher im Streitfall nicht befugt gewesen, die nach nationalem Recht steuerpflichtigen Umsätze in den Abzugsjahren 1995 bis 1997 gegen den Willen der Klägerin mit den entsprechenden Folgen für den Vorsteuerabzug als steuerfrei zu behandeln.

Selbst wenn die Steuerfestsetzungen für die Abzugsjahre 1995 bis 1997 noch änderbar gewesen wären, als sich die Klägerin im November 2003 auf die Steuerfreiheit ihrer Umsätze nach Unionsrecht berief, hätte das Finanzamt diese Steuerfestsetzungen mithin nicht ändern können, um die abgezogenen Vorsteuerbeträge zu berichtigen.

Eine nach der Rechtsprechung des BFH mögliche Berichtigung eines im Abzugsjahr rechtsfehlerhaft beurteilten Vorsteuerabzugs durch Änderung der Steuerfestsetzung für dieses Abzugsjahr12 schied mithin aus. Es kann daher dahinstehen, ob wie die Klägerin meint- die Steuerfestsetzungen für die Abzugsjahre 1995 bis 1997 noch nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO änderbar waren.

Wird die Vorsteuer nach § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG berichtigt, ist für jedes Kalenderjahr der Änderung von einem Fünftel der auf das Wirtschaftsgut entfallenden Vorsteuerbeträge auszugehen (§ 15a Abs. 2 Satz 1 UStG). Hierbei sind nach der zu § 15a UStG ergangenen Rechtsverordnung § 44 UStDV „Vereinfachungen bei der Berichtigung des Vorsteuerabzugs“ vorgesehen.

Eine Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 15a UStG entfällt, wenn die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallende Vorsteuer 500 DM nicht übersteigt (§ 44 Abs. 1 UStDV). Ferner ist die Berichtigung des Vorsteuerabzugs für alle in Betracht kommenden Kalenderjahre einheitlich bei der Berechnung der Steuer für das Kalenderjahr vorzunehmen, in dem der maßgebliche Berichtigungszeitraum endet, wenn die auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts entfallende Vorsteuer nicht mehr als 2.000 DM beträgt (§ 44 Abs. 3 UStDV).

Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. Oktober 2011 – XI R 16/09

  1. vom 20.12.2001, BGBl – I 2001, 3794[]
  2. vom 15.12.2003, BGBl – I 2003, 2645[]
  3. vgl. BFH, Urteile vom 07.07.2005 – V R 32/04, BFHE 211, 74, BStBl II 2005, 907; vom 24.09.2009 – V R 6/08, BFHE 227, 506, BStBl II 2010, 315[]
  4. EuGH, Slg.2005, I1131, BFH/NV Beilage 2005, 94[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 210, 164, BStBl II 2005, 617[]
  6. vgl. Martin, UR 2008, 34[]
  7. vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 18.10.2006 – 13 K 8464/99 U, Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BFH, Beschluss vom 31.08.2007 – V B 193/06, BFH/NV 2007, 2366; FG Nürnberg, Urteil vom 12.05.2009 – II 262/2006, EFG 2009, 1688, unter 2.a; a.A. Hessisches FG, Urteil vom 10.11.2009 – 6 K 3110/06, unter 2.a[]
  8. vgl. BFH, Urteil in BFHE 210, 164, BStBl II 2005, 617; zum Ausschluss für bestandskräftig veranlagte Besteuerungszeiträume vgl. z.B. BFH, Urteile vom 16.09.2010 – V R 57/09, BFHE 230, 504, BStBl II 2011, 151; vom 01.12.2010 – XI R 39/09, BFH/NV 2011, 411[]
  9. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 13.01.2011 – V R 12/08, BFHE 232, 261, BFH/NV 2011, 721, unter II.01.b bb; vom 27.01.2011 – V R 38/09, BFHE 232, 278, BFH/NV 2011, 727, unter II.02.b aa, jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung des EuGH[]
  10. vgl. z.B. BFH, Urteile vom 26.01.2006 – V R 36/03, BFH/NV 2006, 1525, unter II.03.b; vom 09.08.2007 – V R 27/04, BFHE 217, 314, unter II.03.a bb; vom 11.10.2007 – V R 69/06, BFHE 219, 287, unter II.02.b; vom 02.03.2011 – XI R 21/09, BFHE 233, 269, unter II.03.b[]
  11. vgl. BFH, Urteile in BFH/NV 2006, 1525, unter II.03.b; in BFHE 217, 314, unter II.03.a bb; Martin, UR 2008, 34, m.w.N.; Tehler in Rau/Dürrwächter, UStG, § 4 Nr. 22 Rz 277, m.w.N.[]
  12. vgl. z.B. BFH, Urteile in BFHE 185, 298, BStBl II 1998, 361, unter II.03.; vom 24.02.2000 – V R 33/97, BFH/NV 2000, 1144, unter II.01.c; vom 30.03.2000 – V R 105/98, BFH/NV 2000, 1368, unter II.01., jeweils m.w.N.; ferner BFH, Beschluss in BFH/NV 2007, 2366[]